Die Presse am Sonntag

Eine Horva´ th-Revue mit Rollschuhe­n und Ast

Das Nature Theater of Oklahoma hat mit dem sichtlich entzückten Volkstheat­er-Ensemble viel Spaß an zelebriert­er Inkompeten­z: »Karoline und Kasimir«.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Dass das wie einem Wes-AndersonFi­lm entsprunge­ne Regieduo Kelly Copper und Pavol Lisˇka, die hinter dem New Yorker Theaterkon­zept Nature Theater of Oklahoma stecken, uns tatsächlic­h Ödön von Horva´ths „Kasimir und Karoline“servieren, damit rechnete Freitagabe­nd im Volkstheat­er sowieso keiner. Der Titel, von Beginn an schon durch die reine Umkehr der Namen verfremdet, sei sowieso nur ein Lockvogel. Wie es ihre Arbeiten mit literarisc­hen Stoffen, sie nennen es Herausford­erungen, sich ins Unbequeme zu begeben, immer sind, zuletzt bei ihrem Jelinek-Film „Die Kinder der Toten“.

Ein bekannter Stückname diene „nur als Entschuldi­gung“, als „Trick“, damit die Leute überhaupt kommen, gibt der Schauspiel­er, der den Regisseur spielt (Elias Eilinghoff), in der absichtlic­h langatmige­n Einführung gleich offen zu. Viele Ähms und Ahs im Dialog mit dem Schauspiel­er, der den Schauspiel­er spielt (Bence Mezei aus dem Düsseldorf­er Schauspiel­haus) später, ahnten wir in etwa, was uns die nächsten zweieinhal­b Stunden erwarten würde. Die dann überrasche­nd unterhalts­am, nicht unbedingt tiefschürf­end wurden.

Am Ende schwebt ein Ast. Ensemble und Publikum hatten jedenfalls sichtlich ihren deftigen Spaß an dem, was die in Europas Festivalsz­ene stark verwurzelt­en Theatermac­her interessie­rte – einem revuehafte­n, grotesken Horva´th-Abend, in dem das namengeben­de Stück zu einer Nummer unter vielen, in einer Wurstelpra­ter-Miniatur gleich am Beginn etwas zu holzschnit­thaft abgefrühst­ückt wurde. Der mitunter etwas geschwätzi­ge Rest rankte sich um Fantasien zu den letzten Stunden des Schriftste­llers im Pariser Exil, an deren Ende, natürlich, ein mächtiger Ast vom Schnürbode­n schweben musste.

Davor entwickelt­e das nur siebenköpf­ige Ensemble beachtlich­es komödianti­sches Berserkert­um, das sich in einen ganz eigenen Rhythmus eindrehte, im Wortsinn. Alle Szenen wurden von den immer gleichen choreograf­ischen Fragmenten begleitet, die sich einmal zur schweißtre­ibenden Tanzeinlag­e zu Ed Sheerans „Shape of You“steigerten, einmal zu einer Schneewitt­chen-Geisterbah­nfahrt auf Rollschuhe­n.

Hatte Horva´th an seinem letzten Tag, dem 1. Juni 1938, doch Disneys „Schneewitt­chen“im Kino gesehen. Dann Regisseur Robert Siodmak in einem Cafe´ getroffen, eine Szene, die im Volkstheat­er die beiden misogynen bzw. scheuen Herren zu schieren Nebendarst­ellern reduzierte. An die Wand gespielt von Julia Franz Richter als begleitend­er Dame, Stellvertr­eterin aller bitter-eloquenten, jüdischen Wiener Emanzen.

Die intensivst­en Momente erreichte (wie schon im Jandl-Stück „Humanistää!“) Samouil Stoyanov mit seinen atemlosen, an sich selbst verzweifel­nden, paranoiden Monologen eines Dichters im Exil. Keine Ahnung, was dieser Abend war. Die angekündig­te Inkompeten­z, der „big failure“, wurde zumindest mit großer schauspiel­erischer Kompetenz und sarkastisc­her Grandezza zelebriert.

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Marcel Urlaub/Volkstheat­er Gleich fällt er, der Ast: Horvaths letzte Stunden in Paris.

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