STECKBRIEF
Herr Wickert, wie betrachten Sie die seltsam aufgeheizte öffentliche Stimmung in der Pandemie?
Ulrich Wickert: Das Bedauerliche ist, dass viele Leute nicht bedenken, was schon einmal war. Wenn Sie in den Sechzigerjahren ein Sozialdemokrat waren und Ihren Ortsverein bei sich tagen ließen, konnte es sein, dass Ihr CDU-Hauseigentümer Ihnen gekündigt hat. Damals gab es unglaublichen Hass. Es entstand die NPD. Manchen war die nicht rechts genug, also kam die Aktion Widerstand. Das waren Dinge, die vergleichbar sind mit jetzt – wenn nicht sogar schlimmer.
Sie haben in Ihrer Studentenzeit recherchiert, welcher Ihrer Professoren bei den Nazis gewesen war.
Ich bin dann fast rausgeflogen deswegen. Da gab es für mich irrsinnige Sachen: Der Leiter des luftfahrtmedizinischen Institutes war ein Professor, der mit Mengele (Josef, Anm.) zusammen Menschenversuche im KZ gemacht hat. Das muss man sich vorstellen! Der war Professor an der Uni! Gut, durch die Aktion, die wir gemacht haben, musste er gehen. Aber er blieb der Berater der Lufthansa. Das war eine Zeit damals, die ganz anders geprägt war.
Sie haben sich später als Moderator der Nachrichtensendung „Tagesthemen“immer wieder gegen Rechtsextremismus gestellt. Wurden Sie dafür angefeindet?
Ich bekam entsprechende Post. Wenn Rechtsradikale mir etwas schrieben, bekamen sie von mir immer nur eine Antwort: „Sie sind feige! Sie trauen sich noch nicht einmal, den Film ,Schindlers Liste‘ anzugucken. Erst wenn Sie das getan haben, können Sie mit mir diskutieren. Punkt.“
Kam daraufhin etwas zurück?
Es passierte mir ab und zu, dass jemand antwortete und sagte: „Entschuldigung, ich habe es nicht so gemeint.“Damals war es schwieriger, die mussten einen Brief schreiben. Ich glaube aber, dass dieser Hass schon immer da war. Ich habe in meinem Buch „Der Ehrliche ist der Dumme“im Jahr 1994 über eine Untersuchung zu Hass geschrieben, der von jungen Männern in Sachsen und anderen Gebieten geäußert wird. Da kam heraus: Das hat mit links und rechts nichts zu tun, sondern mit dem Frust dieser jungen Leute. Jetzt lese ich ein Interview mit dem Verfassungsschutzpräsidenten, und der sagt genau das Gleiche heute. Ich frage mich: Warum hat die Gesellschaft in den vergangenen 25 Jahren nicht gelernt, damit umzugehen?
1949
geboren in Tokio, der Vater diente als deutscher Diplomat. Ulrich Wickert wuchs in Heidelberg und Paris auf, studierte später in den USA.
1969
erhält er seine erste Anstellung als Journalist, damals beim politischen Fernsehmagazin „Monitor“. Später wird er als ARDKorrespondent nach Washington, Paris und New York geschickt.
1969
wird er als Moderator der Tagesthemen zum Gesicht der deutschen Abendnachrichten. Berühmt wird seine Abmoderation: „. . . einen angenehmen Abend und eine geruhsame Nacht“.
2006
Wickert geht in Pension und schreibt unter anderem
Bücher, darunter eine Krimi-Serie. Zu Beginn des Jahres wurde sein Buch „Der Ehrliche ist der Dumme. Über den Verlust der Werte“aus dem Jahr 1994 mit einem neuen Vorwort neu aufgelegt (Hoffmann und Campe, 24 Euro).