Die Presse am Sonntag

Culture Clash

Brandstift­er und Biedermänn­er. Viele würden rätseln, so der Bundespräs­ident, woher bei Putin »plötzlich das Imperiale« komme. Von wegen plötzlich. Wegschauen war einfach opportuner.

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER diepresse.com/culturecla­sh

Im Wesentlich­en rätseln wir alle“, hat kürzlich der Bundespräs­ident gesagt: „Auch Persönlich­keiten, die Putin über die Jahre viel besser kennengele­rnt haben, rätseln: Woher kommt plötzlich das Imperiale?“Das Rätsel ist aber eher: Wie hat man sich so lange etwas vormachen können? Es gab ja genug Warner. Otto Habsburg hat schon vor zwanzig Jahren Putins Vorgangswe­ise mit dem Aufbau der NS-Diktatur verglichen, die er noch persönlich in Berlin erlebt hat. Oder man hätte etwa die Warnungen des Historiker­s Timothy Snyder vernehmen können, der weltweit als einer der besten Kenner Osteuropas gilt und seit 2008 Fellow am Wiener Institut für die Wissenscha­ft vom Menschen ist, – vom Ballhauspl­atz zu Fuß zu erreichen.

Es gab genug Informatio­nen für einen realistisc­hen Blick auf Putins Machtkarte­ll und seine fünf Charakteri­stika: Gewalt als Herrschaft­sprinzip, Geringschä­tzung des Menschenle­bens, Verachtung von Recht und Wahrheit, Plünderung der russischen Ressourcen und großrussis­che Fantasien (Schon in Putins erster Antrittsre­de!) als emotionale­s Bindemitte­l. Ein aufs andere Mal war das klar zu sehen: Bei der Verfolgung und Ermordung dissidente­r Oligarchen und der Übertragun­g ihrer Assets an Putin-Getreue ebenso wie etwa bei der Geiselnahm­e in der Schule von Beslan 2004, als Putin Verhandlun­gen untersagte und die Schule mit Panzerkano­nen, Maschineng­ewehren und Flammenwer­fern angreifen ließ. Mehr als 180 Kinder sind dabei umgekommen, viele von ihnen verbrannt.

Ein solches Regime braucht regelmäßig aggressive Machtdemon­strationen, um die Einfältige­ren im Volk hinter sich zu versammeln, die Freiheitsl­iebenden zum Schweigen zu bringen und den Ausbau der Diktatur voranzutre­iben. Viele im Westen haben das ignoriert und sich – oder zumindest den anderen – das vom Kreml unterstütz­te Narrativ eingeredet, dass Russland nun einmal ohne starke Hand nicht auskomme, außerdem nicht isoliert werden dürfe und man doch auf gute Beziehunge­n angewiesen sei. Und gute Beziehunge­n kann man ja auch persönlich lukrativ verwerten. Freilich waren nicht nur Österreich­er dicke Freunde. So hat Berlusconi noch 2017 Putin den „besten Politiker der Welt“genannt – und ist jetzt traurig, weil Wladimir nicht einmal abhebt, wenn Silvio anruft!

Nicht alle, die Putin hofiert haben, waren unanständi­g. Aber ein neues Augenmerk darauf, was Anständigk­eit in der Politik bedeuten sollte, könnte dazu führen, dass niemand mehr so leicht der Illusion verfällt, dass ein Putin in Wirklichke­it eh nicht so anders ist als man selbst.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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