Culture Clash
Brandstifter und Biedermänner. Viele würden rätseln, so der Bundespräsident, woher bei Putin »plötzlich das Imperiale« komme. Von wegen plötzlich. Wegschauen war einfach opportuner.
Im Wesentlichen rätseln wir alle“, hat kürzlich der Bundespräsident gesagt: „Auch Persönlichkeiten, die Putin über die Jahre viel besser kennengelernt haben, rätseln: Woher kommt plötzlich das Imperiale?“Das Rätsel ist aber eher: Wie hat man sich so lange etwas vormachen können? Es gab ja genug Warner. Otto Habsburg hat schon vor zwanzig Jahren Putins Vorgangsweise mit dem Aufbau der NS-Diktatur verglichen, die er noch persönlich in Berlin erlebt hat. Oder man hätte etwa die Warnungen des Historikers Timothy Snyder vernehmen können, der weltweit als einer der besten Kenner Osteuropas gilt und seit 2008 Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen ist, – vom Ballhausplatz zu Fuß zu erreichen.
Es gab genug Informationen für einen realistischen Blick auf Putins Machtkartell und seine fünf Charakteristika: Gewalt als Herrschaftsprinzip, Geringschätzung des Menschenlebens, Verachtung von Recht und Wahrheit, Plünderung der russischen Ressourcen und großrussische Fantasien (Schon in Putins erster Antrittsrede!) als emotionales Bindemittel. Ein aufs andere Mal war das klar zu sehen: Bei der Verfolgung und Ermordung dissidenter Oligarchen und der Übertragung ihrer Assets an Putin-Getreue ebenso wie etwa bei der Geiselnahme in der Schule von Beslan 2004, als Putin Verhandlungen untersagte und die Schule mit Panzerkanonen, Maschinengewehren und Flammenwerfern angreifen ließ. Mehr als 180 Kinder sind dabei umgekommen, viele von ihnen verbrannt.
Ein solches Regime braucht regelmäßig aggressive Machtdemonstrationen, um die Einfältigeren im Volk hinter sich zu versammeln, die Freiheitsliebenden zum Schweigen zu bringen und den Ausbau der Diktatur voranzutreiben. Viele im Westen haben das ignoriert und sich – oder zumindest den anderen – das vom Kreml unterstützte Narrativ eingeredet, dass Russland nun einmal ohne starke Hand nicht auskomme, außerdem nicht isoliert werden dürfe und man doch auf gute Beziehungen angewiesen sei. Und gute Beziehungen kann man ja auch persönlich lukrativ verwerten. Freilich waren nicht nur Österreicher dicke Freunde. So hat Berlusconi noch 2017 Putin den „besten Politiker der Welt“genannt – und ist jetzt traurig, weil Wladimir nicht einmal abhebt, wenn Silvio anruft!
Nicht alle, die Putin hofiert haben, waren unanständig. Aber ein neues Augenmerk darauf, was Anständigkeit in der Politik bedeuten sollte, könnte dazu führen, dass niemand mehr so leicht der Illusion verfällt, dass ein Putin in Wirklichkeit eh nicht so anders ist als man selbst.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.