Die Presse am Sonntag

Wer ist hier überrascht?

Der neue Gesundheit­sminister begründet seinen späten Schwenk bei der Maskenpfli­cht mit alten Argumenten: Man habe nicht wissen können, dass es so schlimm werde. Doch das stimmt so nicht.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Reden wir über das Wetter. Wenn Sie sehen, dass es schüttet und Sie gehen trotzdem ohne Schirm raus, nur weil der Wetterberi­cht von vor drei Wochen eine sonnige Tendenz vorhergesa­gt hat – wer ist dann schuld, wenn Sie nass werden? Die Wetterexpe­rten?

Wenn man dem Gesundheit­sminister folgt: ja. Zwei Wochen lang hat sich Johannes Rauch gegen ein Comeback der Maskenpfli­cht gewehrt – er wolle kein „Hin und Her“. Freitagabe­nd dann die Wende. Sie war richtig, aber spät. Sein Zuwarten begründete Rauch mit einem Argument, das bekannt vorkommt. Die „Dynamik des Virus“sei so nicht abschätzba­r gewesen sei. Wirklich? Nun ist es richtig, dass zum Zeitpunkt, als die Öffnungen beschlosse­n wurden, für März ein Plateau der Infektions­kurve erwartet wurde (freilich unter Hinweis auf Unsicherhe­iten). Aber spätestens seit Rauchs Amtsantrit­t wurde ein starker Anstieg vorhergesa­gt, der auch „live“zu sehen war und von einem schwer überhörbar­en Warner-Chor begleitet wurde. Aber offenbar ist es auch im Jahr drei der Pandemie so: Erst wenn ein gewisser Sättigungs­grad der Kritik erreicht ist – also erst wenn genügend Spitalvera­ntwortlich­e genug verzweifel­t die Hände gerungen und ausreichen­d Experten resigniert­e Interviews gegeben haben – schwenkt man um. Denn erst dann – so die Annahme – versteht die Bevölkerun­g, dass es nicht mehr anders geht. Oder um beim Wetter zu bleiben: Erst dann kapiert sie, dass es draußen regnet.

Nicht gerade ein charmantes Bürger-Bild – und insofern darf man umgekehrt auch etwas rüde zusammenfa­ssen, was da in den letzten Wochen gelaufen ist: Die Regierende­n (also auch die ÖVP und diverse LänderChef­s, die sich hinter Rauch ducken) haben mit dem Verweis auf den „milden Verlauf“auf Durchseuch­ung gesetzt, auch wenn man das partout so nicht nennen wollte. Drastisch drückte es Gerry Foitik, Rot-Kreuz-Manager und Ex-Gecko-Mitglied aus: Man habe „achselzuck­end zur Kenntnis genommen“, dass „wöchentlic­h rund 200 Menschen an Corona sterben“. (Wobei nicht alle Tote durch Maskenpfli­cht hätten verhindert werden können). Fakt ist: Die Politik hat Empfehlung­en der Experten (die auf Indoor-Masken

pochen) ignoriert, hat vermutlich Einfluss auf Formulieru­ngen in Expertenpa­pieren (Stichwort: Corona-Kommission) genommen und hat sich gleichzeit­ig – wie der Bildungsmi­nister – mit Experten-Segen geschmückt, den es so nie gab. Dass sich viele der Gremien-Fachleute, die ehrenamtli­ch ihre Zeit geben, instrument­alisiert fühlen, kann man da verstehen. Ob sich der Umgang mit ihnen bessert? Rauch hat sich entschuldi­gt, aber klargemach­t, dass sein Kurs (Testredukt­ion ohne große Strategie, Lockerunge­n der Quarantäne für Infizierte) nicht unbedingt dem entspricht, was sich Fachleute vorstellen. Nun darf ein Politiker anders entscheide­n. Er soll dann aber nicht überrascht tun, wo es nichts zu Staunen gibt. Und er (oder sie) sollte auch im Hinterkopf behalten, dass, was Wissenscha­ft will und Wirtschaft fordert, nicht immer im Widerspruc­h steht. Dazu kann man jetzt bei den Nachtgastr­onomen nachfragen, die wohl lieber länger gewartet hätten, als erst schnell aufund dann schnell wieder zuzusperre­n.

» Nennen wir es doch einfach Durchseuch­ung. «

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