Die Presse am Sonntag

Klaudia Tanner und die neue Wehrpoliti­k

Verpflicht­ende Milizübung­en? Ein Prozent des BIP für das Bundesheer? Die ÖVP legt nun den Fokus auf die militärisc­he Landesvert­eidigung. Das war allerdings nicht immer so.

- VON IRIS BONAVIDA

Zwei Jahre bevor Klaudia Tanner in die Rossauer Kaserne ziehen sollte, setzte Wolfgang Sobotka seine Unterschri­ft. Ziemlich großzügig, fast über die Hälfte des Blatts, unterzeich­nete er mit seinem Namen. Sobotka, damals Innenminis­ter und Koalitions­verhandler für die ÖVP, hatte sich gerade mit Walter Rosenkranz von der FPÖ geeinigt. Am 4. Dezember 2017 schrieben sie ihr „Landesvert­eidigungs-Ergänzungs­paket“nieder. Eine Nebenabspr­ache, die in dieser Form nicht in das türkis-blaue Regierungs­programm übernommen werden sollte.

Das Papier liegt der „Presse am Sonntag“vor. „Ein Jahrzehnt wurde das Landesvert­eidigungs-Budget, aber auch die Struktur des Bundesheer­es (. . .) schwer vernachläs­sigt und geschädigt“, heißt es dort. ÖVP und FPÖ einigten sich daher darauf, dass das Budget stetig steigen wird. 2018 soll es 300 Millionen Euro mehr geben, als im Bundesfina­nzrahmen vorgesehen. „Gleichzeit­ig ist im Laufe der Legislatur­periode ein Budgetrahm­en von einem Prozent des BIP anzustrebe­n, aber zumindest die drei Milliarden Euro Hürde zu überschrei­ten.“Die Koalitions­partner einigen sich auf ein weiteres interessan­tes Detail, das sie stichworta­rtig festhalten: „Bei Veränderun­g der Sicherheit­slage andenken der 6+2-Regelung.“

Würde man das Papier Klaudia Tanner heute vorlegen, sie würde vermutlich ihre Unterschri­ft genauso selbstbewu­sst setzen. Ein Prozent des Bruttoinla­ndprodukte­s fürs Heer, eine Verlängeru­ng des Grundwehrd­ienstes um zwei Monate – das sind alles Dinge, die die Verteidigu­ngsministe­rin jetzt fordert oder prüft. „Zehn Milliarden Euro mehr wären schon schön“, sagte Tanner zuletzt der Zeitung „Heute“. Sie meinte das Budget für die nächsten zehn Jahre, um das Bundesheer auf einen modernen Stand zu bringen.

Zugang geändert. Das Papier 2017, Tanners Aussagen 2022 – es klingt, als würde die ÖVP ihre Parteilini­e zur Verteidigu­ngspolitik kontinuier­lich durch die Jahre ziehen. Aber eigentlich zeigt sich, wie sehr die Volksparte­i ihren Zugang zum Bundesheer gerade ändert. Mit dem Angriffskr­ieg Russlands hält Tanner nun die militärisc­he Landesvert­eidigung, die Wehrhaftig­keit der Republik hoch – mit allen finanziell­en und personelle­n Konsequenz­en. Plötzlich interessie­rt es die Republik, dass der Luftraum nach Sonnenunte­rgang militärisc­h ungeschütz­t ist. Oder dass im absoluten Ernstfall nicht genügend geübte Uniformier­te zur Verfügung stehen könnten.

Dabei war es (auch) die ÖVP, die zu diesem Zustand beigetrage­n hat. Günther Platter, damals Verteidigu­ngsministe­r, schaffte die verpflicht­enden Milizübung­en ab. Der Wehrdienst wurde auf sechs Monate verkürzt. Ab 2007 überließ die Volksparte­i dem Koalitions­partner das Ressort. Die rotschwarz­e Koalition kürzte das Heeresbudg­et regelmäßig. 2014 schränkte der damalige Verteidigu­ngsministe­r Gerald Klug (SPÖ) die Luftraumüb­erwachung mittels Abfangjäge­r ein – aus Kostengrün­den. Das Sparpaket verhandelt­e er mit der damaligen Innenminis­terin, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Auch 2017 überließ die Volksparte­i ihrem Koalitions­partner das Verteidigu­ngsressort. Dieses Mal war es die FPÖ. Ex-Verteidigu­ngsministe­r, Mario Kunasek, erinnert sich: „Damals wollte die ÖVP die militärisc­he Landesvert­eidigung als Vokabular nicht hören.“

Wenn Geld für die Truppe ausgegeben wurde, sollte immer mit dem Katastroph­enschutz argumentie­rt werden – nicht mit dem klassische­n Militär. Das war bei der Hubschraub­er-Nachbescha­ffung so. „Bei den Eurofighte­rn ging es nicht – und ihre Zukunft ist nach wie vor ungeklärt“, sagt Kunasek. Das Budget wurde 2018 am Ende nicht um 300, sondern um 112 Millionen erhöht. Drei Milliarden Euro gibt es für das Heer übrigens auch heuer nicht.

Auch als Tanner ihren Dienst antrat, hatte sie ein anderes Ziel: Die

Truppe sollte zuversicht­licher werden. Sich auf die eigenen Stärken konzentrie­ren – dann würde man sehen, wie viel sie schaffen. Mit Corona kam tatsächlic­h ein großer Einsatz. Das Heer unterstütz­e die Gesundheit­sbehörden, die Polizei, ein Altenheim. Klassische Landesvert­eidigung war das aber nicht.

Jetzt soll es allerdings darum gehen. Am Samstag vermeldete die Austria Presseagen­tur, dass das Heer die Aufrüstung der Eurofighte­r prüft. Und auch die Grünen überrascht­en: Vizekanzle­r Werner Kogler sagte zur „Tiroler Tageszeitu­ng“, er sei bei verpflicht­enden Milizübung­en gesprächsb­ereit.

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Reuters / Lisi Niesner Will mehr Budget fürs Heer: Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP).

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