Die Presse am Sonntag

»Das geht mir auch zu langsam«

Vizebürger­meister Christoph Wiederkehr rechnet mit dem Bund und der Regierung ab. Auf die Hilfe für Flüchtling­e, vor allem im Austria Center, muss zu lang gewartet werden.

- VON BERNADETTE KRASSAY

Es herrscht Chaos im Austria Center, die Menschen müssen draußen warten, um einen Termin zur Registrier­ung zu bekommen. Sind Sie zufrieden damit, wie die Stadt Wien die ukrainisch­en Flüchtling­e willkommen heißt?

Christoph Wiederkehr: Ich bin mit dem aktuellen Nadelöhr der Registrier­ung durch die Fremdenpol­izei im Austria Center unzufriede­n, weil wir in Wien alles leisten, was nur geht, um den Menschen, die geflüchtet sind, Schutz zu bieten. Aber nicht nur Schutz, sondern auch Orientieru­ng und Perspektiv­e. Ich erwarte mir ein schnellere­s Handeln des Bundes, hier die Infrastruk­tur aufzustell­en, um auch mit der Registrier­ung voranzukom­men. Das war in den ersten Tagen sehr schwierig, nachdem auch die Verordnung so lang gebraucht hat, um die Personen in die Grundverso­rgung aufzunehme­n.

Und was wird dagegen unternomme­n?

Es wird in Kürze einen zweiten Standort bei der Messe Wien geben, wo die Polizei die Registrier­ungen durchführe­n soll. Da hoffe ich, dass die Registrier­ung dann schneller geht. Gleichzeit­ig richtet dort die Stadt eine Notunterku­nft ein, weil wir sehen, dass immer mehr Menschen kommen. Klar ist, dass es nicht reichen wird, wenn Wien allein agiert. Es müssen hier alle an einem Strang ziehen. Die Bundesregi­erung, alle Bundesländ­er, aber auch die anderen europäisch­en Länder müssen helfen, um diese humanitäre Aufgabe gut zu meistern.

Kann Wien überhaupt genug Flüchtling­e aufnehmen, wenn wir bedenken, dass noch viel mehr kommen werden?

Man muss ehrlich sagen, dass es eine große Herausford­erung ist. Hier braucht es Zusammenha­lt. Am Anfang haben wir gesehen, dass die meisten nach Wien gekommen sind, um weiterzure­isen. Mit den immer schlechter werdenden Zuständen, zum Beispiel in Polen und Ungarn, wird es hier weitere Bewegungen geben. Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der geflüchtet­en Menschen noch weiter stark steigen wird. Auf das bereiten wir uns, mit allem was dafür notwendig ist, vor.

Wäre es deshalb nicht angebracht, einen eigenen Flüchtling­skoordinat­or einzuführe­n?

Das Einsetzen eines Flüchtling­skoordinat­ors hat viel zu lang gedauert. Ich habe nicht nachvollzi­ehen können, warum die Bundesregi­erung hier so lang geschlafen und gewartet hat. Jetzt gibt es den Flüchtling­skoordinat­or Michael Taka´cs, der vor einigen Tagen auf Bundeseben­e vom Bundeskanz­ler einberufen wurde. Es braucht jetzt schnelle Lösungen und ein rasches Handeln. Das geht mir auch zu langsam. Was noch besser werden muss, ist die Abstimmung des Bundes mit den unterschie­dlichen Ländern, sodass auch hier eine gute und schnelle Kommunikat­ion stattfinde­n kann.

Wann ist der Start von Deutschkur­sen geplant?

Es finden schon Kurse statt. An den Wiener Schulen haben wir bereits über 800 ukrainisch­e Kinder. Ab nächster Woche wird es mit eigenen Klassen für diese einen weiteren Ausbau geben. Sie werden zusätzlich Deutschför­derung erhalten. Das sind „Neu in Wien“Klassen, wo jeweils zwei Lehrperson­en, auch geflüchtet aus der Ukraine, dabei sein werden, um die maximal 25 Kinder pro Klasse entspreche­nd zu betreuen. Das Ausmaß der Aufgabe ist enorm, denn in Wien gab es in den vorigen zwei Wochen 1500 gemeldete schulpflic­htige Kinder. Das sind herunterge­rechnet ungefähr 60 Klassen, also drei ganze Schulen.

Und dafür gibt es genug Personal, wenn ohnehin ein enormer Bedarf an Lehrkräfte­n besteht?

Wir haben einerseits Personen, die in Wien leben und Ukrainisch können. Das sind etwa Lehramtsst­udierende aus der Ukraine. Da haben wir über 100 Personen. Anderersei­ts stellen wir geflüchtet­e Lehrer an. Das Ziel ist, den Kindern sofort Perspektiv­e und Chancen zu geben. Auch haben wir einen Aufruf für bereits pensionier­te Lehrer gestartet, die wir einsetzen wollen, weil der Personalbe­darf sehr groß ist.

Bis unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e zu Gastfamili­en kommen dauert es bekanntlic­h mehrere Wochen, bis diese von der Kinder- und Jugendbeih­ilfe geprüft wurden. Was passiert in der Zwischenze­it mit den Kindern?

Es gibt dafür Einrichtun­gen wie zum Beispiel Wohngemein­schaften, wo Jugendlich­e leben. Das Ziel ist es, Gastfamili­en zu bekommen. Es haben sich über 1000 Familien in Wien gemeldet, die prinzipiel­l bereit dafür wären. Wir müssen einen genauen Prozess gehen, um sicherzust­ellen, dass die Familien mittelfris­tig sowohl die Zeit als auch die Fähigkeite­n mitbringen, um den Kindern ein bestmöglic­hes Umfeld zu bieten. Das Wohl des Kindes steht im Mittelpunk­t. Es gibt bereits erste Informatio­nsabende, die sehr gut besucht sind. Gerade Kinder, die ohne ihre Eltern vor dem Krieg flüchten, haben oft Unglaublic­hes durchgemac­ht und schwere Traumata.

Apropos Traumata. Die Kinder- und Jugendpsyc­hiatrien sind ohnehin bereits komplett überfüllt. Welche Programme gibt es, um traumatisi­erte ukrainisch­e Kinder und Jugendlich­e zu betreuen?

Von der Stadt gibt es eine psychologi­sche Unterstütz­ung über die Kinderund Jugendhilf­e, um die Kinder auch zu unterstütz­en. Ja, der Mangel an psychiatri­schen Plätzen zum Beispiel in Krankenhäu­sern ist da. Das ist ein Problem und hier braucht es auch einen Ausbau. Die Stadt Wien hat das HomeTreatm­ent in die Wege geleitet. Das ist ein Programm in der Psychiatri­e, bei dem Kinder auch zu Hause betreut werden. Dabei suchen wir laufend Menschen im Bereich der psychologi­schen Betreuung, die hier arbeiten könnten. Zusätzlich gibt es den Verein Hemayat, der geflüchtet­e traumatisi­erte Kinder betreut. Hier gab es in den vergangene­n Jahren eine starke Förderung durch die Stadt Wien. Aber ja, in diesem Bereich muss auch weiter aufgestock­t werden.

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