Engpässe, höhere Preise: Was noch auf uns zukommt
Der Krieg in der Ukraine und die hohen Energiekosten werfen auch die Lebensmittel-Logistik durcheinander. Die heimischen Supermarktketten beschwichtigen noch, ein Großhändler warnt vor sich abzeichnenden gravierenden Auswirkungen.
Eigentlich habe er sich fest vorgenommen, niemanden zu beunruhigen, sagt Christoph Kastner, Chef des gleichnamigen Lebensmittelgroßhändlers zur „Presse am Sonntag“. „Aber die Situation ist extrem ernst.“Allein in den vergangenen zweieinhalb Wochen hätten sich mehr als 50 Lieferanten mit teilweise saftigen Preiserhöhungen an ihn gewandt. Die Botschaft sei unmissverständlich: Wenn mit der nächsten Bestellung die Preisforderungen nicht erfüllt werden, gibt es keine Ware mehr. Verhandlungsspielraum gäbe es da keinen, sagt Kastner, der auch die Situation der Produzenten nachvollziehen kann.
Die Gründe für die Preiserhöhungen sind vielschichtig. Zum einen sind da natürlich die hohen Energiekosten. Die heimische Lebensmittelindustrie benötigt etwa 3,5 Terawattstunden (TWh) Gas pro Jahr, das sind rund zehn Prozent des jährlichen Gasbedarfs der gesamten Industrie.
Erste europäische Fabriken, die Zellstoff für Klopapier und Küchenrollen herstellen, haben ihre Produktion vorübergehend eingestellt. Kastner erwartet hier zweistellige Preiserhöhungen. Selbiges gilt für die energieaufwendige Herstellung von WeißblechKonservendosen, die für Europa vor allem in der Ukraine produziert werden.
Sollte der Krieg länger dauern, könnte es hier zu Knappheit kommen. Das gilt auch für andere Verpackungsmaterialien. Die Kosten für Papier- und Kartonverpackungen haben sich zuletzt verdreifacht, ebenso für Glas.
Von seinen Lieferanten weiß Kastner, dass es auch bei Speisefetten zu massiven Engpässen kommen wird – speziell bei Sonnenblumenöl, dessen größter Exporteur die Ukraine ist. Andere pflanzliche Öle könnten einen Ausfall zwar kompensieren, im Gegenzug wird aber auch deren Preis steigen.
In Spanien ist Sonnenblumenöl seit Tagen ausverkauft. Die Regale stehen dort in vielen Supermärkten aufgrund von Hamsterkäufen leer. „Wir haben Speiseöl nachbestellt, aber bekommen seit Tagen nichts“, sagte ein Angestellter eines Supermarkts bei Barcelona. Das Gleiche gelte für Mehl, das derzeit auch kaum mehr zu haben sei. Auch Regale für Nudeln, Haferflocken und Hülsenfrüchte waren fast leer. Für diese Produkte sind die Ukraine und Russland ebenso ein wichtiger Rohstoffmarkt. Auch andere europäische Länder bereiten sich auf eine Verknappung bestimmter Waren vor.
Noch keine Engpässe. Die großen österreichischen Supermarktketten zeigen sich gegenüber der „Presse am
3,5 TWh Gas
braucht die heimische Lebensmittelindustrie. Das entspricht einem Zehntel des jährlichen Gasverbrauchs der gesamten Industrie.
Sonntag“noch entspannt. Zwar höre man von Lieferanten, dass es zum Teil schwierig sei, an Rohwaren zu kommen, bisher funktioniere die Belieferung aber problemlos. Im Gegensatz zu anderen Ländern gäbe es in Österreich bisher auch keine Hamsterkäufe. Die heimische Lebensmittelindustrie stehe vor einer „historischen Kostenwelle“, sagt Katharina Koßdorff vom Fachverband der Lebensmittelindustrie. Engpässe erwartet sie nicht.
Die Lage werde sich aber auch hierzulande noch zuspitzen, ist Großhändler Kastner überzeugt. Europaweit fehlt etwa jeder zehnte Lkw-Fahrer für die Distribution. Viele von ihnen kommen aus der Ukraine, sie müssen jetzt für ihr Land kämpfen. Und auch die frühjährliche Aussaat steht an, Landwirte fordern anlässlich der angespannten Situation, Brachflächen für den Lebensmittelanbau freizugeben. Eine politische Entscheidung würde es bald brauchen, steht aber noch aus.
Europaweit fehlt jeder zehnte Lkw-Fahrer. Viele von ihnen verteidigen jetzt ihre Heimat.