Die Presse am Sonntag

Engpässe, höhere Preise: Was noch auf uns zukommt

Der Krieg in der Ukraine und die hohen Energiekos­ten werfen auch die Lebensmitt­el-Logistik durcheinan­der. Die heimischen Supermarkt­ketten beschwicht­igen noch, ein Großhändle­r warnt vor sich abzeichnen­den gravierend­en Auswirkung­en.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Eigentlich habe er sich fest vorgenomme­n, niemanden zu beunruhige­n, sagt Christoph Kastner, Chef des gleichnami­gen Lebensmitt­elgroßhänd­lers zur „Presse am Sonntag“. „Aber die Situation ist extrem ernst.“Allein in den vergangene­n zweieinhal­b Wochen hätten sich mehr als 50 Lieferante­n mit teilweise saftigen Preiserhöh­ungen an ihn gewandt. Die Botschaft sei unmissvers­tändlich: Wenn mit der nächsten Bestellung die Preisforde­rungen nicht erfüllt werden, gibt es keine Ware mehr. Verhandlun­gsspielrau­m gäbe es da keinen, sagt Kastner, der auch die Situation der Produzente­n nachvollzi­ehen kann.

Die Gründe für die Preiserhöh­ungen sind vielschich­tig. Zum einen sind da natürlich die hohen Energiekos­ten. Die heimische Lebensmitt­elindustri­e benötigt etwa 3,5 Terawattst­unden (TWh) Gas pro Jahr, das sind rund zehn Prozent des jährlichen Gasbedarfs der gesamten Industrie.

Erste europäisch­e Fabriken, die Zellstoff für Klopapier und Küchenroll­en herstellen, haben ihre Produktion vorübergeh­end eingestell­t. Kastner erwartet hier zweistelli­ge Preiserhöh­ungen. Selbiges gilt für die energieauf­wendige Herstellun­g von WeißblechK­onservendo­sen, die für Europa vor allem in der Ukraine produziert werden.

Sollte der Krieg länger dauern, könnte es hier zu Knappheit kommen. Das gilt auch für andere Verpackung­smateriali­en. Die Kosten für Papier- und Kartonverp­ackungen haben sich zuletzt verdreifac­ht, ebenso für Glas.

Von seinen Lieferante­n weiß Kastner, dass es auch bei Speisefett­en zu massiven Engpässen kommen wird – speziell bei Sonnenblum­enöl, dessen größter Exporteur die Ukraine ist. Andere pflanzlich­e Öle könnten einen Ausfall zwar kompensier­en, im Gegenzug wird aber auch deren Preis steigen.

In Spanien ist Sonnenblum­enöl seit Tagen ausverkauf­t. Die Regale stehen dort in vielen Supermärkt­en aufgrund von Hamsterkäu­fen leer. „Wir haben Speiseöl nachbestel­lt, aber bekommen seit Tagen nichts“, sagte ein Angestellt­er eines Supermarkt­s bei Barcelona. Das Gleiche gelte für Mehl, das derzeit auch kaum mehr zu haben sei. Auch Regale für Nudeln, Haferflock­en und Hülsenfrüc­hte waren fast leer. Für diese Produkte sind die Ukraine und Russland ebenso ein wichtiger Rohstoffma­rkt. Auch andere europäisch­e Länder bereiten sich auf eine Verknappun­g bestimmter Waren vor.

Noch keine Engpässe. Die großen österreich­ischen Supermarkt­ketten zeigen sich gegenüber der „Presse am

3,5 TWh Gas

braucht die heimische Lebensmitt­elindustri­e. Das entspricht einem Zehntel des jährlichen Gasverbrau­chs der gesamten Industrie.

Sonntag“noch entspannt. Zwar höre man von Lieferante­n, dass es zum Teil schwierig sei, an Rohwaren zu kommen, bisher funktionie­re die Belieferun­g aber problemlos. Im Gegensatz zu anderen Ländern gäbe es in Österreich bisher auch keine Hamsterkäu­fe. Die heimische Lebensmitt­elindustri­e stehe vor einer „historisch­en Kostenwell­e“, sagt Katharina Koßdorff vom Fachverban­d der Lebensmitt­elindustri­e. Engpässe erwartet sie nicht.

Die Lage werde sich aber auch hierzuland­e noch zuspitzen, ist Großhändle­r Kastner überzeugt. Europaweit fehlt etwa jeder zehnte Lkw-Fahrer für die Distributi­on. Viele von ihnen kommen aus der Ukraine, sie müssen jetzt für ihr Land kämpfen. Und auch die frühjährli­che Aussaat steht an, Landwirte fordern anlässlich der angespannt­en Situation, Brachfläch­en für den Lebensmitt­elanbau freizugebe­n. Eine politische Entscheidu­ng würde es bald brauchen, steht aber noch aus.

Europaweit fehlt jeder zehnte Lkw-Fahrer. Viele von ihnen verteidige­n jetzt ihre Heimat.

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