Die Presse am Sonntag

Wie der Krieg Kinder belastet

Auch Familien, die keinen Bezug zur Ukraine haben, belasten die Nachrichte­n über den Ukraine-Krieg. Wie man mit Kindern darüber redet und Jugendlich­en ihre Sorgen nimmt.

- VON KARIN SCHUH

Es ist ein Reflex, der nur allzu verständli­ch ist. Gerade kleine Kinder will man vom Schrecken des Krieges bewahren. Sie sollen nicht damit belastet werden, was uns belastet. In der Theorie klingt das gut, nur an der Praxis scheitert das Vorhaben – und kann sogar nach hinten losgehen. Denn Kinder wachsen nicht in einer Blase auf, sondern gemeinsam mit Erwachsene­n, die eben auch Sorgen und Ängste haben. Sie bekommen es durchaus mit, dass da etwas ist, das den Großen Sorge macht. Und wenn es totgeschwi­egen wird, reimen sie sich ihre eigene Erklärung zusammen, die sehr oft noch viel schlimmer als die Realität ist.

Seit in der Ukraine Krieg herrscht, belastet das auch hier Eltern und Kinder, die keinen Bezug zur Ukraine haben. Bei Beratungss­tellen wie Rat auf Draht oder der Boje gibt es zwar nicht verstärkt mehr Anfragen, die sich nur auf die Nachrichte­n über den UkraineKri­eg beziehen. Aber jene Kinder, Jugendlich­e und Eltern, mit denen die

Beratungss­tellen Kontakt haben, thematisie­ren den Ukraine-Krieg durchaus. Kinder und Jugendlich­en wollen vor allem wissen, ob das auch zu uns kommen kann, wie es den Menschen dort geht und – sofern sie davon gehört haben – wie es mit der atomaren Bedrohung aussieht. Eltern wollen schlicht wissen, wie sie das alles ihren Kindern erklären sollen und sie dabei trotzdem schützen können.

Schlafstör­ungen und Bauchweh. „Kinder haben Angst, dass der Krieg auch zu uns kommen kann und sie haben ein starkes Mitgefühl für die Menschen in der Ukraine“, sagt Ines Campuzano von der Beratungss­telle Rat auf Draht. Das äußert sich oft in Ängsten, Schlafstör­ungen, bei kleineren Kindern auch durch Bauchschme­rzen oder Kopfweh. Wie Kinder auf die Nachrichte­n über den Krieg reagieren, hängt nicht nur von der Altersgrup­pe ab, sondern auch davon, wie viel sie wissen.

Die Psychologi­n empfiehlt die Art und Weise der Informatio­n jeweils auf das Kind individuel­l abzustimme­n. Und vorher zu beobachten oder bei älteren Kindern nachzufrag­en, was sie diesbezügl­ich schon wissen und wo sie Fragen haben. Bei kleinen Kindern lässt sich das im Spiel oder durchs Malen beobachten. Keinesfall­s sollte man Kinder mit Informatio­nen und schon gar nicht Bildern überfluten. In kindergere­chter Sprache soll man dann das verpacken, was sie wissen wollen. Also zum Beispiel erklären, dass zwei Länder streiten und ein Anführer etwas haben will, das der andere nicht hergeben will. „Bei Kindern unter zehn Jahren kann man sich gemeinsam Kindernach­richten anschauen“, so Campuzano. Wichtig sei auch, Gesprächsb­ereitschaf­t zu signalisie­ren, zu vermitteln, dass man seine Sorgen ernst nimmt und dass es jederzeit nachfragen kann.

Auf sich selbst schauen. Und man dürfe als Erwachsene­r auch durchaus sagen, dass man selbst vielleicht gerade überforder­t ist und das nochmal mit einem Erwachsene­n besprechen will oder sich eben erst erkundigen muss. „Kinder brauchen vor allem Erwachsene, die auf sich selbst schauen“, sagt Campuzano. Kinder spüren nämlich, wenn die Eltern besorgt sind.

„Totschweig­en ist bei den schlimmen Dingen immer schlecht“, sagt auch Christine Koska, ärztliche Leiterin der Beratungss­telle Boje. „Die schlimmen Dinge sind ja schon passiert und das ist schlimm. Aber darüber zu reden, ist nicht schlimm“, meint sie. Und: Wenn Erwachsene die Thematik bewusst unterdrück­en und aussparen wollen, spüren das die Kinder. Die reimen sich dann ihre eigene Erklärung zusammen. „Und die Fantasie ist meist wilder als die Realität“, sagt Koska.

Neben dem ehrlichen und kindgerech­ten Gespräch solle man den Kindern

aber auch vermitteln, dass das „eine Erwachsene­nsache“sei, dass es also auch eine Hierarchie des Schutzes gibt. Dass eben das Land Österreich und die Politik aufpasst, dass uns nichts passiert. Und dass die Eltern eben aufpassen, dass es dem Kind gut geht.

Trotzdem Spaß haben. Ebenso sei es wichtig, den Kindern und Jugendlich­en zu vermitteln, dass es legitim ist, dass sie dennoch schöne Dinge erleben und auch Spaß haben dürfen. Und dass man kein schlechtes Gewissen haben muss, weil es einem selbst gut geht. Gleichzeit­ig kann es Kindern und Jugendlich­en helfen, aktiv zu werden, selbst etwas zu tun, in dem man gemeinsam spendet, Hilfe anbietet oder auch nur Zeichen setzt.

Besonders hart ist die Zeit – auch in Kombinatio­n mit der Pandemie und der Klimakrise – für Jugendlich­e. „Kinder leben mehr in der Gegenwart, Jugendlich­e sind in ihrem Denken schon mehr in der Zukunft“, sagt Koska. Sie beobachtet besonders bei ihnen verstärkt

Kinder spüren, wenn wir besorgt sind. Totschweig­en funktionie­rt deshalb nicht. »Diese Generation muss sehr, sehr schnell erwachsen werden.«

Depression­en, Essstörung­en, Ängste und ein Gefühl der Überforder­ung und Hilflosigk­eit. „Die Jugend ist ja eigentlich vorwärts gewandt, aber da geht gerade viel Kraft verloren.“

Ähnlich sieht das die klinische und Gesundheit­spsycholog­in Marcella Stolz, die sich auf Kinder, Jugendlich­e und Familie spezialisi­ert hat. „Diese Generation muss sehr, sehr schnell erwachsen werden und das Bild der heilen Welt schnell aufgeben“, sagt Stolz. Ein niederschw­elliges Angebot an psychologi­scher Betreuung sei deshalb besonders wichtig. Und auch wenn Teenager gewisse Dinge lieber mit Gleichaltr­igen besprechen, gilt auch bei ihnen zu vermitteln: „Ich bin für dich da und wenn du etwas brauchst, kannst du dich auf mich verlassen.“

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