Glückwunsch, großer
Michael Haneke gibt derzeit keine Interviews. So hieß es jedenfalls auf „Presse“-Anfrage seitens des Österreichischen Filmmuseums, das dem Regisseur dieser Tage eine große Retrospektive widmet. Bereits getätigte Aussagen zu seiner Arbeit hätten immer noch Gültigkeit, richtete man in seinem Sinne aus.
Schade, aber verständlich: Wie oft musste Haneke schon seine Methode und Weltsicht erklären, seinen Werdegang nachzeichnen, Fragen über die vermeintliche „Kälte“seiner Filme mit denkwürdigen Sentenzen quittieren? Wer suchet, der findet alle erforderlichen Antworten in Gesprächsbänden, Film- und Fernsehporträts, Monografien zum Schaffen des Ausnahmekünstlers. Neuerdings auch in YouTube-Videos, die Titel tragen wie: „Why Are These Films So Uncomfortable?“Und, nicht zuletzt, in Hanekes filmischen Arbeiten selbst.
Ein austriakischer Antiheld. Was soll man also noch sagen zum Werk dieses bildkritischen Bildermachers, der das internationale Image und die Marke des „österreichischen Films“in den letzten 30 Jahren so stark geprägt hat wie keiner seiner Kollegen – nicht einmal sein gewichtigster Gegenpol Ulrich Seidl? Vielleicht könnte man damit beginnen, Haneke in eine bestimmte Tradition österreichischer Kunst einzureihen: Der Tradition, die Strahlkraft erlangte, indem sie klaren Blickes auf die existenziellen und sozialen Ungemütlichkeiten eines Landes schaute, das viel auf seine Gemütlichkeit hält; die Tradition heimischer Antihelden wie Elfriede Jelinek, Helmut Qualtinger, Thomas Bernhard.
Klar: Haneke wurde in München geboren, lernte sein Handwerk im deutschen Fernsehbetrieb, wurde erst mit seinen französischsprachigen Filmen so richtig berühmt. Dennoch liegt in der speziellen, (selbst-)quälerischen Schonungslosigkeit seiner Menschenstudien etwas dezidiert Austriakisches, vielleicht sogar Wienerisches. Um Hanekes Status als echten Wiener zu verifizieren, muss man ihm nicht in der Josefstädter Straße über den Weg laufen, ihn im Cafe´ Eiles treffen oder in der Pizzeria Il Mare beim Essen bespitzeln. Man muss sich nur den ersten Teil seiner frühen TV-Großtat „Lemminge“aus dem Jahr 1979 ansehen. Dieser spielt in Wiener Neustadt, wo der Sohn eines deutschen Regisseurs und einer österreichischen Theaterschauspielerin aufwuchs. Und ist dermaßen präzise in seiner Schilderung verhängnisvoller Wiener (Un-) Sitten, dass man nur staunen kann.
1967 rezensierte ein junger Haneke, der einst auch für die „Presse“Kritiken verfasste, Thomas Bernhards Roman „Verstörung“, beschrieb dessen Auseinandersetzung mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins – „an die Verfinsterung, das Schweigen, den Wahnsinn“. Bernhards sprachliche Genauigkeit wird Haneke zugesagt haben. Nun könnte man diese Unterstellung weil Sie zu Dreharbeiten für „Funny Games U.S.“in den Staaten waren. Dann kamen Sie zurück. Und es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass Sie mich und meine Handschrift geformt haben. Prof. Patzak war der Denker und Philosoph, mit dem ich mich über das Leben austauschen konnte. Doch bei Ihnen habe ich mein Handwerk gelernt. Sie trieben mich an, meinem Wesen in meiner Filmsprache nahezukommen. Ich bin eine Mischung aus verschiedenen kulturellen Einflüssen, und so wurden auch meine Filme. Emotionskino trifft auf knallharten Realismus. Vor allem aber Ihr Glaube an mich stärkte mich ungemein und tut es heute noch.
Dazu eine unvergessliche Anekdote: Eine Woche vor der Weltpremiere von „Das weiße Band“in Cannes hatten wir eine Drehbuchbesprechung für meinen Fünft-Semester-Film. Sie gingen mit mir Seite für Seite so detailliert durch, dass wir die Besprechung um eine Stunde überzogen und immer noch auf Seite Zwölf waren. Es waren nur noch drei Wochen bis zu meinem Dreh. Sie sagten: „Wenn ich in Cannes gewinne, treffen wir uns nächste Woche Dienstag wieder, wenn nicht, am Montag!“Ich saß also Dienstagvormittag, aufgeregt, auf einem Stuhl vor Ihrem
von Geistesverwandtschaft auch weiterspinnen und den Filmemacher als glücklich verhinderten Literaten bezeichnen. Schmökert man im über 1000-seitigen Wälzer mit seinen gesammelten Drehbüchern, wirkt ein solches Label treffend – so deutlich wird darin die Liebe zur klingenden, exakten Formulierung. Selbst bei schlichten Sätzen wie: „Der Lehrer watet schnell an Land, wirft Angel und Netz samt zappelndem Fisch auf den Schotter des Bachbetts und klettert die Böschung hoch.“Nicht von ungefähr erhielt Haneke einen seiner ersten Preise für eine Erzählung.
Nicht von ungefähr ist Thomas Mann, der manchmal tagelang nach dem punktge
Zimmer. Ich hörte Ihre Stimme, Sie kamen die Treppen hoch. Ich konnte nicht glauben, dass ich, kleiner Filmstudent, gleich meinen Kurzfilm mit dem Regisseur besprechen würde, der gerade den größten Filmpreis der Welt gewonnen hatte. Sie waren sehr gut gelaunt, ich gratulierte Ihnen aufgeregt, Sie haben nur kurz genickt. Dann setzten Sie sich an Ihren Tisch und schlugen mein Drehbuch genau auf Seite zwölf wieder auf. Da, wo wir stehen geblieben waren . . . Dieser Moment hat mich für immer geprägt. Und das Gefühl, das Sie mir damals gegeben haben, Respekt und Anerkennung, das fühle ich heute immer noch!
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute zu Ihrem 80. Geburtstag, Professor Haneke. Heute werde ich zu Ihren Ehren ein Glas Rotwein in meiner Schreibwerkstatt trinken. Sante´!
» Sie sagten: ›Wenn ich in Cannes gewinne, treffen wir uns am Dienstag wieder, wenn nicht, am Montag.‹ «
Hüseyin Tabak, 1981 in Nordrhein-Westfalen geboren, drehte mit „Deine Schönheit ist nichts wert“, „Das Pferd auf dem Balkon“und „Gypsy Queen“preisgekrönte Kinofilme.