»Is scho foisch«: Wie öffnet man richtig die Tür?
Eine meiner Lieblings-Haneke-Erinnerungen ist eine kleine Anekdote aus Filmakademie-Zeiten, die mich immer wieder zum Schmunzeln bringt:
Wir, die Regisseurinnen in spe, sollten Schauspielstudierende inszenieren, die eine bestimmte Szene vorbereitet hatten. Sprich: ihnen mitteilen, wie wir uns die Figuren, das Spiel und die Dialoge vorstellen, sie gegebenenfalls korrigieren und ihnen Feedback geben. Unser Professor, Michael Haneke, würde nur dann eingreifen, sollten ihm „größere Ungereimtheiten“auffallen – so weit, so gut.
Der erste Schauspieler ist also an der Reihe: Er soll von draußen kommend die Türe öffnen, in den Raum treten und seine Sätze sprechen. Die Nervosität des jungen Mannes ist nicht zu übersehen, was aber auch nicht verwunderlich ist: Als junger Schauspieler bekommt man ja nicht alle Tage die Chance, einem Regie-Star sein Können zu präsentieren!
Also geht der sehr nervöse Schauspieler hinaus, wartet auf ein „Bitte“von uns und öffnet energisch die Türe. Seine Hand ist noch an die Türschnalle geklammert, er hat sich keinen Millimeter in den Raum bewegt, da hören wir Michael Hanekes Stimme durch den Saal dröhnen: „Is scho foisch.“Es
»Auch Michael war amüsiert. Er wollte den jungen Mann keinesfalls vorführen.«
folgen eine allgemeine Schockstarre und viele fragende Blicke. Der Schauspieler, inzwischen kreidebleich, läuft sofort zurück auf den Flur, für einen neuen Anlauf. Er wartet wieder auf unser Signal, öffnet die Türe, dieses Mal sehr sanft – und: „Foisch!“Das Ganze geht wieder von vorn los, wieder und immer wieder: Türe öffnen in allen Variationen.
Während Haneke dem jungen Studenten erklärt, was so falsch an seinem Eintreten ist, und der junge Mann bei jedem Versuch aufs Neue scheitert, beginnt sich eine unangenehme Komik im Raum breitzumachen.
Beim (gefühlten) zehnten Anlauf darf der junge Mann endlich den Türstock verlassen. Er macht zwei Schritte in den Raum – und: hat seinen Text vergessen! Ja, das war’s dann mit uns. Das Lachen musste raus. Glücklicherweise hatte der Schauspieler genügend Selbstironie, fand die Situation ebenfalls absurd und konnte mitlachen – was auch einiges an Druck rausgenommen hat und dem weiteren Verlauf sehr zugutekam.
Auch Michael zeigte sich amüsiert. Er hatte den jungen Mann keinesfalls kränken oder vorführen wollen. Er hatte nur, im Gegensatz zu allen anderen, wahrgenommen, dass die Intention, mit der der Schauspieler in die Szene ging, nicht wahrhaftig und stimmig war.
Heute sehe ich zurück und bin dankbar, dass uns Michael sein kompromissloses und entlarvendes „Is scho foisch“gelehrt hat und kein „Jo eh“oder „Wird scho passen“. Diese Momente haben unser Auge geschärft und uns gezeigt, dass jeder Handgriff, jedes Türe-Öffnen eine Geschichte erzählt.
Lieber Michael: Bon anniversaire! Und danke für die wunderbaren Jahre, in denen ich von dir lernen durfte!
Catalina Molina, geboren 1984 in Buenos Aires, aufgewachsen in der Steiermark, hat bisher drei ORF-Landkrimis, einen „Tatort“und die TV-Komödie „Das Glück ist ein Vogerl“gedreht. Davor studierte sie ab 2004 bei Haneke und war Regieassistentin bei dessen Madrider Opernproduktion „Cos`ı fan tutte“.