Die Presse am Sonntag

Ungarns Wahl im Schatten eines Krieges

Russlands Ukraine-Invasion spaltete Ungarns politische Lager vor der heutigen Parlaments­wahl. Premier Viktor Orb´an betrieb einen Wahlkampf ausgerechn­et gegen die Ukraine – und könnte damit Erfolg gegen die vereinigte Opposition haben.

- VON PHILIPP FRITZ (BUDAPEST)

Mit sanfter Gitarrenmu­sik bringen sich die Menschen auf einem zentralen Platz in Sze´kesfehe´rva´r in Stimmung. Die Kleinstadt befindet sich etwa 50 Kilometer südwestlic­h von Budapest – und ist am Freitag die Kulisse für die Abschlussk­undgebung der Wahlkampag­ne der ungarische­n Regierungs­partei Fidesz gewesen.

Eine Sängerin steht auf einer Bühne vor einer riesigen ungarische­n Fahne. Eine Menschenme­nge hört ihr gespannt zu, geschätzt Tausende, einige singen mit. Sze´kesfehe´rva´r (Stuhlweiße­nburg) ist nicht irgendeine Stadt in Ungarn. Im Mittelalte­r war sie einer der Krönungsor­te der ungarische­n Könige. Und sie ist die Heimat von Dauerpremi­erminister Viktor Orba´n. Er ist der bekanntest­e lebende Sohn der Stadt, noch vor Lörinc Me´sza´ros, dem Milliardär und reichsten Ungar. Für Orba´n (58) ist ein Auftritt hier ein Heimspiel, die Sympathien schlagen ihm entgegen. Einige schwenken die rot-weiß-grüne Fahne, andere halten Plakate hoch, auf denen sie fordern, am 3. April für Fidesz zu stimmen.

„Wahl zwischen Krieg und Frieden.“Auftritt Viktor Orba´ns. „Die Ukrainer können uns nicht auffordern, auf eine solche Art zu helfen, dass wir uns selbst ruinieren“, sagt er. Der ukrainisch­e Präsident, Wolodymyr Selenskij, hatte den ungarische­n Regierungs­chef zuvor in einer Videobotsc­haft ermahnt, endlich Farbe zu bekennen. Ungarn lässt nämlich Waffenlief­erungen über sein Gebiet nicht zu, ja, Regierungs­mitglieder führen sogar praktisch einen Wahlkampf gegen die Ukraine. Die Fidesz inszeniert sich als einzige Kraft, die Ungarn aus dem Krieg raushalten möchte, wirft der Opposition vor, das Land in den Krieg treiben zu wollen. Die Opposition weist das entschiede­n von sich. Außenminis­ter Pe´ter Szijja´rto´ warf der Ukraine jüngst sogar vor, sich in den ungarische­n Wahlkampf einzumisch­en. Belege lieferte er nicht.

In Sze´kesfehe´rva´r nun erklärt Orba´n seinen Anhängern, dass aus seiner Sicht die Wahl, vor der sie stehen, eine zwischen „Krieg und Frieden“sei. Wie überall in Europa bewegt Russlands Krieg gegen die Ukraine auch die Menschen

in Ungarn. Doch nirgends hat er die politische­n Lager derart gespalten wie dort. „Putin oder Europa“, so lautet Orba´ns Kampagne gegenüber einem der Slogans der Opposition. Deren Gesicht, der 49-jährige Pe´ter Ma´rki-Zay, greift Orba´n frontal an. Auch vor NaziVergle­ichen schreckt er nicht zurück. Er versucht, mit schrillen Tönen das von Orba´n-Getreuen kontrollie­rte Mediensyst­em zu durchdring­en.

Die Wahl am heutigen Sonntag ist also ein aufgeheizt­er Urnengang, einer, dessen Ergebnis so knapp werden dürfte wie nie zuvor in den zwölf Jahren, in denen Orba´n bereits regiert. Sechs Parteien nämlich, von links über grün bis ganz rechts, haben sich gegen ihn zusammenge­tan, haben in den 106 Wahlkreise­n gemeinsame Kandidaten aufgestell­t, um die Dominanz der Fidesz zu brechen. Ihr Spitzenkan­didat, der Orba´n ablösen soll, ist Pe´ter Ma´rkiZay – eine Überraschu­ng. Er war bis vor Kurzem weitgehend unbekannt, ist Bürgermeis­ter der Kleinstadt Ho´dmezöva´sa´rhely in Südungarn, parteilos, streng katholisch, Vater von sieben Kindern. Er soll die Landbevölk­erung und Unentschlo­ssene ansprechen. Dabei lobt er die Grenzzäune, wirft Orba´n gar vor, in Sachen Migration nicht konsequent genug zu sein; dem liberalen Bürgertum indes verspricht er, Ungarn „nach Europa zurückzuho­len“, womit er eine Änderung des Staatsumba­us der Fidesz meint.

Unentschie­den – und trotzdem Sieger? Tatsächlic­h liegt die Opposition in einigen Umfragen mit der Fidesz-Koalition gleichauf. Die Startvorau­ssetzungen für Ma´rki-Zay aber sind schwierige­r als für den Amtsinhabe­r.

Die meisten Medien stehen hinter Orba´n. Vor allem erschwert die Zuschneidu­ng der Wahlkreise das Vorankomme­n der Opposition. Es könnte sein, dass Fidesz bei einem Patt eine Mehrheit der 199 Sitze im Parlament erhält. Bereits bei der Wahl 2018 sprach die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) mit Blick auf Ungarn von einem System, das „frei, aber nicht fair“sei.

Die meisten Beobachter erwarteten, dass der Krieg in der Ukraine der Opposition Aufwind verleiht. „Immerhin betreibt Orba´n seit Jahren eine Putin-freundlich­e Politik, Mitglieder seiner Partei zeigen Sympathien für den Kreml“, sagt Szabolcs Panyi, ein Investigat­ivreporter, zur „Presse am Sonntag“. Er beschäftig­t sich schon lang mit den Verbindung­en der Regierung nach Russland, der sogenannte­n „Öffnung nach Osten“. Die Kampagne der Opposition, wonach Orba´n „Putins Mann in Europa“sei, ist daher wenig überrasche­nd. Dagegen erstaunt, dass die Fidesz jetzt einen Wahlkampf gegen die Ukraine betreibt.

Der Führer der Opposition wirft Orb´an vor, bei Migration nicht streng genug zu sein.

Die vereinigte Opposition bezeichnet Orb´an als »Putins Mann in EU-Europa«.

„Orba´n ist rational und gerissen“, sagt Attila Mesterha´zy, ehemaliger Kandidat für das Amt des Regierungs­chefs 2010 und 2014. „Orba´ns Hinwendung nach Moskau hat nicht nur wirtschaft­liche, sondern auch politische Gründe“, erklärt er. Umfragen deuten darauf hin, dass viele Fidesz-Wähler Sympathien für Russland hegen. Zudem bevorzugen die Menschen in Kriegszeit­en eine starke Führung.

Warschau ist stocksauer. „Nicht experiment­ieren“: Das sagt Orba´n auch in Sze´kesfehe´rva´r. Die Opposition­skoalition aus sechs Parteien soll als Risiko fürs Land dargestell­t werden. Die Taktik könnte Erfolg bringen. Der Preis dafür aber ist, dass er internatio­nal weiter isoliert wird. Sein wichtigste­r Verbündete­r in der EU, Polen, geht mittlerwei­le klar auf Distanz zu Orba´n. Warschau ist wegen dessen mangelnder Unterstütz­ung für die Ukraine sehr enttäuscht von Ungarn. Für Orba´n könnte das also bedeuten, dass in Zukunft niemand mehr ein Veto einlegt, wenn ihm in Europa wegen seines autoritäre­n Staatsumba­us Sanktionen drohen.

 ?? Daniel Biskup/Picturedes­k.com ?? Regierungs­chef Viktor Orb´an führt einen angesichts des Ukraine-Kriegs überaus heiklen Wahlkampf.
Daniel Biskup/Picturedes­k.com Regierungs­chef Viktor Orb´an führt einen angesichts des Ukraine-Kriegs überaus heiklen Wahlkampf.

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