»Man muss mit Fleisch umgehen wie mit Rauchen«
Der Kulturwissenschaftler und Philosoph Thomas Macho hinterfragt in seinem jüngsten Buch, »Warum wir Tiere essen«, unser Verhältnis zu Tieren. Einerseits darf Fleisch nicht an sie erinnern, andererseits pflegen wir innige Beziehungen zu Haustieren.
Essen Sie selbst Fleisch?
Thomas Macho: Selten, aber ich bin nicht reiner Veganer. Ich esse selten Fleisch, und im Moment bin ich noch vorsichtiger und skeptischer als früher.
Sie beschäftigen sich in Ihrem neuen Buch, „Warum wir Tiere essen“, mit der Geschichte des Fleischkonsums und unserem Zugang zu Tieren. Wie hat sich beides im Lauf der Zeit verändert?
Fleischverzehr hat sich in der Geschichte massiv gewandelt. Man kann ein paar große Etappen unterscheiden. Bevor die Menschen als Jagende und Sammelnde gelebt haben – das Jagen hat erst begonnen, nachdem Menschen mit dem Feuer umgehen konnten –, haben sie als Aasfresser und Aasfresserinnen gelebt und sich davon ernährt, was Wälder und Wiesen hergeben.
Wie hat die Entdeckung des Feuers das Verhältnis zu den Tieren verändert?
Mit der Beherrschung des Feuers begann das Kochen und Braten, die Entdeckung, dass Fleisch genießbarer gemacht werden kann. Gleichzeitig war das Feuer ein Mittel der Jagd. Dann kam es zu einer Phase, in der allmählich Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht anfingen, mit großen Unterschieden bei der Domestikation von Tieren. Die Allianz mit Hunden bildete sich schon sehr früh aus. Schweine und Katzen wurden viel später domestiziert.
Wie war das Verhältnis der Ackerbaukulturen zu den Tieren?
Ackerbaukulturen waren stets von Hunger bedrohte Kulturen, und sie hatten von Anfang an eine Art Haustierwirtschaft. Tiere haben viele Funktionen übernommen: als Last- und Zugtiere wie Ochsen, Hühner legen Eier, Kühe geben Milch, Schafe Wolle, man kann Fette gewinnen, Butter, Käse erzeugen. Man überlegt sich in diesen Kulturen sehr genau, wann und ob man ein Tier schlachtet. Doch werden in gewissen Abständen große Opferfeste veranstaltet, bei denen das Fleisch aufgeteilt und gemeinsam gegessen wird. Das passiert aber nicht allzu oft, weil man Tiere eben braucht. Man lebt mit ihnen zusammen, das ändert natürlich das Verhalten. Der große Bruch ereignet sich erst in dem Moment, in dem die Industrialisierung einsetzt.
Welche Folgen hatte dieser Bruch?
Vorher haben Tiere entweder auf Weiden und in Ställen gelebt, zum Teil auch in den Städten, Schweine etwa, die sich von Essensabfällen ernährt haben und in Hungerzeiten eine Nahrungsreserve waren. Mit der Industrialisierung beginnt im 19. Jahrhundert die Errichtung der großen Schlachthöfe, die dann oft wie in Chicago mit den Eisenbahnlinien verknüpft wurden. Fleisch wird gekühlt und haltbar gemacht. Der Fleischkonsum nimmt einen enormen Aufschwung. Und die Schlachthöfe sind außerhalb der Städte, wir sehen sie gar nicht mehr. Sie werden unsichtbar. Wir haben heute keine Ahnung mehr, was dort passiert, und wenn wir darüber einen Dokumentarfilm sehen, dann haben wir drei Tage keinen Appetit mehr auf Fleisch.
Richtig explodiert ist der Fleischkonsum im 20. Jahrhundert. Wir sind inzwischen bei Größenordnungen von weltweit 360 Millionen Tonnen aufwärts. Und nach wie vor steigt dieser Konsum, wobei es bloß zu kleinen Verschiebungen kommt, etwa wenn weniger Rindfleisch und mehr Schweinefleisch und Geflügel gegessen wird.
Ist heute nicht schon ein Gegentrend zu beobachten?
Die Tierschutzbewegungen, die ab den späten 70er-Jahren aufgetaucht sind, haben inzwischen zugenommen. Das hat allerdings noch nicht den großen Trend gebrochen. Jüngere Menschen achten inzwischen mit viel größerer Aufmerksamkeit darauf, was sie essen. Ich habe von vielen Familien gehört, in denen die Eltern, die sich auf das Schnitzel freuen, erschrocken am Familientisch sitzen, weil die Kinder sagen, das esse ich nicht, das ist Billigfleisch. Veganismus und Vegetarismus nehmen zwar zu, fallen aber noch nicht ins Gewicht. Gleichzeitig wirken Massentierhaltung und Fleischkonsum als massive Treiber für den Klimawandel, die kaum zu überschätzen sind. Man sagt, dass Massentierhaltung mehr an CO2-Emissionen verursacht und mehr zur Klimakrise beiträgt als der weltweite Transportverkehr. Das sagt eigentlich alles.
Sie haben vorhin vom Verschwinden der Schlachthöfe gesprochen. Die Entfremdung zeigt sich auch heute, indem Fleisch nicht an Tiere erinnern soll, wie die Wurst oder Fischstäbchen zeigen.
Das Fischstäbchen schaut wie ein Legostein aus, während man sonst bei Fischen ja wenigstens die Gestalt erahnen kann. Wir haben ganz viele Formen, Fleisch zu konsumieren – die runden Wurstscheiben, die Einlagen in den Burgern, die quadratisch geschnittenen Leberkäsescheiben –, bei denen man das Gefühl hat, das ist alles nur Geometrie. Es ist fast so, als wäre unser Fleisch aus dem Himmel der platonischen Ideen auf unseren Teller geplumpst. Wir scheinen nicht mehr zu wissen, dass wir Tiere essen. Daraus ergibt sich nämlich eine verrückte Irritation, vor allem, weil das Essen der Tiere ständig mit unserer im Imaginären gepflegten Tierliebe kollidiert.
Woher kommt das, dass man nicht sehen will, dass es ein Tier war?
Diese Unsichtbarkeit begünstigt eine
BUCHTIPP
„Warum wir Tiere essen“
Thomas Macho, Molden Verlag,
128 Seiten, 22 Euro Thomas Macho befasst sich in seinem jüngsten Buch mit der Beziehung des Menschen zum Nutztier. Buchpräsentation:
5. April, 19 Uhr, Thalia Wien Mitte, 1030 Wien
in einer anderen Welt auch zur Nahrung dienen werde. In gewisser Hinsicht stimmt das sogar, denn zumindest den Würmern dienen wir als Lebensmittel, sofern wir uns nicht verbrennen lassen. Dahinter verbirgt sich die Erinnerung an eine ferne Vergangenheit, in der Menschen gewusst haben, dass sie von Tieren gefressen werden können. Erzählt wird von einem Ausgleich, von Elementen der Verwandlung, von Metamorphose und Metabolismus, buchstäblich als Stoffwechsel. Diese Erfahrungen sind uns inzwischen abhandengekommen.
Glauben Sie, dass es möglich ist, wieder ein anderes Verhältnis zu Tieren zu bekommen?
Ich glaube, das Wichtigste im Moment ist, dass wir den Fleischkonsum reduzieren. Da wird uns gar nichts anderes übrig bleiben. Und das werden wir nicht schaffen, wenn wir wieder Verfeindungsdiskurse führen, also Debatten darüber, wie unmenschlich Menschen sind, die Fleisch essen. Die französische Umweltethikerin Corine Pelluchon sagt in ihrem „Manifeste animaliste“, es gehe nicht darum, dass wir alle Fleischesser beschimpfen und als Henker wahrnehmen, sondern darum, dass wir einsehen, warum und wie sich etwas ändern muss. Diese Einsicht könnte dann in politischen Strategien umgesetzt werden.
Welche Strategien wären das?
Es sind eigentlich drei Strategien. Bei den jungen Menschen spielt der Vegetarismus und Veganismus eine zunehmend wichtigere Rolle, allerdings vorwiegend in reicheren Ländern. Es wird mehr Vegetarismus und Veganismus geben, und das ist sehr gut so, aber nicht die einzige Lösung. Die zweite Lösung ist die synthetische Herstellung von Fleisch, die „Novel Food“-Bewegung, also neue Ernährungsmethoden, Käse aus dem Biofermenter, Fleisch und Wurst, die ohne Tierschlachtung produziert werden. Hier wird vielfach experimentiert, auch wenn wir noch nicht wissen, wie rasch diese Angebote anwachsen werden.
Was ist die dritte Strategie?
Die dritte Strategie zielt auf eine strengere Regulierung der Fleischindustrie, was politisch gewiss der heikelste Vorgang ist. Wir müssen Auflagen erteilen und erfüllen, die dazu führen, dass Fleischproduktion in der jetzigen Form nicht mehr praktiziert werden kann. Fleisch wird teurer werden, und darin wird eine Realität der Agrarkulturen wiederkehren, in denen Fleisch nicht jeden Tag dreimal gegessen wurde, sondern einmal in der Woche oder zu den großen Opferfesten. Es geht nicht darum, dass man mit der Verzichtskeule herumläuft, als lebender Vorwurf, sondern um die gemeinsame Einsicht, dass unser Fleischkonsum abnehmen muss – und dass wir nur mit teurerem Fleisch die Kriterien der Tierhaltung, des Tier- und Menschenwohls respektieren können.
Da gibt es ja auch eine große Diskrepanz: Wenn man Leute befragt, sagen alle Tierwohl ist wichtig, aber wenn Billigfleisch im Angebot ist, schlagen viele zu. Die Lösung ist also, das nicht mehr zu ermöglichen?
Ja, etwa durch eine strengere Kennzeichnungspflicht. Im Grunde muss man mit dem Fleischessen umgehen – auch wenn das viele Fleischesser und Fleischesserinnen nicht gern hören werden – wie mit den Rauchenden. Ich bin auch jemand, der gelegentlich gern eine Zigarette raucht, aber zugleich weiß, was ich mir da antue. So unangenehm einem die Bildchen auf der Schachtel sind und so sehr man schimpfen mag über die Bevormundung durch den Staat und die hohen Zigarettenpreise, man sieht immer wieder ein, wie sinnvoll das ist, auch im Hinblick auf Gesundheitskosten und die Verkürzung der eigenen Lebenszeit. Und das kann man auch mit Fleisch machen.
Aber diese Entfremdung wird es nicht aufheben, oder?
Die Entfremdung ist schwer aufhebbar. Aber es gibt Tendenzen. Ein befreundeter Gastronom in Berlin hat mir von einem Mangalitzazüchter erzählt, der von seinen Kunden erwartet, dass sie das ganze Tier kaufen und es auch selbst töten. Das finde ich einen interessanten Ansatz, weil auch sichtbar wird, was alles geschehen muss, bevor man das in Plastik verpackte Stück Fleisch kauft. Das ist sicher nicht die Möglichkeit für alle, aber man kann mehr auf Erziehung und Bildung setzen, um die Unsichtbarkeit des Tieressens zu verringern.
Es ist einfach absurd, dass wir in dieser „Matrix“leben, in der uns die Tiere zwar überall begegnen, in jeder zweiten Fernsehserie, in jedem Trickfilm. Da leben wir in so einer Blase des Imaginären, in der wir vor Tierliebe geradezu platzen, und dann gehen wir wieder ins Gasthaus und essen, was uns schmeckt, und verschwenden keinen Gedanken daran, dass es genau diese Tiere sind, die wir gleichzeitig lieben und bewundern.
Ich finde in Ihrem Buch auch den Aspekt der Teddybären interessant, die unser Verhältnis zu Tieren spiegeln.
Es gibt kaum ein Tier, das nicht auch als Kuscheltier verkauft wird. Kinderzimmer werden in eine Art Zoo und Kuscheltierwüste verwandelt, in der aber jeder reale Bezug zu diesen Lebewesen verschwunden ist. Die Firma Steif hat im 19. Jahrhundert mit Filzelefanten begonnen und erst um die Jahrhundertwende Teddybären produziert. Das ist eine Erfolgsgeschichte, heute gibt es fast jedes Tier als Kuscheltier. Und die Kinder lieben diese Plüschwesen. Aber auf der anderen Seite verliert man den Realbezug zur Vielfalt der Lebewesen, mit denen wir die Welt teilen.
Was hat Sie im Zuge Ihrer Auseinandersetzung für das Buch am meisten überrascht?
Eines der erschreckendsten Beispiele, die Jonathan Safran Foer in seinem Buch „Animal Eating“beschreibt, betrifft die Sushi-Kultur. Da hat man diese wunderbaren Fischfilets, auch wiederum in geometrischer Form, auf kleinen Tellern. Würde man den Beifang, der weggeworfen wird und sehr umfangreich ist, dazulegen, müssten die Teller einen Durchmesser von mindestens eineinhalb Metern haben. Da wird einem natürlich mulmig zumute, und man denkt sich, irgendetwas sehen wir nicht. Und umgekehrt kann man von den asiatischen Kulturen lernen, dass man Quallen nicht nur als Plage begreifen muss, sondern dass man sie als Salat zum Beispiel auch schmackhaft servieren kann. Es geht einfach darum, einen bewussteren Umgang mit Tieren und Fleisch zu haben.
Sie haben also die Hoffnung, dass es funktioniert, den Fleischkonsum zu reduzieren und den Zugang zu ändern? Und haben Sie eine Idee, wie lang das dauert?
Ich glaube, dass dieser Mix aus Maßnahmen schon etwas bewirken kann. Das Problem ist nur, wir reden sehr viel über die Energiewende und über Elektromobilität, aber über eine Fleischwende reden wir vergleichsweise wenig, obwohl die Zahlen bezeugen, dass sie mindestens ebenso dringlich wäre.