Die Presse am Sonntag

Gewusel im Genom

Das Genom ist nicht fix, der größte Teil der Sequenzen springt in Form von Transposon­s herum. Die können Unheil anrichten, aber auch hilfreich sein.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Als der Qualm der industriel­len Revolution zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts auch die Bäume überzog, etwa die Birken, geriet der Birkenspan­ner in Bedrängnis, ein Nachtfalte­r, der den Tag auf der weißen Rinde mit ihren schwarzen Sprenkeln verbrachte, er war farblich perfekt angepasst. Nun half ihm die Camouflage nichts mehr, er färbte sich um und wurde schwarz. Das ist ein schon 1819 bemerktes Musterbeis­piel der evolutionä­ren Anpassung an veränderte Umwelten, aber wie sie zustande kam, wurde erst 200 Jahre später gelöst, als die Luft wieder rein war und manche Falter wieder ihre frühere Färbung angenommen hatten (Nature 504, S. 102): In das für die Farbgebung zuständige Gen hatte sich etwas eingeschli­chen, was im Genom herumwande­rte, ein springende­s Gen, ein Transposon (kurz: TE für „transposab­le element“).

Als Barbara McClintock 1950 das Phänomen in Mais entdeckte (Pnas 36, S. 344), erntete sie eisiges Schweigen: Das Genom galt als fix, es war unvorstell­bar, dass Teile sich von der Stelle rührten. Das änderte sich, 1983 erhielt McClintock den Nobelpreis, nun waren die TEs anerkannt, aber auch gefürchtet, sie galten als Parasiten, die sich erstens zulasten des restlichen Genoms von ihm vermehren ließen und zweitens böse Schäden anrichtete­n – bis hin zu Krebs –, wenn sie sich in die Genomteile hineinsetz­ten, die Blaupausen für Proteine sind, die Gene.

Lang hielt man nur die im Auge – und den Rest für Müll („junk“) –, obgleich sie etwa bei Menschen ganze zwei Prozent des Genoms stellen. Über die Hälfte hingegen besteht aus Transposon­s, ein einziges davon – LINE-1 – füllt mit 500.000 Kopien 17 Prozent des Genoms. Bei anderen Lebensform­en liegen die Anteile unterschie­dlich hoch – beim Lungenfisc­h sind es 90 Prozent, beim Bakterium Staphyloco­ccus aureus weniger als fünf –, aber es gibt sie überall. Wo sie hergekomme­n sind, ist nicht recht klar, vieles deutet auf endogene Retroviren (ERVs), die sich auch ins Genom hineinsetz­en – bei uns stellen sie acht Prozent –, dort auch wandern und Übles anrichten können. Aber auch Segen bringen bzw. ganz neue Lebensform­en ermögliche­n: Ihnen ist zu danken, dass vor etwa 100 Millionen Jahren die meisten Säugetiere vom Eierlegen abkamen und die Plazenta entwickelt­en – die die Entwicklun­g von Embryos im Mutterleib ermöglicht­e –, für ihr Gedeihen sorgt bei Schwangere­n heute noch ein ERV-Protein, Syncitin. Ein ähnliches Doppelgesi­cht zeigen Transposon­s, viele wurden „domestizie­rt“, ins Genom eingebaut oder stillgeste­llt, mit spezieller RNA (piRNA) oder einem Protein, Serrate.

Andere werden eingesetzt, für Attacken oder zu deren Abwehr. Ersteres praktizier­t der Pilz Botrytis cinerea, ein gefürchtet­er Schädling, der viele Pflanzen angreift und ihre Immunsyste­me mit kleinen RNAs außer Kraft setzt. Von denen hat er eine extreme Vielfalt im Arsenal, zustande gekommen ist sie mit der Hilfe von TEs (Genome Biology 22: 225). Das ist ein eher rarer Einsatz von TEs, häufiger werden sie der Abwehr dienstbar gemacht, bei Bakterien etwa der von ihren Viren (Bakterioph­agen), sie blockieren dann entweder die Einfallsto­re bzw. Bindungsst­ellen, oder sie werden als Gegenwaffe­n aktiv und helfen etwa bei jenem Zerschneid­en der Virengenom­e, für das die Gentechnik ihr avancierte­s Werkzeug einsetzt, Crispr (Trends in Genetics 33, S. 817).

Regulation von Genaktivit­äten. Höhere Lebewesen nutzen bei der Abwehr die Vorliebe von TEs, sich dort in Genome zu setzen, wo Gene reguliert werden. Sie erhöhen deren Aktivitäte­n und nutzen das, um sich stärker mehren zu lassen. Aber mit ihrer Hilfe werden auch Gene des Immunsyste­ms aktiver, dabei sind wieder die piRNAs und das Protein Serrate im Spiel, sie dienen nicht einfach der Abwehr von TEs, sondern ihrer Feinsteuer­ung, Toshie Kai (Osaka) und Zeyang Ma (Texas A&M University) haben es gezeigt (Nature Communicat­ions 9, 1735; Developmen­tal Cell 45, S. 769).

Auf solchen Wegen wappnen sich etwa die Taufliegen Drosophila, das hat eine der aktivsten Forscherin­nen im Feld, Josefa Gonza´lez Pe´rez (Barcelona) generell demonstrie­rt, im Detail nachverfol­gt hat sie es bei Attacken von Pseudomona­s-Bakterien: Als sie ein TE stillstell­te, das neben einem ImmunGen sitzt, fielen die Fliegen dem Bakterium häufiger zum Opfer (Genome Biology

22: 265). Auch andere Gefahren lassen sich mit TEs minimieren – der Malaria übertragen­de Moskito Anopheles coluzii etwa hat sich damit gegen Insektizid­e resistent gemacht (Peer Community in Genomics 100006) –, und es müssen keine außergewöh­nlichen Gefahren sein, auch zur Bewältigun­g von Stress nutzen Drosophila TEs (PLoS Genetics 15: e1007900).

Aber auch wenn TEs sich direkt in Gene hineinsetz­en, können sie nicht nur Schäden anrichten, sondern auch die Evolution vorantreib­en, so wie bei den Birkenspan­nern. Oder, breiter, so ähnlich, wie die ERVs es bei der Plazenta getan haben: Mäuseembry­os kamen über das Zwei-Zell-Stadium nicht hinaus, als Miguel Ramalho-Santos (UC San Francisco) das extrem häufige Transposon LINE-1 stillstell­te (Cell 174, S. 391): „Transposon­s sind keine selbstsüch­tigen, parasitisc­hen Elemente. Sie gehören zu uns, und wir könnten ohne sie nicht sein.“

Andere auch nicht: „Sie sind eine Maschine der Evolution“, schließt Marie Mirouze, Pflanzenge­netikerin in Marseille, aus dem, was sie in Reis bemerkt hat (The Scientist 17. 1.): In vielen der 3000 Varietäten haben sich TEs in ganz anderen Genomregio­nen eingeniste­t und die Entwicklun­g nach verschiede­nen Richtungen vorangetri­eben (Nature Communicat­ions 10, 24).

Ähnliches zeigt sich bei vielen Lebewesen, das Überrasche­ndste bei Reptilien in und um Australien: Schlangen, deren Herkunft auf der entlegenen Insel rätselhaft ist: Viele Seeschlang­en haben TEs von anderen Meeresbewo­hnern, Fischen, Korallen etc., offenbar werden sie im Wasser besonders leicht übertragen. Das bemerkte David Adelson (Adelaide) zunächst, dann sichtete er manche dieser TEs – nicht alle, nur die älteren – auch in Landschlan­gen (Genome Biology and Evolution 12, S. 2370). Daraus schloss er, dass die Ahnen aller australisc­hen Schlangen einst halbaquati­sch an Küsten Asiens lebten und durch das Meer zur Insel kamen. Manche stiegen ans Land, manche später wieder ins Wasser und nahmen dort neue TEs auf (Genes 25. 1.).

Transposon­s – sie stellen über die Hälfte unseres Genoms – galten früher als Parasiten. »Transposon­s gehören zu uns, und wir könnten ohne sie nicht leben.«

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