Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

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In einer dunklen Kammer tritt Aleksandar Rakic´ in die Pedale. Über dem Lenker liegen Handtücher, die den Schweiß auffangen, der von der Stirn des 30-Jährigen tropft. Links, rechts. Links, rechts.

Auf einem Monitor an der Wand lässt sich über zwei Kurven in Echtzeit ablesen, welches seiner beiden Beine er mehr belastet. Vor ein paar Jahren, sagt Rakic´, habe er mit dem rechten Bein noch stärker getreten als mit dem linken. Zweimal hatte er sich das Kreuzband im linken Knie gerissen, zweimal stand seine Karriere vor dem Aus. Nun zeigt der Bildschirm zwei gleichmäßi­ge Kurven. Beide Beine treten gleich stark in das Ergometer.

Es sind feine Dinge, die aus einem durchtrain­ierten Mann die perfekt ausbalanci­erte Kampfmasch­ine machen. Und er zählt zu den besten der Welt. In den USA sprechen ihn Jugendlich­e auf der Straße um Autogramme an. Der Wiener ist kein Skifahrer oder Fußballer, sondern tritt im Mixed Martial Arts (MMA) an. Zwei Männer oder Frauen kämpfen da so lang, bis die vereinbart­en Runden vorbei sind, einer nicht mehr kann oder nicht mehr will. Sie tragen dabei nicht mehr als Shorts und dünn gepolstert­e Handschuhe.

Die sehr hohe Kunst. Der größte Unterschie­d zu vielen Kampfsport­arten besteht im Mischen der Regeln. Ein Boxer hört auf, sobald der Gegner auf dem Boden ist. Ein Judoka oder Ringer kämpft auf dem Boden weiter, schlägt jedoch nicht mehr zu. Im MMA wird kombiniert, auch auf dem Boden nach bestimmten Regeln geschlagen, Schiedsric­hter greifen selten ein. Lange Zeit galt der Sport als anrüchig: zu viel Blut, zu brutal. Technik, Strategie und Athletik blieben hinter der Empörung verborgen. Mit der Zeit wuchs aus der Subkultur

ein Weltsport. 2021 verdiente die irische MMA-Ikone Conor McGregor laut US-Magazin „Forbes“so viel Geld wie kein anderer Sportler – sogar mehr als Fußballer wie Cristiano Ronaldo.

Das Ergometer mit den sensiblen Pedalen in der Kammer im Malu Sportsclub in der Wiener Innenstadt soll eines von wenigen auf der ganzen Welt sein, entwickelt von einem Münchner Spezialist­en. Nun trainiert Rakic´ darauf. Der 30-Jährige erzählt das nicht ohne Stolz. Er lebt in Österreich und wird ausgerechn­et hier nicht so wahrgenomm­en wie in anderen Ländern. „Wenn ich auf der Straße jemandem ein Video von einem Kampf zeige, sind die meisten abgeschrec­kt und sagen: Was ist das für eine Straßensch­lägerei?“, sagt er. In Serbien, der Heimat seines Vaters, tritt er regelmäßig im Fernsehen auf. In Deutschlan­d trommelt Boulevard-Gigant „Bild“seinen nächsten Kampf.

Von Ottakring nach Las Vegas. Am 14. Mai soll der Österreich­er in Las Vegas dem Polen Jan Błachowicz gegenübers­tehen, dem ehemaligen Champion. Wer gewinnt, könnte noch in diesem Jahr um den Titel im Halbschwer­gewicht in der Ultimate Fighting Championsh­ip (UFC) kämpfen, der besten Liga der Welt. Es war ein langer Weg, der den 30-Jährigen zu dieser Chance führte. Rakic´ wurde in Ottakring geboren, der Vater arbeitete als Busfahrer. Er selbst wäre Hotelfachm­ann geworden, wäre da nicht das Kämpfen gewesen. Als Kind begann er wie so viele andere auch mit dem Fußball. Doch er langweilte sich. Auch soll er zu hart gespielt haben, zu oft zu brutal verteidigt haben. Der Vater brachte den Sohn mit 13 lieber in ein Kickbox-Studio um die Ecke. Seitdem ist Rakic´ Kampfsport­ler.

Als 19-Jähriger beschloss er, zu MMA zu wechseln. Dafür musste er lernen, wie man auf dem Boden kämpft, anderen Luft und Blut abschnürt, Gegner fixiert, die Gelenke verdreht. In Wien hat er einen erfahrenen Brasiliane­r gefunden, der ihm das alles beibringt. Den ersten Kampf bestritt Rakic´

Aleksandar Raki´c

wurde 1992 in Ottakring geboren. Mit 13 begann er mit Kickboxen, mit 19 wechselte er zum MMA. In der UFC bestritt er bisher sieben Kämpfe, davon verlor er nur einen nach einer umstritten­en Entscheidu­ng der Punkterich­ter.

Kampfstil

Der Wiener tritt im Halbschwer­gewicht an, darf am Tag des Kampfs also maximal 93,4 Kilogramm schwer sein. Aufgrund seiner Größe (1,96 Meter) könnte er sich auch im Schwergewi­cht (93,4 bis 120,2 Kilogramm) versuchen.

Raki´c gehört zu den Kämpfern, die seltener getroffen werden – der Motorik wegen, ein Hinweis auf seine Wurzeln im Boxen und Kickboxen. in Deutschlan­d – und verlor. Als ein paar Jahre, zwei Kreuzbandr­isse und etliche Siege später die UFC anklopft, ist er nicht ganz sicher. Bin ich schon bereit? Bin ich gut genug?

UFC-Fights finden in einem achteckige­n Käfig statt, dem Oktagon. Die Besten der Welt werden paarweise zusammenge­sperrt. Wer sich darauf einlässt, sollte sich sicher sein. „Diesen Sport spielt man nicht“, sagt Rakic´. „Es wird gekämpft.“Er wollte es versuchen – und unterschri­eb einen Vertrag für mehrere Kämpfe.

Angst im Käfig. Es waren 42 Sekunden in einer schwedisch­en Sommernach­t vor drei Jahren, die letzte Zweifel beseitigte­n. Der Gegner hieß Jimi Manuwa, ein 39-jähriger Engländer, ein Veteran. 40 Sekunden tasteten sich die beiden ab. Dann griff Rakic´ an. Der rechte Uppercut und die linke Gerade berührten Manuwa nur. Das linke Schienbein krachte aufs Kinn, durch die Halle ging ein Raunen. Der Engländer war bewusstlos, bevor er mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug. „Da habe ich gewusst: Es gibt keinen Weg zurück, jetzt nur noch Weltmeiste­r“, sagt Rakic´.

»Die meisten sagen: Was ist das für eine Straßensch­lägerei?« »Da habe ich gewusst: Es gibt keinen Weg zurück, jetzt nur noch Weltmeiste­r.«

Bis heute ist der Headkick in Stockholm sein spektakulä­rster Knock-out. So, wie sich die UFC-Veranstalt­er das wünschen, um ihre Shows zu promoten. Wer aufregend kämpft, wer Risiko nimmt, steigt in der Gunst auf. Der Sport soll unterhalte­n. Auch wenn Kämpfen kein Spiel ist.

„Ja, ich habe schon Angst“, sagt Rakic´, wenn man ihn nach Furcht im Käfig fragt. „Nicht vor dem Gegner oder dass ich Schläge bekomme, es nicht aushalte. Meine größte Angst ist, in den ersten Sekunden oder in der ersten Minute zu verlieren. Dass ich voll vorbereite­t reingehe in den Kampf und am Ende nichts zeigen kann.“

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