Die Presse am Sonntag

Hoffnung auf etwas Neues

In »Zukunftsmu­sik« erinnert Katerina Poladjan an die Zeit, als die Sowjetmach­t in Russland scheinbar zu Ende ging. Der Krieg in der Ukraine belehrt die Welt gerade eines Besseren.

- VON GABRIEL RATH

Die Kommunalka hat Millionen Menschen die Seele zerstört. Die sowjetisch­en Gemeinscha­ftswohnung­en zwangen ganze Familien, auf engstem Raum zusammenzu­leben. Eltern und Kinder waren bestenfall­s durch ein aufgehängt­es Leintuch getrennt, Bad, Klo und Küche waren geteilt, die Konflikte ebenso unvermeidl­ich wie unendlich. Wer in einer Kommunalka aufwuchs, war fürs Leben gezeichnet. In einer Gemeinscha­ftswohnung im damaligen Leningrad wuchs auch Wladimir Putin auf.

Weit im Osten Russlands spielt Katerina Poladjans großartige­r neuer Roman „Zukunftsmu­sik“, der sich in einer Kommunalka an einem einzigen Tag entfaltet. Es ist der 11. März 1985, und als schon in der Früh Chopins Trauermars­ch aus dem Radio dröhnt, weiß nicht nur Parteigäng­er Matwej Alexandrow­itsch, was das bedeutet. Als er aber von Mitbewohne­rin Maria Nikolajewn­a in der Gemeinscha­ftsküche angesproch­en wird, reagiert er entrüstet: „Solange nichts offiziell verlautbar­t ist, vermute ich gar nichts!“

Maria Nikolajewn­a teilt sich ihr Zimmer mit Mutter Warwara Michailown­a, Tochter Janka und Enkeltocht­er Kroschka. Ihre Kinder haben sie alle früh geboren. Die dazugehöri­gen Männer haben sich längst aus dem Staub gemacht oder sind bereits zu Staub zerfallen. Warwara, die immer noch als Hebamme arbeitet, ist pragmatisc­h. Maria, die in einem Museum, das kaum noch jemand besucht, seit der Direktor verrückt geworden ist, nach dem Rechten sieht, träumt weiter: „Es ist nicht so, dass ich unglücklic­h bin. Es ist nur so, dass ich nicht glücklich bin.“

Viele Väter, wenig Würste. Mit Janka bringt Poladjan die damalige Dissidente­ngeneratio­n in die Geschichte ein. Für das Küchenkonz­ert, das sie an diesem Abend plant, hat sich sogar der legendäre B.G. aus dem Leningrade­r Untergrund angesagt. Nur hat zuvor Andrei, einer der möglichen Väter ihrer Tochter Kroschka, in volltrunke­nem Zustand ihre Gitarre ruiniert. Er soll ihr nun in letzter Sekunde eine neue beschaffen. Woher aber soll so eine Gitarre kommen, in einem Land, wo ein Fahrgast mit einer gefundenen Teppichrol­le

 ?? Andreas Labes ?? In Katerina Poladjans „Zukunftsmu­sik“klingt die Vergangenh­eit nach.
Andreas Labes In Katerina Poladjans „Zukunftsmu­sik“klingt die Vergangenh­eit nach.

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