»Gewaltverzicht ist dem Islam und vielen Muslimen leider fremd«
Der deutsch-iranische Rechtswissenschaftler Ebrahim Afsah, noch bis Sommer an der Uni Wien, ruft zur Verteidigung des liberalen Verfassungsstaats auf und warnt vor »Scheindebatten« um liberale Muslime. Afghanen in Österreich müssten sich anpassen.
Sehen Sie beim Zusammenleben von Islam und westlicher Gesellschaft Probleme?
Ebrahim Afsah: Man muss zwei Sachen unterscheiden: den Islam als dogmatisches Konzept und die Muslime als Menschen, die dieser Idee angehören. Das Konzept ist mit dem liberalen Verfassungsstaat nicht vereinbar. Er basiert auf einer Offenbarung, die sich als perfekt und unabänderlich ansieht. Damit ist er mit einem auf stetige Verbesserung im Diesseits angelegten Verfassungsstaat nicht kompatibel. Das trifft im Prinzip auf alle Religionen zu.
Was ist dann das Besondere am Islam?
Selbstbild und Realität stimmen nicht überein. Der Islam sieht sich als perfekt, siegreich und weltbeherrschend; seit der gescheiterten Wiener Belagerung 1683 und der französischen Besetzung Ägyptens 1798 geht es aber bergab. Diese kognitive Dissonanz erzeugt Spannungen und Schmerzen. Man hat zudem nicht den Kulturkampf mitgemacht, den wir in den letzten 200 Jahren speziell mit der katholischen Kirche und in Reaktion auf den Protestantismus geführt haben.
Und die Muslime als Menschen?
Die kommen ausschließlich aus Gegenden, die 250 Jahre auf der Verliererseite der Modernität gestanden sind. Dementsprechend haben sie keinen besonders positiven Zugang zu Moderne und Verfassungsstaat. Konstruktive Lösungen für die Herausforderungen der Moderne zu finden wird durch die selbst auferlegte Bindung an ein unveränderliches religiöses Dogma ungemein erschwert. Und die Muslime kommen überwiegend aus Gegenden, die bildungsfern, vormodern, rückständig und oft gewalttätig sind.
Kann der liberale Staat vom Islam lernen?
Vom Islam ist fast nichts zu lernen. Speziell im afroamerikanischen Kontext sehen manche das Potenzial einer Rehabilitierung durch die strengen, Promiskuität und Drogenmissbrauch verbietenden Regeln islamischer Frömmigkeit. Seit Malcolm X glauben daher viele, dass der Islam ihnen Struktur und Halt geben könne. Diese Argumente werden im europäischen Kontext aber mehr als aufgewogen durch Radikalisierung und Gewaltbereitschaft, nicht zuletzt in den Gefängnissen. Ich sehe daher kein großes positives Potenzial des Islams.
Kann der Islam vom liberalen Staat lernen?
Die Geschichte der Moderne in der islamischen Welt ist eine Geschichte des Versagens, nicht nur militärisch gegenüber einem übermächtigen Westen. Das Versagen gilt auch, wenn man die Moderne als Versuch der praktischen Lösung funktionaler Probleme sieht, von der Umweltverschmutzung über die wirtschaftliche Entwicklung bis zur Überbevölkerung. Damit ist die islamische Gesellschaft ins Hintertreffen geraten. Die Fragen sind universaler Art, aber man versucht, partikulare Antworten zu finden, die dogmatisch vorgegeben sind. Das ist wie ein Betrunkener, der seine Schlüssel verloren hat und unter der Laterne danach sucht. Er hat sie gar nicht hier verloren, aber im vertrauten Licht der Laterne sucht es sich
Ebrahim Afsah
kam 1972 in Teheran als Sohn einer Deutschen und eines Iraners zur Welt; großväterlicherseits hatte die Familie eine lange Tradition schiitischer Geistlicher. Er studierte in London englisches und islamisches Recht, danach in Harvard. Afsah war Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und dann unter anderem zehn Jahre lang für praktische Rechts- und Verwaltungsarbeit in Afghanistan. Vor seinem Wechsel nach Wien lehrte er Völkerrecht an der Universität Kopenhagen.
Seit 2018 in Wien.
Afsah übernahm eine infolge einer Novelle des Islamgesetzes kreierte Professur am Institut für Islamischtheologische Studien der Universität Wien. Dort fühlte er sich von Muslimverbänden und islamtheologischen Kollegen abgelehnt und wechselte de facto an die Jusfakultät. Sein Vertrag mit der Uni endet mit diesem Sommersemester und wird nicht verlängert. eben angenehmer als im Dunkeln. Der Islam sucht dort nach Lösungen für funktionale Probleme, wo keine zu erwarten sind. Ein Heiliges Buch aus der Arabischen Wüste von vor 1400 Jahren kann hier keine Antworten liefern.
Warum sollten sich Nichtmuslime kritisch mit dem islamischen Recht beschäftigen?
Der Islam ist eine Regelreligion. Es gibt keine Heilslehre als solche. Der Islam macht ein relativ einfaches Angebot: Du hältst dich an die Regeln und wirst dafür im Jenseits belohnt. Wenn nicht, wirst du bestraft. Islam heißt: Unterwerfung unter Gottes Willen.
Was ist Gottes Wille?
Das ist die zentrale Frage für den Muslim: Was sind Gottes Regeln? Daher kommt die zentrale Rolle des islamischen Rechts. Das Problem jetzt in der Moderne: Die Spezialisten des islamischen Rechts haben die absolute Deutungshoheit. Der gläubige Muslim muss diese Regeln über alle gesellschaftlichen und staatlichen Regeln setzen.
Was bedeutet das für Westeuropa?
Durch ungeplante und weitgehend unerwünschte Migration ist eine große, stetig wachsende muslimische Minderheit zwischen fünf und 30 Prozent der Bevölkerung entstanden. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, an welche Regeln sich diese neuen Mitbürger halten. Also muss ich mich als Mehrheitsgesellschaft mit diesem real existierenden Rechtskorpus beschäftigen und nicht mit dem, was ich gern sehen würde. Ich kann nicht eine protestantische Sicht wählen und sagen, ich deute das Dogma um, wenn es mir nicht gefällt. Daher ist auch das Gerede von den moderaten Muslimen eine Scheindebatte. Es gibt keine moderaten Muslime. Du bist entweder ein Muslim, der daran glaubt, oder du bist keiner.
Ist eine innere Reform des Islam möglich?
Der syrische Philosoph Sadik Dschalal al-Asm hat das vor 30 Jahren sehr schön zusammengefasst: Sie haben in der Geschichte immer wieder ein dogmatisches Nein und ein historisches Ja. Das Dogma sagt: Das geht auf gar keinen Fall, aber wenn funktionale Notwendigkeiten dazwischenkommen, finden die Menschen einen Weg, sich anzupassen. Es ist eben gerade nicht so, wie Islamisten und Kulturpessimisten behaupten, dass jeder Muslim morgens als Erstes den Koran aufschlägt und sich überlegt: Was will Gott von mir? Wie alle anderen Menschen putzt er sich die Zähne, macht sich einen Kaffee und geht seiner Arbeit nach. Im Lauf des Tages wird er unzählige Male die Dogmen brechen, ohne sich Gedanken darüber zu machen. In der Moderne zu leben bedeutet, tradierte Regeln zu brechen.
» Vom Islam ist fast nichts zu lernen. « EBRAHIM AFSAH
Auch in muslimischen Ländern?
Ja. Ich komme aus dem Iran: islamistische Republik, geschaffen, um das islamische Recht einzuführen. Der Islam hat ein fundamentales Zinsverbot. Aber Sie sehen dort regelmäßig große Poster, auf denen Banken ihre Zinssätze anpreisen.
Kann der österreichische Staat die Anpassung vorantreiben?
Meine Ansicht hier ist unpopulär. Der liberale Verfassungsstaat ist eine ungeheure zivilisatorische Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt. Es ist unpopulär geworden, das so deutlich auszudrücken, weil man versucht, sich offen zu zeigen und kulturell relativistisch zu argumentieren: Alternativen sind vielleicht auch wertvoll und sollten respektiert werden. Es ist notwendig, dass wir die Unterschiede nicht verstecken, sondern die Grenzen klar definieren und verteidigen.
Was ist so eine Grenze?
Die unabdingbare Grundlage eines zivilisierten, friedlichen Zusammenlebens ist das absolute Friedensgebot dem anderen gegenüber. Ein solch absoluter Gewaltverzicht ist dem Islam als Idee und sehr vielen Muslimen leider fremd. Exemplarisch sieht man das immer wieder in der gespielten Empörung über die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit und dem Ruf nach Blasphemieverboten, in der Kontrolle der Sexualmoral gerade junger Frauen und Versuchen, die Grenzen des Sag- und Machbaren einzuengen.
Tun wir zu wenig dagegen?
Wir versuchen in den letzten 40 Jahren, diese Grenzen zu verschleiern, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Man hält das eigene Paket für so attraktiv, dass man glaubt: Wenn die Leute ihm einmal ausgesetzt sind, werden sie sich automatisch anpassen. Das ist ein großes Wagnis, das mittlerweile als gescheitert gelten darf. Viele seit Jahrzehnten hier lebende Muslime haben sich nicht angepasst. Eine nicht unbeträchtliche Minderheit von ihnen hat sich den Versprechungen des Verfassungsstaats nicht hingegeben. Und diesen Leuten muss man sehr klar die Trennlinien aufzeigen, wo der Kontinent zerbricht. Es gibt in der liberalen, „anständigen“Gesellschaft eine unglaubliche Hemmung, diese Grenzen deutlich anzusprechen.