»Wir nehmen Schlager ernst«
Würdevoll, aber arm müsse Schlager sein, sagen Fritz Ostermayer und Herwig Zamernik, die für Ulrich Seidls »Rimini« die Lieder eines abgestiegenen fiktiven Stars komponiert haben.
Richie Bravo, ein verblühter Schlagersänger mit moralischen Defiziten, ist die Hauptfigur in Ulrich Seidls neuem Kinofilm „Rimini“. Für die von ihm gesungenen, kunstvoll billigen Schlager zeichnen Herwig Zamernik (aka Fuzzman) und Fritz Ostermayer verantwortlich. „Die Presse am Sonntag“traf Zamernik in dessen Fuzzroom Studio, Ostermayer nahm wegen des derzeit populärsten Virus via Zoom am Gespräch teil.
In John Cooks „Schwitzkasten“sangen die Bambis, in Fatih Akins „Der Goldene Handschuh“fräste sich die Stimme von Heintje in die Gehörgänge. In „Rimini“nun singt Michael Thomas in seiner Rolle als Richie Bravo Ihrer beider wunderbar konstruierten Lieder. Ist immer dann der Schlager dran, wenn es trist bei den unteren Ständen wird?
Fritz Ostermayer: Da würde Ulrich Seidl jetzt sehr widersprechen. Er sieht die Tristesse von Rimini eher in der Saison der vollen Sonnenliegen angesiedelt. Wir auch.
Mir ging es bei der Frage um die Figur Richie Bravo, einen Schlagersänger im Abschwung seiner Karriere, der sich zudem als Callboy für ältere Damen betätigt . . .
Ostermayer: Ich finde ihn würdevoll in seiner ganzen Tristheit. So soll Schlager ja sein: würdevoll, aber arm.
Jan Böhmermann hat zuletzt in seinem „Neo Magazin Royale“die mafiösen Strukturen im deutschen Schlager decouvriert. Stichwort: Michael Jürgens und Florian Silbereisen. Hat sich da was verschärft?
Ostermayer: Das mag sein, aber ich würde sagen, dass die Schlagerbranche schon in den Siebzigerjahren keine moralische Anstalt war.
Der Schlager kannte damals Interpreten, die sich signifikant unterschieden. Vicky Leandros und Daliah Lavi, Christian Anders und Roy Black, das waren noch Charaktere. Heute dominieren Technobeat und ein Zwang zum Lustigsein. Ist das nicht furchtbar?
Herwig Zamernik: Das ist es wohl, aber ich würde diese Entwicklung nicht allein am Schlager festmachen. In der kommerziellen Popmusik gibt es sie auch. Mit Schablonen wird auch im R&B und im Pop gearbeitet, aber wahrscheinlich nicht so flächendeckend wie im Schlager. Da gibt es noch ab und zu Auswüchse.
Auf welche Art von Schlager haben Sie beide sich bezogen, als es darum ging, Richie Bravo ein Repertoire anzupassen?
Ostermayer: Es ging ja darum, dass Richie Bravo vor ungefähr 25, 30 Jahren einen Hit gehabt hat. Wenn man das zurückrechnet, kommt man in die Spätphase von Drafi Deutscher rein. Er hat ja mit Liedern wie „Jenseits von Eden“eine Ästhetik geschaffen, die an Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) gemahnt. Perfekter Schlagerpop eben. Er konnte sehr gut mit den Synthesizern umgehen. Unser RichieBravo-Hit „Amore Mio“ist schon Hommage an diesen Sound. Dem Drehbuch nach ging es dann mit Bravo bergab, so dass ihm die Produktionsmittel reduziert wurden. Kleine Etats haben klangliche Folgen.
Was sind die Ingredienzen, die für diese Art von Schlager essenziell sind?
Zamernik: Textlich ist der Schlager klar abgesteckt. Er versucht, schöne Gefühle mit einfachen Mitteln auszudrücken. Unser Auftrag war, den Richie Bravo musikalisch und textlich von den späten Siebzigern weg bis in die Neunziger zu begleiten.
Ostermayer: Der Schlagersänger feiert die Liebe total, wenn er glücklich ist. Meistens ist er aber ein Verlassener oder einer, der sich davor fürchtet, verlassen zu werden. „Wahnsinn, dich so rücksichtslos zu lieben“, sang Roy Black. Das ist im Grunde monströs. Statt sich zu freuen, dass die Beziehung gut läuft, antizipiert er schon deren Ende. Aber es gab auch das groß herausgearbeitete Sehnsuchtsmoment. Ich liebe den Aufbruchsschlager der Sechzigerjahre, wo die Bambis tatsächlich italophil gesungen haben, weil die Leute zum ersten Mal mit dem VW-Käfer nach Caorle gefahren sind. Also haben sie sich den Peppino di Capri über den Wörthersee zurückgeholt. Das war ein ziemlich guter Kniff.
Zuweilen gab es sogar Sozialkritik im Schlager. Geht das?
Ostermayer: Keinesfalls. Ich lass mir nicht von einem Udo Jürgens sagen, dass es 5 vor 12 ist. Das ist mir zu billig.
Aber konnte man nicht auch lebensphilosophische Lektionen lernen, etwa wenn Rocco Granata davon sang, dass man nicht alles haben kann, was man will, und deshalb immer Sehnsucht im Herzen tragen wird?
Ostermayer: „Buona Notte“war wirklich ein guter Song. Ich bin ja mittlerweile sehr pessimistisch bezüglich dessen, was Kunst kann, aber eines kann sie gut: trösten. Nicht zuletzt in der Form des Schlagers.
Wie hat es bei Ihnen mit der Schlagerrezeption begonnen?
Ostermayer: Mit der Jukebox im Wirtshaus in Schattendorf. Da war „Heart of Stone“von den Rolling Stones drin,