»Die Kunst der Fuge«, konturenscharf
Im Konzerthaus wurde Daniil Trifonov für seine Bach-Interpretation bejubelt.
In welcher Besetzung kommt man Bachs „Kunst der Fuge“am nächsten? Als sie 1941 zum ersten Mal im Wiener Konzerthaus aufgeführt wurde, geschah dies in der Besetzung zweier Cembali, Orgel und Orchester unter Wolfgang Graeser. Er bot mit seiner instrumentalen Fassung, uraufgeführt 1927 in der Leipziger Thomaskirche, all jenen Paroli, die überzeugt waren, dass es sich bei diesem polyphonen Kompendium um ein theoretisches Werk handle, das sich jeder praktischen Aufführung entziehe.
Längst haben sich auch andere Versionen durchgesetzt. Etwa die für ein Tasteninstrument, und das kann durchaus ein modernes Klavier sein. Am besten ein Flügel mit einem runden Klang, auf dem sich die besondere Kantabilität dieser 14 Fugen und vier Kanons in all ihrer Leuchtkraft präsentieren lässt. Darum entschied sich auch Daniil Trifonov nicht für einen Steinway, sondern für einen Bösendorfer.
Seit einigen Jahren befasst sich der russische Virtuose, bis dahin vor allem für seine oft atemberaubenden Interpretationen virtuoser Literatur bekannt, mit Bachs „Die Kunst der Fuge“. Er hat die unterschiedlichen Ausgaben intensiv studiert, sich auch mit außermusikalischen Deutungen beschäftigt. Wollte Bach mit dieser Sammlung dem Schöpfungsprozess ein musikalisches Denkmal setzen? Verbergen sich hinter den Fugen die Porträts der zwölf Apostel, von Maria, Jesus und Gott? Oder sollen sie veranschaulichen, wie einzelne Menschen in die Kirche eintreten und mit ihrer Seele zu Gott pilgern? Trifonov begreift dieses Werk als Ausdruck umfassender Liebe, sieht in der abschließenden, Fragment gebliebenen Fuge, die er aus dem vorhandenen Material nach dem Muster der übrigen selbst vollendet hat, ein Symbol für grenzenlose Leidenschaft.
Man muss diese Erwägungen weder kennen noch goutieren, um die Größe von Trifonovs Lesart zu ermessen. Sein Bach hat nichts mit vordergründiger Brillanz zu tun. Er hat meditative, zuweilen die Grenzen der Esoterik
streifende Züge, ohne auf kraftvolle Momente zu verzichten. Mit einer bis ins Detail überlegten, differenzierten Dynamik und erlesenen Anschlagskultur ließ er die Farbenvielfalt der einzelnen Abschnitte erblühen, zeichnete klar die verschachtelten melodischen Linien nach. Wiederholt legte er mit nobel, aber unmissverständlich gesetzten Akzenten das Augenmerk auf Details, um Zusammenhänge zwischen den Abschnitten deutlich zu machen. Vor allem verstand er es, die Teile zu einer großen Erzählung zusammenzuführen, die nachdenkliche Eloquenz mit unaufdringlicher Brillanz vereint.
Eine meisterhafte Darstellung, die allein einen großen Abend getragen hätte. Da hätte es des Abschlusses mit der populären Myra-Hess-Bearbeitung des Bach-Chorals „Jesu bleibet meine Freude“aus dessen Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“gar nicht bedurft. Abgesehen davon, dass Trifonov dabei jene Feinfühligkeit und Natürlichkeit vermissen ließ, mit der er zuvor so für sich eingenommen hatte.