Die Presse am Sonntag

In Kriegszeit­en ist keine Zeit für Kleinkrieg

Was macht Berlin besser als Wien? Während in Deutschlan­d die Regierung die Gaskrise als Argument für eine rasche Energiewen­de vorbringt, hängt Türkis-Grün im missgünsti­gen Klein-Klein fest.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Was ist undenkbar? Derzeit: nicht viel. In der Ukraine geschieht täglich etwas, was man vor Kurzem gern als „denkunmögl­ich“bezeichnet hätte. Und auch in der Energiekri­se im Gefolge des Kriegs muss man vorsichtig sein, was man ausschließ­t.

Derzeit hält die Politik zwar einen Ausstieg aus dem russischen Gas für „undenkbar“– die Parteien sind da einiger als die Wirtschaft­sforscher. Trotzdem bereitet man sich auf ein Szenario ohne russisches Gas (oder mit viel weniger) vor. Es läuft aber recht schlecht. Zum einen ist die Ausgangsla­ge mies (hohe Abhängigke­it), zum anderen ist das Erarbeiten von Notfallplä­nen zur Energierat­ionierung für verflochte­ne Industrien nicht trivial. Auch in Deutschlan­d jammern Unternehme­n, dass sie nicht wüssten, wer wann im Notfall wie viel Gas bekommt.

Dennoch klappt es in Berlin besser: Es gibt einen mittelfris­tigen Ausstiegsp­lan aus russischem Gas, man debattiert die Reaktivier­ung von Kohlekraft­werken (auch wenn die CO2-mäßig böse sind) und legt mit dem „Osterpaket“ein Gesetzesbü­ndel zur Beschleuni­gung

der Energiewen­de vor. Und in Wien so? Während sich der grüne Wirtschaft­sund Energiemin­ister quer durch die Talkshows diskutiert und geschickt Energiesic­herheit und Klimaschut­z verknüpft, steht die heimische Energie- und Klimaminis­terin in der Kritik. Und ist selbst schuld. Robert Habeck sucht den Kontakt zur Industrie, Gewessler ist für ihre Gesprächsd­istanz zu den fossilen Branchen bekannt. Und während sie gern spiegelgla­tt antwortet, teilt er seine Gedanken. Zwar ist nicht jeder catchy Appell (Frieren für den Frieden) effektiv, aber dass man einem Politiker auf die Schulter klopft, wenn er sagt: „Wir werden ärmer werden“, zeigt, wie ausgehunge­rt die Öffentlich­keit nach schnörkell­osen Ansagen ist.

Es liegt aber nicht nur an Personen. In Österreich ist jede Krise Gelegenhei­t, politische­s Kleingeld zu wechseln, statt an einem Strang zu ziehen. Dass die ÖVP Gewessler wegen Überforder­ung die Energieage­nden entziehen und der Wirtschaft­sministeri­n übertragen will, ist semifein. Wenn Türkis das Thema so wichtig ist, warum hat man den Energiesta­atssekretä­r aufgegeben? Die Gegnerscha­ft

in der Koalition verhindert auch, dass die unerledigt­en Energie/Klimaschut­zgesetze einen Schub erhalten. Denn auch wenn im Moment der Fokus auf „Energie – egal, woher“liegt, ist Putins Krieg ein Argument für die Energiewen­de. Hier klagen die Grünen zu Recht, dass die ÖVP das Problem nicht als gemeinsame­s begreift, sondern als etwas, was nur aufs Grün-Konto einzahlt. Verschärft wird die (Un)Logik durch ein verbales Klima („Fossil-Lobby“vs. „Bestrafung­sfantasien“), in dem eine sachliche Debatte nicht gedeiht. Auch Medien tragen ihr Scherflein bei. Ein altgedient­er Grüner fragte zuletzt, warum man es Gewessler durchgehen lasse, immer wieder dasselbe Gesetz neu anzukündig­en. Er hat recht. Aber jenseits von Benzinprei­s und Lobau sind Klimatheme­n schwer zu vermitteln. Für ein Erneuerbar­eWärme-Gesetz geht keiner auf die Straße. Daher: Ja, man muss lästiger sein. Und die Koalition erinnern, dass sie es schuldig ist, Kompromiss­e zu finden. Für die österreich­ische Frage, wer wo punkten konnte, ist keine Zeit.

» Für ein Erneuerbar­eWärme-Gesetz geht keiner auf die Straße. «

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