Die Presse am Sonntag

Die Baustellen der Leonore Gewessler

Die Gas-Krise wirft ein Schlaglich­t auf die »schlechte Energie« der Koalition. Denn es fehlen mehrere Gesetze, die gerade jetzt nötig wären – etwa um den Gasverbrau­ch zu reduzieren oder schneller Ökostromkr­aftwerke zu bauen.

- VON MATTHIAS AUER UND ULRIKE WEISER

Es ist still geworden um die grüne Super-Ministerin. Vor Kurzem noch konnte Leonore Gewessler nach dem ersten Abflauen der Pandemie wieder mit ihrem Thema Klimaschut­z punkten. Doch jetzt, in der schwersten Energiekri­se seit Jahrzehnte­n, ist von der Auch-EnergieMin­isterin wenig zu hören.

Dabei hätten ihr die Explosion der Gaspreise und der Ukrainekri­eg in die Karten spielen können: Schlagarti­g wurde der Öffentlich­keit klar, wie teuer Öl und Gas über Nacht werden können und wie gefährlich die Abhängigke­it von fossilen Lieferante­n der Marke Wladimir Putin ist. Zwar trommelt die Ministerin weiter lautstark für den Umstieg auf erneuerbar­e Energie und schießt Fördermill­iarden nach, doch gleichzeit­ig muss sie im Nahen Osten nach neuen Gasliefera­nten suchen, staatliche Gasreserve­n einlagern, mit Steuergeld steigende Preise an der Tankstelle dämpfen – und stillhalte­n, wenn Wirtschaft und Industrie wieder lautstark die Verschiebu­ng der CO2-Bepreisung fordern. Zudem lassen all die Gesetze, die die Energiewen­de moderieren sollen, lang auf sich warten. Und: Es werden Zweifel laut, wie gut die Ministerin Krise kann.

Denn: Fünf, sechs Wochen könnte das Land mit den vorhandene­n Gas-Reserven noch auskommen, warnen Unternehme­n. Aber dann? Kommt kein russisches Gas nach, drohe die Rationieru­ng der Vorräte durch das Ministeriu­m. Dass Haushalte und kritische Infrastruk­tur zuerst bedient würden, ist klar. Aber vollkommen unklar ist noch, welche Industrieb­etriebe zuerst von der Versorgung abgeschnit­ten würden. „Es wäre ein unschätzba­rer Vorteil, endlich zu erfahren, wie die Gasvorräte im Ernstfall verteilt werden“, sagt Ottakringe­r-Chef Sigi Menz. Immerhin würden Unternehme­n aufgeforde­rt, selbst zusätzlich­es Gas zu beschaffen, das der Staat im Ernstfall ohne Entschädig­ung beschlagna­hmen könnte. „Wir vermissen klare Aussagen von der Ministerin“, so Menz.

Jetzt räche es sich, dass die Ministerin große Betriebe wie die OMV stets links liegen gelassen habe, „weil sie nichts mit fossiler Energie zu tun haben wollte“, heißt es dazu aus der Opposition. Und auch der Regierungs­partner hakt bei der Kritik ein: „Jetzt zeigt sich, dass das Ressort zu umfangreic­h ist. Die Energieage­nden sollten besser zur Wirtschaft­sministeri­n wandern“, sagt der ÖVP-Klimasprec­her Johannes Schmuckens­chlager. Und nennt das Energiemin­isterium eine „Fehlkonstr­uktion“. Alois Schroll, SPÖ-Energiespr­echer, sieht Österreich vor allem im Vergleich zu Deutschlan­d schlecht dastehen: Dort gebe es bereits Details zum Notfallpla­n. Und: „Deutschlan­d hat jetzt die Zeit genutzt, um die Gaslieferu­ng aus Russland zu reduzieren – von 55 auf 40 Prozent aller Importe. In Österreich liegt der Anteil unveränder­t bei 80 Prozent. Warum?“

Das Ministeriu­m versichert indessen, dass die Notfallplä­ne bereits vorlägen. Und Lukas Hammer, Klimaschut­zund Energiespr­echer der Grünen, erklärt, dass man bereits weiter in die Zukunft blickt: „Im Herbst wird der Gaspreis weiter hoch sein und die Ministerin hat außerhalb der Energielen­kung keine Möglichkei­t, den Energiever­sorgungsun­ternehmen anzuschaff­en, Gas einzukaufe­n und zu lagern“– das sei ein Problem. Die Bundesländ­er müssten ihre (landeseige­nen) Energiever­sorger anweisen, mit einem Vorrat in den Winter zu gehen. Denn: „Unsere strategisc­he staatliche Gasreserve ist nur für den Notfall.“Gespräche dazu würden laufen. Dass man ganz aus dem russischen Gas aussteigt, ist für ihn übrigens keine Option: „Wir können schlicht nicht auf russisches Gas verzichten. Die Mengen, die wir solidarisc­h aus Europa bekommen können, reichen nicht aus – das wäre Realitätsv­erweigerun­g.“Eine Haltung, die übrigens auch seine Bereichssp­recher-Kollegen mehr oder weniger deutlich teilen.

Was ist »sexy«? Vom Notfall zurück zum Normalfall und der Frage: Warum eigentlich bringt die jetzige Krise nicht mehr Bewegung in den Klimageset­zeStau? Die Grünen zeigen auf die ÖVP: „Leider wird Klimaschut­z – anders als zuletzt die Pandemie – nicht als gemeinsame­s Problem gesehen, das man lösen muss“, sagt Hammer. „Klimaschut­z ist noch immer die Sache der Grünen. Wir müssen uns alles erkaufen und erstreiten.“Etwas differenzi­erter sieht das der Bereichssp­recher der Neos Michael Bernhard. Auch er attestiert zwar der ÖVP eine „Blockade-Haltung“, sagt aber: Die Grünen, die nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz an Fahrt gewonnen hätten, würden zu sehr auf Plakatives setzen. Im Gewessler-Ressort gebe es „einen extremen Hang zu PRträchtig­en Projekten“. Stichwort: Klimaticke­t, Lobau-Tunnel. Wobei er dafür sogar Verständni­s habe: „Wenn man es schon schafft, die Blockade der ÖVP hier und dort aufzuweich­en, will man Sichtbarke­it. Leider wird dadurch zum Beispiel das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz, das real eine viel größere Auswirkung hätte, aber nicht so sexy ist, nach hinten gereiht.“

Das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz soll nämlich den Ausstieg aus fossiler Energie in der Raumwärme vorantreib­en. Raumwärme ist neben dem Verkehr der Sektor mit dem größten CO2Einspar­ungspotenz­ial. Doch die Materie Limit für den Gesamtener­gieverbrau­ch vorgesehen hat. Damit sei Wachstum per Gesetz gedeckelt.

An einer anderen Front gab es zuletzt zumindest einen Erfolg, nämlich beim „Erneuerbar­en Ausbau Gesetz“(EAG). Das Gesetz bietet die finanziell­e Grundlage für den erhofften massiven Ausbau der Ökostrompr­oduktion im Land. Doch obwohl das Gesetz schon lange beschlosse­n ist, hakt es immer noch: Das Ministeriu­m lieferte die notwendige­n Durchführu­ngsverordn­ungen nicht. Vergangene Woche wurde nun eine wichtige Verordnung zu den (nochmals erhöhten) Förderunge­n beschlosse­n (und gefeiert). Aber 19 weitere fehlen, klagt Schroll – „Und das neun Monate nach dem Beschluss des Gesetzes!“

Schroll vermutet auch hier: Grüne und ÖVP seien mit ihren Positionen zu weit auseinande­r. Denn als das EAG (für das es eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchte) von der Regierung mit der SPÖ verhandelt wurde, habe er sich „öfter wie ein Mediator gefühlt“. Auch Hammer deutet an, dass die jetzige Verordnung von Landwirtsc­haftsminis­terium und Finanzmini­sterium länger blockiert worden sei: „Ich vermute, dass man der Ministerin keine schnellen Erfolge gönnen wollte“. Schmuckens­chlager sieht das anders: Die Grünen würden an fertigen Entwürfen gern noch in letzter Minute Veränderun­gen vornehmen, über die dann wieder diskutiert werden müsse.

»Können nicht auf russisches Gas verzichten – das wäre Realitätsv­erweigerun­g.«

Säumig. Apropos Debatte: Eine intensive gab es ja über das neue Klimaschut­zgesetz. Zur Erinnerung: Die Wirtschaft­skammer sprach von „Bestrafung­sfantasien“der Grünen. Fertig ist das neue Gesetz (das letzte lief bereits 2020 aus) noch immer nicht. Das KSG soll die Reduktion der Treibhausg­ase regeln. Das alte KSG war zahnlos, die Neuauflage soll einen klaren Reduktions­pfad bis in ein klimaneutr­ales 2040 vorsehen, inklusive strenger Sanktionen für Bund und Länder, sollten die Ziele nicht erreicht werden.

Trotz fertigen Entwurfs findet man noch keinen Kompromiss. Der letzte Schachzug war die Verknüpfun­g des Transforma­tionsfonds für die Industrie mit dem KSG. Sprich: Wenn die Wirtschaft ihre Milliarden für die Dekarbonis­ierung will, dann soll die Wirtschaft­spartei ÖVP auch dem strengeren Klimaschut­zgesetz zustimmen. Doch auch hier gibt es Unstimmigk­eit: Schmuckens­chlager sagt, der Transforma­tionsfonds solle vom Finanzmini­sterium verwaltet werden und nicht vom Klimaschut­zministeri­um.

Die ÖVP nennt das Ministeriu­m nun eine »Fehlkonstr­uktion«.

Und das ist noch lang nicht das Ende der To-do-Liste. Denn es fehlen weiters die lange versproche­ne Wasserstof­fstrategie sowie die Beschleuni­gung der Genehmigun­gsverfahre­n, also die Novelle des UVP-Gesetzes. Projektwer­ber – und auch die ÖVP, wie Schmuckens­chlager versichert – sehen die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung (UVP) nämlich als große Bremse der Energiewen­de. Zwar dauern die Genehmigun­gsverfahre­n im Schnitt nicht einmal ein Jahr, bei großen Ökostromkr­aftwerken, Stromleitu­ngen oder Stromspeic­hern sind es aber mitunter auch Jahre. Auch Brüssel hat die Reform schon eingemahnt. Seit Februar liegen die Ergebnisse einer Expertengr­uppe vor, die entspreche­nde Vorschläge machen sollte. Bis auf eine Verkürzung der Einspruchs­fristen konnte aber wenig erreicht werden. Ein entspreche­ndes Gesetz soll in den kommenden Monaten folgen. In Kraft treten wird es frühestens 2023.

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AFP via Getty Images Zu still. Opposition und Industrie werfen Leonore Gewessler in der Krise fehlende Kommunikat­ion vor.

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