Der Kanzler und die überschrittene rote Linie
Karl Nehammer echauffierte sich zu Wochenbeginn über verbreitete »Unwahrheiten« rund um einen Cobra-Unfall. Doch auch die Kanzlerfamilie sagte nicht die Wahrheit – und bringt sich damit in Bedrängnis.
Mit einem elfminütigen Auftritt zu Beginn dieser Woche wollte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) eine unangenehme Geschichte schnell wieder einfangen. Das durch die Parlamentarische Anfrage der SPÖ publik gewordene Schreiben eines anonymen „frustrierten Cobra-Beamten“würde „Unwahrheiten“verbreiten. Dass versucht worden sei, den Unfall zweier betrunkener Personenschützer der Kanzlerfamilie zu vertuschen, sei eine „glatte Lüge“, der Vorwurf „niederträchtig“. Es sei damit „eine rote Linie in der politischen Auseinandersetzung massiv überschritten“worden. Gegen Ende dieser Woche befand sich der Kanzler auf Besuch im vom Krieg gezeichneten Kiew (siehe Seite 2). Zurück in Österreich blieb aber eine Frage: Hat Kanzler Karl Nehammer in dieser Causa selbst rote Linien überschritten?
Denn mittlerweile ist klar, dass die Geschichte, so wie sie ursprünglich dargestellt wurde, nicht stimmen kann, dass in dem anonymen Schreiben mehr Wahrheit steckt, als der Kanzler glauben machen wollte. Das Innenministerium, die Cobra-Führung und das Kanzlerumfeld hatten die Erzählung verbreitet, dass sich die Cobra-Beamten nach Dienstschluss stark betrunken hätten, und zwar bei einem Rundgang oder in einem Lokal und keinesfalls in der Wohnung der Familie Nehammer.
Genau das musste aber mittlerweile die Ehefrau des Kanzlers einräumen. Zeitlich ließ sich die Ursprungsvariante nicht mehr halten. Katharina Nehammer bestätigte der „Presse“(wie auch anderen Medien) am Donnerstagabend, dass in der Wohnung alkoholische Getränke konsumiert wurden. Man habe auf den Geburtstag eines Beamten „angestoßen“. Danach sei sie allein zum Heurigen gegangen, der Dienst der Beamten also beendet gewesen (wobei die gar nicht so einfach außer Dienst gestellt werden können). Erst später hätte die Alkofahrt der Beamten stattgefunden.
Das „Problem mit der Wahrheit“. Die scheibchenweise preisgegebene Information nährt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kanzlers. Die Opposition nützt das für sich. „Ich fordere Bundeskanzler Nehammer auf, der Öffentlichkeit reinen Wein einzuschenken“, sagte Christian Hafenecker, der Fraktionsvorsitzende der Freiheitlichen im Korruptions-U-Ausschuss. Auch die SPÖ sieht „die Vertuschung gescheitert“. „Das Kartenhaus der Lügen bricht zusammen“, sagt SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner, der die Anfrage eingebracht hat. Der rote Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch geht noch einen Schritt weiter: „Ein Kanzler, der ein Problem mit der Wahrheit hat, ist ein Problem fürs Land.“
Die Bodyguard-Affäre, die vorerst als Privatsache abgetan werden sollte, ist damit endgültig politisch geworden. Der öffentliche Auftritt des Kanzlers, bei dem er sich über die Methoden der politischen Konkurrenz beschwerte, wurde zum Bumerang. Denn mittlerweile geht es um seinen Umgang mit der Wahrheit und die Frage politischer Interventionen. Wieso wurde gelogen? Weshalb haben sowohl die Cobra-Beamten als auch der Chef der Spezialeinheit
ursprünglich unwahre Angaben zum Ablauf gemacht? Macht sich hier nur das im Schreiben des anonymen Cobra-Beamten kritisierte Naheverhältnis bemerkbar? Oder gab es Druck?
Die Fragen werden den Kanzler nach seiner Heimkehr aus der Ukraine weiter beschäftigen. Dabei sollte er die Bevölkerung in Zeiten wie diesen, wie Nehammer selbst zuletzt gesagt hat, vielmehr über sein Gespräch mit dem Präsidenten der Ukraine informieren und weniger zu Skandalen im Personenschutz Stellung nehmen müssen.
Die scheibchenweise preisgegebene Information gibt der Opposition Munition.
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