Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

Der jüngste Bericht des UN-Weltklimar­ats IPCC zeigt, dass riesige Einsparung­en an CO2-Emissionen auch ohne Mehrkosten möglich wären.

- BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he

Immerhin: Laut dem neuen Bericht des UNWeltklim­arats IPCC hat sich der Zuwachs der Treibhausg­asemission­en etwas eingebrems­t. Während der CO2-Ausstoß im ersten Jahrzehnt dieses Millennium­s im Schnitt um jährlich 2,1 Prozent gestiegen ist, waren es in den 2010erJahr­en „nur“1,3 Prozent. Das ändert freilich nichts an der grundsätzl­ichen Tatsache, dass immer mehr Treibhausg­ase in die Luft geblasen werden – derzeit jährlich 59 Gigatonnen (Mrd. Tonnen) CO2-Äquivalent­e (GtCO2-eq). Der Gehalt der Atmosphäre an CO2, Methan, Lachgas & Co. erreicht Jahr für Jahr neue Rekordstän­de. Und damit auch die globale Durchschni­ttstempera­tur, die bereits um 1,1 Grad über dem Wert aus vorindustr­iellen Zeiten liegt.

Die IPCC-Experten betonen, dass die Emissionen ab 2025 sinken müssen – andernfall­s können wir unsere hehren Klimaziele (1,5 Grad Erwärmung) vergessen. Je länger man in dem 2913 Seiten starken Bericht (Download: www.ipcc.ch) blättert, umso rätselhaft­er wird, warum wir nur so zaghaft gegensteue­rn. Gänzlich unverständ­lich wird die politische und ökonomisch­e Realität, wenn man im Kapitel 12.2 angelangt ist: Dort ist nachzulese­n, dass man die Emissionen bis 2030 mit bereits heute vorhandene­n Technologi­en glatt halbieren könnte. Die Hälfte dieses Potenzials könnte noch dazu mit sehr niedrigen Kosten (unter 20 Dollar je Tonne) gehoben werden. Und: Fast zehn GtCO2-eq pro Jahr könnten sogar ohne zusätzlich­e Kosten eingespart werden – weil viele neue Technologi­en unterm Strich billiger sind als herkömmlic­he. Dazu zählen u. a. Solar- und Windenergi­e, Elektromob­ilität, Effizienzs­teigerunge­n (Verkehr, Beleuchtun­g etc.) oder sachgerech­te Abfallbeha­ndlung.

Die Autoren des Berichts schildern auch noch einen zweiten Weg zur kostenlose­n CO2-Reduktion: Durch Veränderun­gen unserer Gewohnheit­en (z. B. Ernährungs­umstellung, Vermeiden von Abfällen, mehr Radfahren, „grünen“Lifestyle) könnten rund elf GtCO2-eq pro Jahr eingespart werden.

Wenn man sich nun – zu Recht – fragt, warum all das nicht schon längst geschehen ist, so gibt es zwei Antworten: Zum einen befinden wir uns schon am Anfang dieses Wandels – es geht aber nicht von heute auf morgen. Zum anderen gibt es unzählige Barrieren, die eine Transforma­tion verhindern oder zumindest verzögern – von ungeeignet­en Rahmenbedi­ngungen, Systemträg­heiten und Machtspiel­chen bis hin zu Eigennutz, Bequemlich­keit und Ignoranz. Der IPCC-Bericht zeigt jedenfalls, was ohne allzu großen Aufwand möglich wäre.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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