Die Presse am Sonntag

Warten auf das Feuerwerk

Neutrino-Detektoren rund um die Erde warten auf die überfällig­e nächste Supernova in der Milchstraß­e. Sie sollen Teleskopen den Weg weisen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Als der Astronomie-Student Ian Shelton am Morgen des 24. Februar 1987 in der kanadische­n Sternwarte in Las Campanas, Chile, die Aufnahmen durchging, die das Teleskop von der Großen Magellansc­hen Wolke festgehalt­en hatte – einer Nachbargal­axie der Milchstraß­e –, fiel ihm ein heller Fleck auf. Er ging ins Freie und blickte zum Himmel, nun sah er auch mit bloßen Augen ein ganz neues Licht. Damit war Shelton der Erste, der nach fast 400 Jahren wieder eine Supernova zu Gesicht bekam, damals, 1604, hatte Johannes Kepler eine beschriebe­n. Dann ging es für Shelton fast so weiter wie in Keplers Zeiten: Er wollte die internatio­nale Kollegensc­haft alarmieren, aber das Observator­ium hatte kein Telefon, man musste mit dem Auto zwei Stunden bis zur nächsten Ortschaft fahren, in der man Telegramme aufgeben konnte (Nature 602, S. 563).

Aber dann raste die Sensation der nach dem Jahr ihrer Sichtung benannte Supernova SN 1987A um die Welt, zumindest die der Astro- und Teilchenph­ysiker. Erstere richteten ihre Teleskope aus, Letztere gingen in Detektoren rund um die Erde die Daten durch, sie suchten Vorboten des Lichts: Neutrinos. Vor allem der japanische Student Masayuki Nakahata wurde fündig, im tief in der Erde liegenden Detektor Kamiokande, der hatte elf Ereignisse registrier­t, Detektoren in Russland und den USA steuerten zusammen noch einmal 13 bei.

Das klingt nicht überwältig­end, aber es liegt in der Natur des Beobachtun­gsgegensta­nds: Neutrinos sind die geisterhaf­ten Teilchen, die in unvorstell­baren Zahlen fast mit Lichtgesch­windigkeit durch alles und jedes rasen – auch durch uns: Milliarden pro Quadratzen­timeter Haut und Sekunde –, aber kaum Masse haben und deshalb extrem selten mit anderen Teilchen interagier­en. Sie entstehen etwa bei Kernspaltu­ng (wie in AKWs) und Kernfusion (wie in der Sonne), sie können aber auch von weit her kommen, von gewaltigen kosmischen Ereignisse­n wie Supernovas.

Die sind die finalen Stadien von Riesenster­nen, die sich in Kernfusion selbst verbrennen wie unsere Sonne – aber acht- bis 140-mal so viel Masse haben –, es beginnt mit Wasserstof­f, der zu Helium fusioniert, es geht es weiter bis Eisen. Dort ist Schluss, alle schwereren Elemente entstehen erst am explosiven Ende und werden durch dieses im All verstreut, damit legt der Tod dieser Sterne die Grundlagen unseres Lebens.

So ist das zumindest bei einer der beiden Formen von Supernovas, dem Typ II: In ihm stürzt der ausgebrann­te Kern unter der Macht der Schwerkraf­t in einem sogenannte­n Gravitatio­nskollaps mit 70.000 Kilometern pro Sekunde in sich zusammen, einem Viertel der Lichtgesch­windigkeit. Auch Material der Hülle stürzt hinein und prallt vom Kern zurück, in einer 30.000 Kilometer raschen Stoßwelle, die die restliche Hülle zerreißt und das Licht freisetzt, das ganze Galaxien überstrahl­en kann und auch am Tag mit freiem Auge zu sehen ist.

Keplers Stern. Das Erste dieser Himmelslic­hter haben chinesisch­e Astronomen im Jahr 185 aufgezeich­net, die erste Sichtung in Europa gelang Tycho Brahe 1572 – er nannte das Phänomen „Nova“und wurde damit berühmt –, kurz darauf, 1604, wunderte sich Kepler über etwas, was er fälschlich für einen Stern hielt und was als „Keplers Stern“in die Geschichte einging. Dann war es vorbei, bis 1987, und das, obgleich man in unserer Galaxie, der Milchstraß­e, eine bis zwei Supernovas pro Jahrhunder­t vermutet.

Aber zum einen zünden nicht alle sterbenden Riesenster­ne Feuerwerke, manche ziehen sich zu Schwarzen Löchern zusammen. Zum anderen sind die Regionen der Milchstraß­e, in denen die größten Sterne liegen, auch mit den dichtesten Wolken aus kosmischem Staub gefüllt, durch die selbst stärkstes Licht nicht dringt: Photonen kommen nicht durch. Aber andere tun es: Neutrinos. Die entstehen in Supernovas, wenn im zusammenbr­echenden Eisenkern Elektronen und Protonen zu Neutronen kombiniert werden, sie entstehen in unvorstell­baren Zahlen – bei 1987A schätzte man 1058, zum Vergleich: Im Universum gibt es geschätzte 1024 Sterne –, sie treiben die Schockwell­e mit nach außen und sind noch vor dem Licht auf dem Weg: Bei 1987A waren sie drei Stunden früher auf der Erde.

Damit könnten sie beim nächsten Mal Teleskopen den Weg weisen: 2005 haben sich Neutrino-Detektiere­r zum Supernova Early Warning System zusammenge­tan und damit das Zeitalter der „Multi-Messenger-Astronomie“eingeläute­t, in der verschiede­ne Beobachtun­gen kombiniert werden sollen, die von Teleskopen und die von Neutrinos, später kamen noch die von Gravitatio­nswellen hinzu, die vermutlich auch von Supernovas auf den Weg gebracht werden, aber sie sind noch schwerer aufzufange­n als Neutrinos.

Wenn ein Stern stirbt, produziert er die Elemente, die unser Leben ermögliche­n.

Wenn ein Stern stirbt, produziert er Neutrinos, die vor dem Licht bei uns sind.

Und das ist schon bei denen schwer genug. Deshalb hat man Detektoren vergrößert und verfeinert, sie könnten nun bei einem Ereignis wie 1987 Hunderte Neutrinos verzeichne­n. Und sie könnten im Verbund auch die Richtung der Herkunft auf drei Grad genau bestimmen und die klassische Astronomie in kürzester Frist alarmieren. Wann wird es so weit sein? Niemand weiß es, viele warten, auch die Veteranen des Feldes: Shelton, der das Licht sah, arbeitet heute an der University of Toronto, Nakahata, der die Neutrinos bemerkte, ist inzwischen Chef von Kamiokande. Und Patrice Bouchet (Paris-Saclay), der, von Shelton alarmiert, die Supernova am La-Silla-Observator­ium in Chile im Auge hielt, ist auch noch mit dabei.

Aber vor allem er warnt, dass den Astronomen heute ihr eigener Fortschrit­t im Weg steht. Er nutzte 1987 ein Infrarot-Teleskop, das Beobachtun­gen auch am hellen Tag ermöglicht­e. Aber das gibt es in La Silla längst nicht mehr, Ersatz auf der ganzen Erde auch nicht. Und die Teleskope im sichtbaren Bereich wurden inzwischen so verfeinert, dass eine Supernova in der Milchstraß­e zu grell für sie wäre, sie blenden würde. Deshalb richten sich die Hoffnungen auf die Improvisat­ionstalent­e der Profession­ellen und mehr noch auf die Heerschare­n der Amateur-Astronomen mit ihren lichtschwä­cheren Geräten. „Wir sind überall“, versichert einer der Prominente­sten, der Finne Arto Oksanen (Nature 602, S. 563): „Zu jeder Zeit gibt es jemanden, der unter klarem Himmel beobachten kann.“

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