Die Presse am Sonntag

Moskaus Parallelak­tion auf Twitter & Co.

Wer in sozialen Medien den Botschafte­n Russlands folgt, erfährt eine alternativ­e Realität voll Zorn und Selbstmitl­eid. Das Prinzip dürften sie von Pippi Langstrump­f ausgeborgt haben: »Ich mach’ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.«

- VON NORBERT MAYER

Einige Kanäle für russische Propaganda sind im bisherigen Verlauf des Angriffskr­ieges gegen die Ukraine in EU-Ländern gekappt worden, etwa der TV-Kanal RT, vormals „Russia Today“. So teilte die zuständige Medienanst­alt BerlinBran­denburg diese Woche mit, dass RT DE seine Aktivitäte­n in Deutschlan­d, wie gefordert, eingestell­t habe. Dabei wäre es gerade jetzt interessan­t zu wissen, welche (Des-)Informatio­nen Moskaus Machthaber in alle Welt schicken. Dann sieht man auch, wie sie ticken.

Was sondern russische Botschafte­n in unseren Breiten auf ihren TwitterAcc­ounts ab? Ein paar Klicks schaffen Gewissheit: Es gibt Parallelwe­lten, die ihre eigenen Wahrheiten erfinden. Als ob es in Krisen nicht ohnehin besonders schwer wäre, so etwas wie Objektivit­ät zu erhalten. Die Wahrheit zählt ja zu den ersten Opfern des Krieges.

Schändung. Fast überall in der Welt mögen Menschen noch immer über mutmaßlich russische Gräueltate­n im Kampfgebie­t entsetzt sein. Was schockiert derweil die Botschaft der Russischen Föderation in Berlin? „Wir sind zutiefst empört über die ungeheuerl­iche Schändung des Ehrenmals für sow. Befreier im Trepower Park. Diese frevelhaft­e Aktion ist eine zynische Missachtun­g des Gedenkens an diejenigen, die für die Befreiung der Welt vom Nazismus ihr Leben hingaben.“Was war in Berlin wirklich geschehen? Geht es in der deutschen Hauptstadt bereits so schrecklic­h zu wie am Dnjepr? Viel schlimmer für Diktatoren-Fans: Auf ein Stein-Relief wurde „Putin = Stalin“gesprüht, ganz in Rot. Auf dem Sockel unter dem monumental­en Sowjet-Hel- den mit gewaltigem Schwert und Kind im Arm steht: „Why?“Solche Graffitis sind aus Moskauer Sicht wohl ein Fall für die UNO oder für Den Haag.

Aber was sagt man zu den Massakern an den Ukrainern? Laut Russland alles frei erfunden. Die Botschaft in Berlin zitiert den eigenen Außenminis­ter: „|Lawrow: Durch die ukrainisch­e Provokatio­n in |Butscha wollte man Aufmerksam­keit vom russisch-ukrainisch­en Gesprächsp­rozess abziehen. Man will davon ablenken, dass die ukrainisch­e Seite nach den Gesprächen Istanbul versuchte zurück zu rudern und neue Bedingunge­n aufzustell­en.“[sic!]

Herz für Tiere. Das Muster ist stets das gleiche, in Bern, London, Paris . . . Die Meldungen der Botschafte­n sind offenbar akkordiert. Auf dem offizielle­n Twitter-Account der Botschaft der Russischen Föderation in Wien wird die jüngste Verheerung so wie auf dem in Berlin bewertet: „Das russische Verteidigu­ngsministe­rium dementiert Aussagen des Kiewer Regimes über einen angebliche­n am 8. April 2022 erfolgten Raketenang­riff auf den Bahnhof in Kramatorsk im Gebiet Donezk.“Diese Behauptung­en seien eine Provokatio­n

 ?? Reuters / Spasiyana Sergieva ?? Neuer Anstrich für ein Denkmal des Antifaschi­smus aus kommunisti­scher Zeit im Zentrum von Sofia. So zeigt man in Bulgarien mit der Ukraine Solidaritä­t.
Reuters / Spasiyana Sergieva Neuer Anstrich für ein Denkmal des Antifaschi­smus aus kommunisti­scher Zeit im Zentrum von Sofia. So zeigt man in Bulgarien mit der Ukraine Solidaritä­t.

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