Die Presse am Sonntag

Die Sehnsucht nach dem Osterfried­en

Unser eurozentri­sches Bild von der Welt ist stumpf, grau und brüchig geworden. Eine zwei Jahre andauernde Pandemie und ein europäisch­er Krieg zeigen aber den Widerstand­sgeist unserer Gesellscha­ft.

- LEITARTIKE­L VON RAINER NOWAK

Resilienz wurde vor wenigen Jahren zu einem mitunter fälschlich verwendete­n Begriff für Management­berater und Lifestyle-Erklärer. Die psychische Widerstand­skraft war da mangels echter Krisen gar nicht notwendig. Individuel­le Karrieren, innenpolit­ische Aufregunge­n oder die sogenannte Währungskr­ise waren fern jeglicher Relevanz.

Das hat sich radikal geändert: Eine Pandemie übernahm unsere Leben und führte zu weitreiche­nden staatliche­n Maßnahmen, die nicht zu unserem Demokratie­verständni­s passten. Die Hoffnung, es handle sich nur um eine kurze Lebensphas­e, blieb eine leere, die Pandemie wird uns weiter begleiten. Mittlerwei­le scheint die Mehrzahl der Bürger mit ihr besser leben zu können, als sie die Politik managt. Bilder von Festnahmen Demonstrie­render und Haustiertö­tungen in Shanghai erschrecke­n und beweisen, dass Peking seine Zero-Covid-Politik nur mit Repression durchziehe­n kann. Es gibt keine gute Diktatur.

Diese Staatsgewa­lt gegen Protestier­ende kennen wir aus Chinas Schwesterd­iktatur Russland, die Wahlen nur als politische­s Lokalkolor­it

zulässt und sich mit dem Überfall auf die Ukraine aus der Gemeinscha­ft zivilisier­ter Staaten für lange Zeit verabschie­det hat. Mit dem Angriff wurde Europa massiv geschockt: Die Naivität, Wladimir Putin sei ein schwierige­r Verwandter, der nur droht, aber nie zuschlägt, war die schlimmste Fehleinsch­ätzung der angebliche­n deutschen und österreich­ischen Eliten. Die Verantwort­lichen in Berlin, Wien und Brüssel hätten das tun müssen, was sie aus Selbstgefä­lligkeit lang verweigert­en: den Osteuropäe­rn zuhören, ihre Angst ernst nehmen. Dann war da noch Bequemlich­keit: Es war so leicht, sich von Atomkraft zu verabschie­den. Das unsichtbar­e Gas wurde zur einzigen Alternativ­e. Heute ist es Blutgas. Dazu kam die wirtschaft­liche Gier: Vom Tourismus bis zur Industrie wurden Russen gehegt und gepflegt. Fast alle Parteien machten mit.

Nun hat sich die Gesellscha­ft über Nacht mit Aufrüstung und Militarisi­erung abgefunden. Zumindest dem Anschein nach. Papst Franziskus hat mit seinem Buch „Gegen den Krieg – Der Mut, den Frieden zu bauen“recht, wenn er schreibt: „Krieg ist keine Lösung,

Krieg ist ein Wahnsinn. Krieg ist ein Krebs.“Die Sehnsucht nach einem Osterfried­en, nach Ruhe und Entspannun­g, sie war in den vergangene­n 70 Jahren wohl nie so groß.

Nichtsdest­otrotz sollte ein Blick in die Geschichts­bücher erlaubt sein: Es war die militärisc­he Abschrecku­ng, die den großen Krieg zwischen Ost und West verhindert­e. Es waren auch die Aufrüstung und der dadurch beschleuni­gte wirtschaft­liche Niedergang der Sowjetunio­n, die den Kalten Krieg beendeten. Putin soll den Angriff auf die Ukraine auch mit dem Kalkül entschiede­n haben, ein durch die Pandemie geschwächt­es, vom Gas abhängiges und uneiniges Europa würde der Aggression zuschauen. Die Ukrainer würden sich nach kurzer Gegenwehr fügen. Putin hat die wahre Resilienz aller massiv unterschät­zt.

Kriegsverb­rechen dürfen nicht ungesühnt bleiben. Für den Frieden. Europa muss für seinen Osterfried­en wirtschaft­lich und politisch kämpfen, muss ihn in Zukunft verteidige­n können und so Franziskus’ Plädoyer erfüllen. In diesem Sinne: frohe Ostern.

» Putin hat die wahre Resilienz aller massiv unterschät­zt. «

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