Karl Nehammer – ein Bundeskanzler sucht sein Profil
Einen Monat vor dem ÖVP-Parteitag macht Karl Nehammer, dessen hervorstechendste Eigenschaft bislang die Konsensfähigkeit war, durch eine Moskau-Reise von sich reden. Ist das der Anfang eines neuen Images, entwickelt von deutschen PR-Beratern? Und: Wird di
Das Timing ist kein schlechtes. Einen Monat, bevor Karl Nehammer – am 14. Mai in Graz – zum 18. Bundesparteiobmann der ÖVP gewählt wird, macht er mit öffentlichen Auftritten von sich reden, die ihm kaum jemand zugetraut hätte. In Kiew hat er vergangenes Wochenende den ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskij, getroffen. Und am Montag war er dann bei Wladimir Putin, als erster westlicher Regierungschefs seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Die Reise nach Moskau war umstritten, aber ein Aufmerksamkeitscoup. Auch internationale Medien wie CNN oder die „New York Times“haben darüber berichtet.
Da wie dort war Kai Diekmann, ehemals „Bild“-Chefredakteur, nun PRBerater, an Nehammers Seite. Mit seiner Agentur Storymachine berät Diekmann Politiker – in der Regel sehr dezent, man weiß nur von wenigen. EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist eine von ihnen. Karl Nehammer ein anderer?
Man habe sich deshalb mit Diekmann in Verbindung gesetzt, weil er Erfahrung mit Reisen in Kriegsgebiete und gute Kontakte habe, hieß es diese Woche aus dem Bundeskanzleramt. Etwa zu den Klitschko-Brüdern in der Ukraine. Oder auch zu Wladimir Putin, den er als Journalist mehrmals interviewt hat. Ein Honorar für die Begleitung Nehammers habe Diekmann aber nicht erhalten und auch alle Kosten selbst getragen, versichert man in der ÖVP. Diekmanns Motiv für den Gratisdienst: Er wolle etwas gegen den Krieg in der Ukraine unternehmen. Wobei vor allem einer im Mittelpunkt der Inszenierung stand: Karl Nehammer.
Doch über ein paar Ecken hat Diekmann sehr wohl eine Geschäftsbeziehung zur ÖVP. Die Bundespartei lässt sich (entgeltlich) von Storymachine beraten. Und auch mit dem türkisen Parlamentsklub hat Diekmanns Firma einen Beratervertrag abgeschlossen, der die Kommunikation rund um den aktuellen U-Ausschuss inkludiert. Zuständig dafür ist Georg Streiter, ehemals Politik-Ressortleiter der „Bild“.
Verdrängte Schlagzeilen. Die jüngsten Reisen des Karl Nehammer haben jedenfalls dafür gesorgt, dass anderes aus den Schlagzeilen verschwunden oder zumindest in den Hintergrund getreten ist: die Cobra-Affäre rund um Katharina Nehammer etwa, die Ehefrau des Bundeskanzlers, und zwei alkoholisierte Personenschützer. Oder auch die Korruptionsermittlungen gegen eine ganze Reihe von ÖVP-Politikern.
In den Wochen vor dem Parteitag versucht der Bundeskanzler offenbar, sein Profil zu schärfen und an Statur zu gewinnen. Bisher war ihm das kaum möglich gewesen, weil er seit dem Amtsantritt im Dezember ständig im Krisenmodus unterwegs war: Pandemie,
Ukraine-Krieg, U-Ausschuss, dazu die Übernahme einer – nach Sebastian Kurz – aufgewühlten und verunsicherten ÖVP. „Nehammer braucht jetzt das Signal, dass die Partei hinter ihm steht“, sagt ein Schwarzer. Doch die Gretchenfrage
Medial wandelt Nehammer auf den Spuren von Kurz, aber sonst ist die ÖVP Old School.
in der Volkspartei lautet: Ist der Bundeskanzler jemand, mit dem man auch Wahlen gewinnen kann?
Die großen Erfolge des Sebastian Kurz (bis hin zu 37,5 Prozent) sind für seinen Nachfolger außer Reichweite – darüber sind sich alle einig. Doch man traut Nehammer immerhin zu, dass er den ersten Platz verteidigt. Zu diesem Zweck muss ihm, dem Nachlassverwalter der Ära Kurz, die Synthese aus türkiser und schwarzer ÖVP gelingen. Und Nehammer scheint hier einen Plan zu haben: Medial wandelt er auf den Spuren von Kurz, der Stammgast in internationalen – vor allem deutschen – Zeitungen war. Gute Kontakte zum SpringerVerlag hat offenbar auch Nehammer. Die „Bild“-Zeitung berichtete als Erste, dass der österreichische Bundeskanzler zu Wladimir Putin reisen würde.
Gleichzeitig hat es den Anschein, als wäre die Volkspartei mit Nehammer wieder in die Zeit vor Kurz zurückgereist. Die Landesparteichefs sind dem Vernehmen nach wieder so einflussreich wie unter Reinhold Mitterlehner
haben: Das ÖVP-Türkis, eingeführt unter Kurz, soll im neuen Logo dunkler werden, indem ein Schwarzton hineingemischt wird. Außerdem will sich die ÖVP künftig nur noch „Die Volkspartei“nennen. Eine Bestätigung dafür gibt es vorerst aber nicht.
Weltanschaulich wie Kurz. Auch inhaltlich ist offen, welchen Weg die ÖVP unter Karl Nehammer einschlagen wird. Sebastian Kurz stand vor allem für eine restriktive Migrationspolitik – die von Nehammer angesichts Tausender Ukraine-Flüchtlinge aufgeweicht wurde. Wobei Kurz hier wohl ähnlich reagiert hätte. Schließlich unterscheidet man in der ÖVP zwischen europäischen Flüchtlingen und solchen, „die quer über andere Kontinente gekommen sind“(Verfassungsministerin Karoline Edtstadler). Die eine oder andere Ansage von Nehammer werde es beim Parteitag schon geben, glaubt man in der ÖVP. Etwa zur Teuerung. Aber generell erwarte man sich „keinen Paradigmenwechsel“. Zumal es weltanschaulich kaum Unterschiede zwischen Kurz und Nehammer gibt. Auch der amtierende Bundeskanzler ist in erster Linie Law-and-Order-Politiker und bestimmt kein Wirtschaftsliberaler.
Von den Strategen, die Kurz um sich geschart hat, haben nur wenige bei Nehammer angedockt. Kabinettschef Bernhard Bonelli hat das Kanzleramt verlassen. Politberater Stefan Steiner, Medienstratege Gerald Fleischmann und Pressesprecher Johannes Frischmann sind von der Bildfläche verschwunden (auch gegen sie wird teilweise ermittelt). Der eine oder andere wird aber im ÖVP-Klub gesichtet.
Markus Gstöttner, Vizekabinettschef bei Kurz, ist nun zum Kabinettschef aufgestiegen – und ebenso nah am Kanzler dran wir Pressesprecher Daniel Kosak. Einen regelmäßigen Austausch soll Nehammer mit Integrationsministerin Susanne Raab und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner pflegen, teilweise auch mit Nationalratspräsident
Wolfgang Sobotka. Vor allem die Kontakte in die ÖVP Niederösterreich, in der Nehammer lange Zeit beschäftigt war, sind intakt.
Am nächsten dran ist aber Ehefrau Katharina Nehammer, selbst PR-Beraterin. Sie hat unter anderem für Sobotka und Tanner gearbeitet. Im Kanzleramt gehe Katharina Nehammer ein uns aus, heißt es. Die Zusammenarbeit mit Kai Diekmann soll ihre Idee gewesen sein. Und auch die eine oder andere Reise. In Berlin, wo Karl Nehammer den Bruder des Kiewer Bürgermeisters Wladimir Klitschko getroffen hat, war sie dabei.
„Kein strategisches Zentrum“. Die Ehefrau als Beraterin, Kontakte zu Ministerinnen, aber sonst? Vielleicht wird Diekmann auch deshalb wichtig, weil da sonst wenige sind. Es gibt im Team Nehammer kein „strategisches Zentrum“, wie das einer nennt. Und keine „Flügelspieler“wie Gernot Blümel einer für Kurz war, also enge Vertraute, die den professionellen Prellbock spielen können, wenn es unangenehm wird. Einer, der ihn besser kennt, sagt: Man müsse sich nur fragen: „Wen schickt Nehammer spontan in die ,ZiB 2‘, wenn der Hut brennt? Bildungsminister Martin Polaschek, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck?“Die Regierungsmannschaft der ÖVP sei in der Hinsicht schwach. Zwei, die früher die „Ausputzer“gegeben haben, machen den Job nicht mehr: Karoline Edtstadler wäre lieber selbst Kanzlerin und bastelt an ihrer Marke. Und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger war bei der Regierungsumbildung Wackelkandidatin – und fühlt sich Nehammer anders als Kurz nicht verpflichtet. Als enger Verbündeter bleibt ÖAAB-Mann und Klubchef August Wöginger – aber gegen ihn wird wegen Einflussnahme auf eine Postenvergabe ermittelt.
Für die Grünen ist das ein Vor- wie ein Nachteil. In Verhandlungen vermisst man ein wenig die Berechenbarkeit des Systems Kurz: Man wusste, mit wem man reden muss, und kannte die
Positionen des Kanzlers. Nun gibt es mehr Player, mehr Dynamik – das macht den Spielraum für den kleinen Koalitionspartner größer, aber den Ausgang der Verhandlungen ungewisser.
Schwerer berechenbar ist aber auch der Kanzler: Während die Grünen einerseits loben, dass man sich mit Nehammer nicht täglich einen Profilierungskampf liefern müsse, erlebt man ihn gleichzeitig als gefühlsbetont. „Er ist viel emotionaler, als man denkt.“Insofern war die Pressekonferenz zur Cobra-Affäre zwar verunglückt, habe aber durchaus „den wahren Nehammer“gezeigt. Jemand, der stark reagiert, wenn er das Gefühl hat, er selbst oder seine Familie würde ungerecht behandelt: Bei der Pressekonferenz rauschte er beleidigt ab und sagte im Abgang, dass er jetzt etwas Wichtiges über die Ukraine
Die Grünen über Karl Nehammer: »Er ist viel emotionaler, als man denkt.«
nicht erzählt habe (gemeint war wohl der Kiew-Trip). Das war recht kindisch. Andererseits wird diese Berührbarkeit auch positiv erlebt. In den Berichten über seinen Besuch bei den Massengräbern von Butscha stand immer wieder: Man merke, wie nahe ihm das gehe. Nehammer wirkt „authentisch“.
Ob ihn die Diekmann-Beratung weiterbringen wird, ist für Mitbewerber offen: Natürlich seien das Profis, aber erstens könne man deutsche Verhältnisse nicht eins zu eins auf Österreich übertragen. Und zweitens seien Berater, die sich selbst sehr wichtig nehmen, nicht die besten: Mit seinem MoskauTrip sei Nehammer „in ein Testosteron-Match ehemaliger ,Bild‘-Sechzehnender hineingeraten“. Denn während Nehammer von Ex-„Bild“-Chefredakteur Diekmann beraten wurde, verriss der stellvertretende „Bild“-Chef und Sebastian-Kurz-Biograf Paul Ronzheimer die Reise komplett.
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