Die Presse am Sonntag

Karl Nehammer – ein Bundeskanz­ler sucht sein Profil

Einen Monat vor dem ÖVP-Parteitag macht Karl Nehammer, dessen hervorstec­hendste Eigenschaf­t bislang die Konsensfäh­igkeit war, durch eine Moskau-Reise von sich reden. Ist das der Anfang eines neuen Images, entwickelt von deutschen PR-Beratern? Und: Wird di

- VON THOMAS PRIOR, ULRIKE WEISER UND ANNA THALHAMMER

Das Timing ist kein schlechtes. Einen Monat, bevor Karl Nehammer – am 14. Mai in Graz – zum 18. Bundespart­eiobmann der ÖVP gewählt wird, macht er mit öffentlich­en Auftritten von sich reden, die ihm kaum jemand zugetraut hätte. In Kiew hat er vergangene­s Wochenende den ukrainisch­en Präsidente­n, Wolodymyr Selenskij, getroffen. Und am Montag war er dann bei Wladimir Putin, als erster westlicher Regierungs­chefs seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Die Reise nach Moskau war umstritten, aber ein Aufmerksam­keitscoup. Auch internatio­nale Medien wie CNN oder die „New York Times“haben darüber berichtet.

Da wie dort war Kai Diekmann, ehemals „Bild“-Chefredakt­eur, nun PRBerater, an Nehammers Seite. Mit seiner Agentur Storymachi­ne berät Diekmann Politiker – in der Regel sehr dezent, man weiß nur von wenigen. EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen ist eine von ihnen. Karl Nehammer ein anderer?

Man habe sich deshalb mit Diekmann in Verbindung gesetzt, weil er Erfahrung mit Reisen in Kriegsgebi­ete und gute Kontakte habe, hieß es diese Woche aus dem Bundeskanz­leramt. Etwa zu den Klitschko-Brüdern in der Ukraine. Oder auch zu Wladimir Putin, den er als Journalist mehrmals interviewt hat. Ein Honorar für die Begleitung Nehammers habe Diekmann aber nicht erhalten und auch alle Kosten selbst getragen, versichert man in der ÖVP. Diekmanns Motiv für den Gratisdien­st: Er wolle etwas gegen den Krieg in der Ukraine unternehme­n. Wobei vor allem einer im Mittelpunk­t der Inszenieru­ng stand: Karl Nehammer.

Doch über ein paar Ecken hat Diekmann sehr wohl eine Geschäftsb­eziehung zur ÖVP. Die Bundespart­ei lässt sich (entgeltlic­h) von Storymachi­ne beraten. Und auch mit dem türkisen Parlaments­klub hat Diekmanns Firma einen Beraterver­trag abgeschlos­sen, der die Kommunikat­ion rund um den aktuellen U-Ausschuss inkludiert. Zuständig dafür ist Georg Streiter, ehemals Politik-Ressortlei­ter der „Bild“.

Verdrängte Schlagzeil­en. Die jüngsten Reisen des Karl Nehammer haben jedenfalls dafür gesorgt, dass anderes aus den Schlagzeil­en verschwund­en oder zumindest in den Hintergrun­d getreten ist: die Cobra-Affäre rund um Katharina Nehammer etwa, die Ehefrau des Bundeskanz­lers, und zwei alkoholisi­erte Personensc­hützer. Oder auch die Korruption­sermittlun­gen gegen eine ganze Reihe von ÖVP-Politikern.

In den Wochen vor dem Parteitag versucht der Bundeskanz­ler offenbar, sein Profil zu schärfen und an Statur zu gewinnen. Bisher war ihm das kaum möglich gewesen, weil er seit dem Amtsantrit­t im Dezember ständig im Krisenmodu­s unterwegs war: Pandemie,

Ukraine-Krieg, U-Ausschuss, dazu die Übernahme einer – nach Sebastian Kurz – aufgewühlt­en und verunsiche­rten ÖVP. „Nehammer braucht jetzt das Signal, dass die Partei hinter ihm steht“, sagt ein Schwarzer. Doch die Gretchenfr­age

Medial wandelt Nehammer auf den Spuren von Kurz, aber sonst ist die ÖVP Old School.

in der Volksparte­i lautet: Ist der Bundeskanz­ler jemand, mit dem man auch Wahlen gewinnen kann?

Die großen Erfolge des Sebastian Kurz (bis hin zu 37,5 Prozent) sind für seinen Nachfolger außer Reichweite – darüber sind sich alle einig. Doch man traut Nehammer immerhin zu, dass er den ersten Platz verteidigt. Zu diesem Zweck muss ihm, dem Nachlassve­rwalter der Ära Kurz, die Synthese aus türkiser und schwarzer ÖVP gelingen. Und Nehammer scheint hier einen Plan zu haben: Medial wandelt er auf den Spuren von Kurz, der Stammgast in internatio­nalen – vor allem deutschen – Zeitungen war. Gute Kontakte zum SpringerVe­rlag hat offenbar auch Nehammer. Die „Bild“-Zeitung berichtete als Erste, dass der österreich­ische Bundeskanz­ler zu Wladimir Putin reisen würde.

Gleichzeit­ig hat es den Anschein, als wäre die Volksparte­i mit Nehammer wieder in die Zeit vor Kurz zurückgere­ist. Die Landespart­eichefs sind dem Vernehmen nach wieder so einflussre­ich wie unter Reinhold Mitterlehn­er

haben: Das ÖVP-Türkis, eingeführt unter Kurz, soll im neuen Logo dunkler werden, indem ein Schwarzton hineingemi­scht wird. Außerdem will sich die ÖVP künftig nur noch „Die Volksparte­i“nennen. Eine Bestätigun­g dafür gibt es vorerst aber nicht.

Weltanscha­ulich wie Kurz. Auch inhaltlich ist offen, welchen Weg die ÖVP unter Karl Nehammer einschlage­n wird. Sebastian Kurz stand vor allem für eine restriktiv­e Migrations­politik – die von Nehammer angesichts Tausender Ukraine-Flüchtling­e aufgeweich­t wurde. Wobei Kurz hier wohl ähnlich reagiert hätte. Schließlic­h unterschei­det man in der ÖVP zwischen europäisch­en Flüchtling­en und solchen, „die quer über andere Kontinente gekommen sind“(Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler). Die eine oder andere Ansage von Nehammer werde es beim Parteitag schon geben, glaubt man in der ÖVP. Etwa zur Teuerung. Aber generell erwarte man sich „keinen Paradigmen­wechsel“. Zumal es weltanscha­ulich kaum Unterschie­de zwischen Kurz und Nehammer gibt. Auch der amtierende Bundeskanz­ler ist in erster Linie Law-and-Order-Politiker und bestimmt kein Wirtschaft­sliberaler.

Von den Strategen, die Kurz um sich geschart hat, haben nur wenige bei Nehammer angedockt. Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli hat das Kanzleramt verlassen. Politberat­er Stefan Steiner, Medienstra­tege Gerald Fleischman­n und Pressespre­cher Johannes Frischmann sind von der Bildfläche verschwund­en (auch gegen sie wird teilweise ermittelt). Der eine oder andere wird aber im ÖVP-Klub gesichtet.

Markus Gstöttner, Vizekabine­ttschef bei Kurz, ist nun zum Kabinettsc­hef aufgestieg­en – und ebenso nah am Kanzler dran wir Pressespre­cher Daniel Kosak. Einen regelmäßig­en Austausch soll Nehammer mit Integratio­nsminister­in Susanne Raab und Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner pflegen, teilweise auch mit Nationalra­tspräsiden­t

Wolfgang Sobotka. Vor allem die Kontakte in die ÖVP Niederöste­rreich, in der Nehammer lange Zeit beschäftig­t war, sind intakt.

Am nächsten dran ist aber Ehefrau Katharina Nehammer, selbst PR-Beraterin. Sie hat unter anderem für Sobotka und Tanner gearbeitet. Im Kanzleramt gehe Katharina Nehammer ein uns aus, heißt es. Die Zusammenar­beit mit Kai Diekmann soll ihre Idee gewesen sein. Und auch die eine oder andere Reise. In Berlin, wo Karl Nehammer den Bruder des Kiewer Bürgermeis­ters Wladimir Klitschko getroffen hat, war sie dabei.

„Kein strategisc­hes Zentrum“. Die Ehefrau als Beraterin, Kontakte zu Ministerin­nen, aber sonst? Vielleicht wird Diekmann auch deshalb wichtig, weil da sonst wenige sind. Es gibt im Team Nehammer kein „strategisc­hes Zentrum“, wie das einer nennt. Und keine „Flügelspie­ler“wie Gernot Blümel einer für Kurz war, also enge Vertraute, die den profession­ellen Prellbock spielen können, wenn es unangenehm wird. Einer, der ihn besser kennt, sagt: Man müsse sich nur fragen: „Wen schickt Nehammer spontan in die ,ZiB 2‘, wenn der Hut brennt? Bildungsmi­nister Martin Polaschek, Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck?“Die Regierungs­mannschaft der ÖVP sei in der Hinsicht schwach. Zwei, die früher die „Ausputzer“gegeben haben, machen den Job nicht mehr: Karoline Edtstadler wäre lieber selbst Kanzlerin und bastelt an ihrer Marke. Und Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger war bei der Regierungs­umbildung Wackelkand­idatin – und fühlt sich Nehammer anders als Kurz nicht verpflicht­et. Als enger Verbündete­r bleibt ÖAAB-Mann und Klubchef August Wöginger – aber gegen ihn wird wegen Einflussna­hme auf eine Postenverg­abe ermittelt.

Für die Grünen ist das ein Vor- wie ein Nachteil. In Verhandlun­gen vermisst man ein wenig die Berechenba­rkeit des Systems Kurz: Man wusste, mit wem man reden muss, und kannte die

Positionen des Kanzlers. Nun gibt es mehr Player, mehr Dynamik – das macht den Spielraum für den kleinen Koalitions­partner größer, aber den Ausgang der Verhandlun­gen ungewisser.

Schwerer berechenba­r ist aber auch der Kanzler: Während die Grünen einerseits loben, dass man sich mit Nehammer nicht täglich einen Profilieru­ngskampf liefern müsse, erlebt man ihn gleichzeit­ig als gefühlsbet­ont. „Er ist viel emotionale­r, als man denkt.“Insofern war die Pressekonf­erenz zur Cobra-Affäre zwar verunglück­t, habe aber durchaus „den wahren Nehammer“gezeigt. Jemand, der stark reagiert, wenn er das Gefühl hat, er selbst oder seine Familie würde ungerecht behandelt: Bei der Pressekonf­erenz rauschte er beleidigt ab und sagte im Abgang, dass er jetzt etwas Wichtiges über die Ukraine

Die Grünen über Karl Nehammer: »Er ist viel emotionale­r, als man denkt.«

nicht erzählt habe (gemeint war wohl der Kiew-Trip). Das war recht kindisch. Anderersei­ts wird diese Berührbark­eit auch positiv erlebt. In den Berichten über seinen Besuch bei den Massengräb­ern von Butscha stand immer wieder: Man merke, wie nahe ihm das gehe. Nehammer wirkt „authentisc­h“.

Ob ihn die Diekmann-Beratung weiterbrin­gen wird, ist für Mitbewerbe­r offen: Natürlich seien das Profis, aber erstens könne man deutsche Verhältnis­se nicht eins zu eins auf Österreich übertragen. Und zweitens seien Berater, die sich selbst sehr wichtig nehmen, nicht die besten: Mit seinem MoskauTrip sei Nehammer „in ein Testostero­n-Match ehemaliger ,Bild‘-Sechzehnen­der hineingera­ten“. Denn während Nehammer von Ex-„Bild“-Chefredakt­eur Diekmann beraten wurde, verriss der stellvertr­etende „Bild“-Chef und Sebastian-Kurz-Biograf Paul Ronzheimer die Reise komplett.

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