Vorbei an Pferden, Ferienhäusern und Influencern
Kaum zu glauben, dass hier noch bis vor einigen Jahren beinahe nichts stand und dieses riesige Areal zu den größten Gstetten Wiens gehörte. Die Rede ist von dem Gebiet zwischen den Mautner-Markhof-Gründen und den Gasometer-Türmen in Simmering, also zwischen den U-Bahn-Stationen Enkplatz, Zippererstraße und Gasometer.
Freie Flächen, auf denen in weniger als 15 Jahren zwar kein neuer Stadtteil, aber eine riesige Siedlung mit Zehntausenden Wohnungen entstand. Mit Parks, Sport- und Spielplätzen – und natürlich Gehwegen, die sich hervorragend für Spaziergänge eignen. In einer Umgebung, die außergewöhnlich, einladend und reich an Gegensätzen ist.
Da wären zum einen die sandfarbenen Wohnhäuser mit den großen Balkonen, die an Ferienwohnungen in Ländern wie Italien, Spanien und der Türkei erinnern, direkt am Schütte-Lihotzky-Weg entlang der stillgelegten Eisenbahngleise – mit freier Sicht auf alle Gasometer-Türme. Ein Anblick, der reflexartig Urlaubs-Assoziationen weckt – vor allem dann, wenn es wärmer wird und sich das soziale Leben nach draußen verlagert. Freie Sicht gibt es im Übrigen nicht nur auf die Gasometer, sondern auch auf die drei fast fertig gebauten Hochhäuser in St. Marx in unmittelbarer Nähe – The One, Helio Tower und Q-Tower, auch bekannt als „The Marks“.
Entwicklung Simmerings. Tatsächlich lässt sich während eines rund einstündigen Spaziergangs zwischen Hyblerpark und Gasometern – beispielsweise entlang der Route Schütte-Lihotzky-Weg und Eyzinggasse, weiter zur Otto-Hermann-Gasse und Guglgasse vorbei an den Gasometern, um über die Rosa-Fischler-Gasse und den Medwedweg zurück zum Hyblerpark zu gehen – die Entwicklung Simmerings in den vergangenen 20 Jahren nachvollziehen. Inmitten moderner Neubauten mit Swimmingpools auf den Dächern befinden sich immer noch einzelne Schrebergärten und verfallene kleine Häuser mit Garten, ebenso wie große eingezäunte Felder, bei denen es angesichts der Nachfrage nach Wohnraum nur eine Frage der Zeit ist, bis auch sie verbaut werden.
Das Feriendorf-Flair ist aber nicht das Einzige, das den Charme dieser Gegend ausmacht. Tatsächlich ist hier so etwas wie eine Community entstanden – vielleicht wegen der vielen gepflegten Freizeit- und Sportanlagen, die zu täglichen „Begegnungszonen“wurden. Man kennt einander. Gegrüßt werden aber auch Durchreisende. Wer an einem der zahlreichen Pferdeställe stehen bleibt, wird hineingebeten, um die Pferde zu streicheln und zu füttern. Smalltalk auf einer Sitzbank wird nicht als aufdringlich empfunden, sondern erwidert. Besagte nicht mehr befahrene Eisenbahngleise sorgen sogar für einen
Hauch von Glamour in Simmering, halten sich hier doch insbesondere rund um den Sonnenuntergang zahlreiche Influencer auf, um Selfies mit den Gasometern im Hintergrund zu machen. Hier und da wird man sogar auf Englisch gefragt, ob man ein Foto für Instagram machen kann, das in den Tagen danach hunderttausendfach gelikt wird. Natürlich macht man das für die Gäste aus Skandinavien, Tschechien, Italien und Ungarn. Um danach vorbei an sandfarbenen Häusern, Pferdeställen, heruntergekommenen Hütten und liebevoll geschmückten Schrebergärten nach Hause zu gehen. aufgemachte Strandbar-Pop-up „Tschau Tschau“(hinter dem übrigens die Gastrono- men von „Burgermacher“und „Krypt“stehen), das sich derzeit auf die kommende Saison vorbereitet.
Über die Janis-Joplin-Promenade – die Straßennamen in der Seestadt sind alle nach berühmten Frauen benannt – geht es nun hinein ins bereits fertig gestellte südwestliche Viertel. Und auch wenn die ersten Seestädter schon seit bald acht Jahren hier leben, der Hauch des Neuen, gar Künstlichen ist noch nicht verflogen. Zumindest wähnt man sich nicht mehr gar so intensiv auf einem „Truman Show“-Filmset wie noch vor wenigen Jahren.
Trotzdem: Ein ungewohntes, ja, wundersames Gefühl bleibt, und nach einer Stunde Spaziergang durch die Gassen, vorbei am – dank mehrerer Gastroangebote – belebten Hannah-Arendt-Platz und angrenzendem Park, wird dann auch klar, warum: Es ist die Ruhe. Dieses sonst in Wien so allgegenwärtige Verkehrsrauschen hört man hier nicht. In der Seestadt selbst fährt niemand mit dem Auto bis zur Haustür vor, fast alle Pkws wurden an die Ränder oder in Parkhäuser verbannt.
Stichwort Parkhaus: In einem dieser hat im Februar eine neue Bühne eröffnet, die Kulturgarage. Derzeit wird das Musical „Jesus Christ Superstar“gezeigt.
Letztes Highlight, bevor es zurückgeht: Der Eissalon Schwedenplatz, der eine Filiale aufgemacht hat, um ein Stück Innenstadtflair in die Peripherie zu holen. Ob es funktioniert hat? Zumindest das Eis ist gut.