Chinas Corona-De´ja`-vu
Während sich der Rest der Welt langsam mit Corona arrangiert, hält China an seiner Zero-Covid-Strategie fest. Für die Weltwirtschaft könnte das neue Probleme bringen.
Es sind verstörende Bilder, die aus Shanghai über diverseste Social-Media-Kanäle derzeit den Rest der Welt erreichen. Mitarbeiter der chinesischen Gesundheitsbehörden, die auf offener Straße Haustiere wie Hunde oder Katzen mit Knüppeln erschlagen, nur weil deren Besitzer sich mit Corona infiziert haben und in ein verpflichtendes Quarantäne-Zentrum gebracht wurden. Kleine Kinder, die getrennt von ihren Eltern aufgrund einer Omikron-Infektion in Isolationsstationen in den Krankenhäusern liegen. Oder Menschen, denen im Lockdown die Nahrungsmittel ausgehen und die durch Rufe an offenen Fenstern auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam machen möchten.
Seit drei Wochen herrscht in der 26-Millionen-Einwohner-Stadt der Ausnahmezustand. Zwar wurden die Regeln in der vergangenen Woche für jene Gebäudekomplexe, in denen es in den zwei Wochen zuvor keine CovidFälle gegeben hat, etwas gelockert. Dennoch ist das Leben in Chinas größter und wichtigster Wirtschaftsmetropole nach wie vor drastisch eingeschränkt.
Und daran dürfte sich auch nicht so schnell etwas ändern. Denn nach wie vor setzt China auf seine Zero-Covid-Strategie, also das Ersticken von Infektionsherden im Keim durch rigorose Quarantänemaßnahmen. Mit dieser Methode konnte die Volksrepublik nicht nur die erste Welle im Jahr 2020 relativ schnell beenden – sie blieb, anders als etwa Europa oder die USA, bisher auch von weiteren Wellen verschont.
Das sorgte nicht nur für wesentlich weniger Einschränkungen für die chinesische Volkswirtschaft, sondern auch für viel geringere Todeszahlen.
Sind seit Ausbruch der Pandemie etwa in den USA bereits fast eine Million Menschen gestorben, waren es in China – laut offiziellen Angaben – weniger als 5000, also etwa ein Drittel der Zahl von Österreich.
Die Omikron-Variante, die deutlich ansteckender als frühere Varianten des Coronavirus ist, stellt diese Strategie nun jedoch auf den Prüfstand. Eine Lektion, die auch andere Länder wie Österreich lernen mussten, weshalb man in Europa dazu übergegangen ist, das Virus de facto „durchrauschen“zu lassen. In China sträubt sich die Politik jedoch noch dagegen, den eingeschlagenen Weg zu ändern. Erst am vergangenen Mittwoch bekräftigte Chinas Staatspräsident Xi Jinping, dass China bei seiner strengen Covid-Politik bleiben müsse. Langfristig werde man so Erfolg haben.
Experten nennen auch einen möglichen Grund für die harte Haltung der Führung in Peking: Durch die geringe Ausbreitung des Coronavirus in früheren Wellen ist die Zahl der natürlich immunisierten Personen in China sehr gering. Die Impfquote wiederum ist zwar relativ hoch, allerdings setzte das Land dabei vornehmlich auf die einheimischen Tot-Impfstoffe von Sinovac und Sinopharm – und diese beiden haben eine sehr geringe Wirkung bei der Omikron-Variante.
Reihenweise Lockdowns. Die öffentliche Wahrnehmung im Westen konzentriert sich bei der aktuellen Corona-Welle in China vor allem auf Shanghai. Allerdings geht die Auswirkung weit über die Wirtschaftsmetropole hinaus. Laut einer Analyse des japanischen Finanzdienstleisters Nomura wurde seit März in 45 Regionen Chinas ein teilweiser oder kompletter Lockdown eingeführt. „Momentan sind etwa 30 Prozent der chinesischen Wirtschaft in irgendeiner Form im Lockdown und 26 Prozent der Bevölkerung“, sagte Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China, vergangene Woche in einem deutschen TV-Interview.
Diese Situation eines chinesischen Corona-De´ja`-vus könnte somit auch für den Rest der Welt eine unangenehme Wiederholung bringen. So sorgte bereits die erste Corona-Welle Anfang 2020 für Unterbrechungen in den Lieferketten, die von der Weltwirtschaft noch Monate später in Form von Materialmangel und steigenden Preisen gespürt wurden. Im heurigen Frühjahr hätte sich diese Situation laut Ökonomen eigentlich beruhigen sollen, als dann durch den Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Preissteigerungen bei der Energie ein neuer Schock kam. Kommt es in China nun zusätzlich zu neuerlichen Ausfällen bei Produktion oder Transport, könnte das deutlich spürbare negative Effekte auf die weltweite Konjunktur haben.
Laut offiziellen Zahlen gibt es in China ein Drittel der Covid-Toten Österreichs.
Die Wachstumsprognosen für China wurden bereits kräftig gesenkt.
Für China selbst wurden die Prognosen in den vergangenen Tagen bereits reduziert. So erwartet die Weltbank statt eines Wachstums von 8,1 Prozent nun nur mehr ein Plus von fünf Prozent für heuer. Die Ökonomen der Bank unterbieten damit sogar das offizielle Wachstumsziel des Landes um einen halben Prozentpunkt.
In Fabriken hat man zwar aus den ersten Tagen der Pandemie gelernt, weshalb oft versucht wird, mittels sogenannter „closed-loop“-Systeme, bei denen die Arbeiter auch in ihrer Freizeit in den Unternehmen verbleiben, die Produktion aufrecht zu erhalten. Allerdings sind solche Modelle auch nicht dauerhaft aufrechtzuerhalten.
Noch problematischer ist die Situation bei den Häfen, wo die Ein- und Ausfuhr der Waren abgewickelt wird. Dort wird der Stau an nicht abgefertigten Schiffen täglich länger und die Frachtkosten steigen wieder. Von den globalen Märkten werde der Ernst der Situation in China nach wie vor unterschätzt, heißt es bei Nomura.