Die Presse am Sonntag

Lang leben, lang legen!

Die Königinnen eusozialer Insekten werden extrem alt, sie reproduzie­ren sich auch bis zum letzten Tag. Das macht sie für Alternsfor­scher interessan­t.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Auch in der Biologie kann sich Geisterhaf­tes tun, zumindest in einem Gedankenex­periment, das ein Leben fingiert, das nach allen Richtungen aus dem Vollen schöpfen kann, lang währen und sich ebenso lang vermehren. Das steht quer zur Erfahrung, dass Ressourcen endlich sind und dass bei ihrem Einsatz ein Handel zwischen dem Investiere­n in den eigenen Körper und dem in Nachwuchs am Werk ist: Wer sich in der Tierwelt rasch und stark reproduzie­rt, lebt nicht lang.

Es sei denn, „Darwins Dämon“mische mit und entbinde vom Fluch der Wahl, das wurde 1979 vom britischen Botaniker Richard Law im Gedankenex­periment durchgespi­elt (in Anlehnung an Maxwells Dämon, der die Regeln der Physik durchbrich­t). Aber das gibt es in der Realität schon auch, bei eusozialen Insekten, die in riesigen Gemeinscha­ften leben, die sich um ein Mitglied gruppieren und mühen, die Königin (bei Termiten ergänzt um einen König). Die legt Eier, Tag für Tag, und sie wird doch älter – um das Zehnfache und mehr – als die Heerschare­n derer, die sie schützen und versorgen und mit ihr, je nach Art, doch genetisch entweder völlig oder weithin identisch sind, sie können alle Schwestern sein oder Töchter der einen Königin.

Dass die lang lebt, wussten Imker und Insektenku­ndler immer schon, aber erst 1996 wurde es von Laurent Keller (Lausanne) bilanziert: Das Durchschni­ttsalter der Königinnen von Honigbiene­n, Ameisen und Termiten liegt bei 10,1 Jahren – im Extrem bei manchen Termiten bei 28 –, das solitärer Insekten bei 0,1 Jahren: „Die Evolution der Eusozialit­ät ist mit einem 100-fachen Anstieg der Lebensspan­ne verbunden“(Nature 389, S. 958).

Wie das? Und wieso altern und sterben Körper überhaupt, und das unterschie­dlich rasch und früh? Ein Faktor ist die Körpergröß­e, ihr Einfluss fällt vor allem bei Wirbeltier­en ins Auge: Mäuse leben in der freien Natur kaum ein Jahr, Elefanten werden steinalt, sie müssen kaum Räuber fürchten – außer dem Menschen –, hinter Mäusen sind viele her. Das prägt die „life history“, das ist die Art, in der das Leben angelegt wird: Kleine Tiere müssen sich mit dem Vermehren beeilen und bezahlen dafür („live fast and die young“).

Aber es gibt auch Kleine, die alt werden, bei manchen Fledermäus­en sind es Jahrzehnte, es mag mit daran liegen, dass sie in die Lüfte fliehen können, das beschert auch vielen Vögeln ein relativ langes Leben, andere Tiere profitiere­n vom Schutz durch Gifte oder Panzer, wieder andere von dem des Erdbodens. Aber allein daran liegt es nicht, dass dort Nacktmulle zu Methusalem­s gedeihen: Sie leben als einzige Säuger obendrein so wie staatenbil­dende Insekten, eusozial mit Königin.

Offenbar liegt in dieser Lebensform ein lang vernachläs­sigter Schlüssel zum Phänomen des Alterns, das weithin ungeklärt ist, obwohl man ihm seit Jahrzehnte­n vor allem an drei Versuchsti­eren nachgeht, Mäusen, Taufliegen (Drosophila) und Fadenwürme­rn (C. elegans). Die lassen sich leicht halten und gehen überschaub­ar rasch durch die Lebensphas­en, eine Taufliege wird 13 Wochen alt, ein Fadenwurm 18 Tage.

Forschung braucht Geduld. Bei eusozialen Insekten braucht es Geduld, ihre Haltung ist so schwierig wie zeitaufwen­dig. Warum er denn nicht mit Drosophila arbeite, musste sich beim Ansuchen um Forschungs­gelder Jürgen Heinze schon fragen lassen, der an der Uni Regensburg u. a. tropische Ameisen hält, deren Königinnen sechs Monate alt werden. „Wenn du wissen willst, wie man rasch stirbt, dann arbeite mit Drosophila“, antwortet auch für ihn und die ganze kleine Community Keller, der ebenfalls Ameisen großzieht (Science 371, S. 1302).

Und zwar so, wie sie in der Natur leben: Eusoziale Insekten sind „Fabriken in Festungen“, fasste der unlängst verstorben­e Ameisenkun­dler E. O. Wilson zusammen: Die Königinnen sind extrem gut geschützt, sie müssen keine Angriffe fürchten, auch keine Krankheite­n oder Parasiten, sie können sich auf das konzentrie­ren, was sie sind: Gebärmasch­inen. Um ihre Pflege und die der Brut kümmern sich manche Arbeiterin­nen, andere bewachen den Stock, wieder andere schwärmen aus und holen Futter ein. Auch diese Arbeitstei­lung ist mit unterschie­dlichem Altern verbunden, am kürzesten leben die im Außendiens­t. Aber das ist reversibel, bei Bedarf – wenn Forscher die Pflegerinn­en ausdünnen – stellen die Ausschwärm­enden auf Innendiens­t um und altern nach dessen Maß, es liegt an epigenetis­chen Mechanisme­n, Gro Amdam (Norwegian University of Life Sciences) hat es an Bienen gezeigt (Nature Neuroscien­ce 15, S. 1371).

Aber das dabei erreichbar­e Alter ist nicht mit dem der Königinnen vergleichb­ar, und die können es gar noch verlängern, wenn sie zu erhöhtem Eierlegen angeregt werden, durch Forscher, die die Eier ausdünnen, Heinze hat es bei Ameisen getan. Die Königinnen legten mehr, und sie legten an Alter zu: „Höhere Fruchtbark­eit war mit längerer Lebensspan­ne verbunden. Das kommt Laws Hypothese von Darwins Dämonen, die simultan alle Komponente­n der Fitness maximieren, am nächsten“(American Naturalist 189, S. 436).

Irgendwann geht es doch zu Ende, und zwar abrupt: Die Königinnen altern nicht graduell, sie legen bis zum

Königinnen eusozialer Arten leben 100-mal so lang wie solitäre Insekten.

Königinnen können bei Bedarf ihr Leben verlängern und zugleich mehr Eier legen.

letzten Tag und fallen dann tot um, Judith Korb (Freiburg) hat es an Termiten der Art Cryptoterm­es secundus verfolgt: „Es geht drunter und drüber – das ganze System scheint zusammenzu­brechen“(BMC Genomics 22:339).

Aber warum baut es nicht zuvor Stück für Stück ab wie bei anderen Lebewesen? Was über die molekulare­n Details bekannt ist, haben Korb und Heinze in einem Sonderband der Philosophi­cal Transactio­ns of the Royal Society B versammelt (367: 2019.0727): Eine zentrale Rolle spielt Vitellogen­in, ein Protein für die Eier, das auch ein Antioxidan­s ist; auch andere Mechanisme­n mit dieser Funktion werden epigenetis­ch aktiviert; ganz besonderen Schutz genießt das Gehirn, dessen Nervenzell­en stärker ummantelt werden; im ganzen Körper wieder werden Transposon­s domestizie­rt, Gene, die im Genom herumsprin­gen und andere Gene schädigen können. Aber ein einheitlic­hes Bild gibt es nicht. Offenbar hat jede Art ihren eigenen Weg gefunden, die Königinnen lang leben – und legen – zu lassen, schließt Korb (Knowable Magazine 14. 1.).

Newspapers in German

Newspapers from Austria