Die Rückkehr des Karim Benzema
Er lieferte Schlagzeilen mit Sexvideos und Erpressung, wurde aus der Equipe Tricolore geworfen und verurteilt. Jetzt trifft Karim Benzema, Frankreichs Stürmerstar, 34, am laufenden Band und erreicht mit Real Madrid ganz neue Höhen.
Was war das für ein Abend am vergangenen Mittwoch im Estadio Bernabe´u. Im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinales lag Real Madrid gegen Chelsea bereits mit 0:3 zurück und sah nach dem 3:1-Erfolg im Hinspiel wie der sichere Verlierer aus, ehe Rodrygo das Team um David Alaba mit einem traumhaften Volleytor (80.) in die Verlängerung rettete. Dann, in der 95. Minute, der Auftritt von Karim Benzema: Der Real-Stürmer sprintet in den Strafraum, schleicht seinen Bewachern davon – und köpfelt den Ball nach einer Flanke von Vin´ıcius Ju´ nior wuchtig ins Tor. 2:3, das Bernabe´u bebt. Nach dem Hattrick im Hinspiel hat Benzema die Königlichen eigentlich im Alleingang ins Halbfinale der Champions League geschossen. „Big Ben“, „König von Europa“, titelten die spanischen Sportgazetten.
Das Spiel steht sinnbildlich für die Karriere des Franzosen, die jetzt, im Alter von 34 Jahren, ihren Höhepunkt erreicht. Benzema gilt als der beste Neuner der Welt, Pardon: Mittelstürmer. Kürzlich hat er sogar Klublegende Alfredo Di Ste´fano als drittbesten RealTorschützen eingeholt.
„Zone de s´ecurit´e prioritaire“. Benzema galt lang als enfant terrible des französischen Fußballs. Nur ein kleiner Auszug aus seinem polizeilichen Führungszeugnis. 2013: Führerscheinentzug. 2014: Prozess um Sex mit einer minderjährigen Prostituierten. 2015: Sextape-Skandal. Nachdem bekannt wurde, dass er seinen damaligen Mannschaftskameraden Mathieu Valbuena mit einem Sexvideo erpresst haben soll, flog er aus der französischen Nationalmannschaft – und wurde zur persona non grata. In Madrid haben sie nur müde darüber gelächelt, dort ist man Affären des Königs gewöhnt, doch in der Heimat wuchs sich der Fall zu einer Staatsaffäre aus. Das hat auch mit seiner Herkunft zu tun.
Der Sohn algerischer Eltern wuchs in der Banlieue von Lyon auf, in BronTerraillon, eine Trabantensiedlung mit 39.000 Einwohnern. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Kriminalität auch. „Zone de se´curite´ prioritaire“– so nennt man im Verwaltungsfranzösisch Brennpunkte, in denen Drogenbanden und Clans den Alltag dominieren. Karim ist das sechste von neun Kindern.
Seine Großeltern stammen aus der Kabylei, jener Berberregion in Algerien, wo auch die Familie seines großen Idols herkommt: Zine´dine Zidane.
Die Familie wohnte beengt in einer Sozialwohnung, das Einkommen des Vaters, der als Hausmeister im Rathaus arbeitet, reichte gerade aus, um die Rechnungen zu bezahlen. Karim, erzählte seine Mutter einmal in einer TVDokumentation, soll in der Wohnung so viel Krach gemacht haben, dass sie einen Softball kaufen mussten.
Für das Kind gab es immer nur eines: Fußball. Zwischen betrüblichen Betonbauten der Plattenbausiedlung kickte er bei jedem Wind und Wetter, mal mit seinem kleinen Bruder, mal mit der Mutter, die als Torhüterin aushelfen musste. Und wenn keiner Zeit hatte, spielte er eben allein, auf dem Pausenhof der Grundschule.
Schnelles Geld, falsche Freunde. Sein Talent blieb nicht verborgen: Bei einem Auswahlturnier wurden Scouts von Olympique Lyon auf den Neunjährigen aufmerksam, er wechselte in die Jugendakademie des Klubs, wo ihn der Vater fünf Mal pro Woche hinfuhr. Er galt damals als pummelig und träge, machte nicht viel für das Spiel, entwickelte jedoch diesen „Instinkt“, den große Strafraumstürmer vor dem Tor
Frankreichs Real-Stürmer auszeichnet. Er durchlief alle Jugendmannschaften, war Teil einer goldenen Generation um Hatem Ben Arfa und Re´my Riou. Dann kamen das schnelle Geld und, klassisch, die falschen Freunde. Von seinem ersten Profigehalt kaufte er sich einen BMW M6.
Die Art und Weise, wie Benzema sein Leben auf Instagram erzählt – schnelle Autos, schöne Frauen, teure Uhren – erinnert an den Jetset eines Hip-Hop-Stars. In Gesellschaft seiner Rapperfreunde Rohff und Booba fühlt sich der bekennende Muslim, der trotz seiner Karriere als Profifußballer auch im Ramadan streng fastet, bisweilen wohler als in den weinseligen Runden der VIP-Logen.
Man muss diese Sozialisation im Hinterkopf haben, um die Außenwirkung des Menschen Benzema zu verstehen. Wann immer der Stürmerstar negative Schlagzeilen macht, sehen die Franzosen in ihm das Ghettokind, das sich nicht benehmen kann. Benzema, der sowohl die französische als auch die algerische Staatsbürgerschaft besitzt, hat das früh bemerkt. In einem Interview mit dem Magazin „So Foot“sagte er 2011 den für Frankreichs Integrationspolitik stellvertretenden Satz: „Wenn ich treffe, bin ich Franzose. Aber wenn ich nicht treffe oder es Probleme gibt, bin ich Araber.“
Er schweigt zur „Marseillaise“. Auf die Frage, warum er für die französische und nicht für die algerische Nationalmannschaft spielt, sagte Benzema 2006 in einem TV-Interview, das liege „mehr an der sportlichen Seite“. Die später sinnentstellend und falsch zitierte Aussage flog ihm immer wieder um die Ohren – und wurde ihm als mangelnde Vaterlandsliebe ausgelegt. Dass er bei Länderspielen die „Marseillaise“partout nicht singt, weil sie schließlich zum Krieg aufrufe, und er sich nach dem Champions-League-Sieg 2018 mit der algerischen Flagge ablichten ließ, beruhigte die Zweifler nicht; im Gegenteil. Man verlangt von ihm ein noch stärkeres Bekenntnis zur Nation als von allen anderen. Seitdem er diesen bedrohlich wirkenden Bart trägt, macht er es Kritikern leichter, ihn als Islamisten zu karikieren. Keiner polarisiert so wie Benzema, keiner bedient so viele Klischees.
So geriet unter anderem sogar seine Rückkehr in die von Didier Deschamps betreute E´quipe Tricolore im vergangenen Jahr tatsächlich zu einem Politikum. Der rechtsextreme Publizist und Politiker Eric Zemmour, der selbst algerischer Abstammung ist und gefordert hatte, dass sich Zidane mit Vornamen „Jean“nennen sollte, säte Zweifel, ob Benzema sich denn französisch fühle. Und auch die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen attackierte den Stürmer in aller Öffentlichkeit. Doch im Gegensatz zu Landsleuten wie Paul Pogba (Manchester United), der nach Recherchen von „Mediapart“seine Millionen unbekümmert in Steueroasen parkt, bezahlt Benzema Steuern seit jeher in Frankreich – seine Firma „Best of Benzema“sitzt in Lyon.
» Wenn ich treffe, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber. « KARIM BENZEMA
Platini, Cantona, Zidane, Karim? Allmählich beginnen auch Franzosen seine Verdienste für die Nation zu würdigen und den Fußballer, der seit 2009 in 407 Spielen für Real Madrid 212 Tore geschossen hat, nur nach seinen sportlichen Leistungen und nicht weiter nach seiner Herkunft zu beurteilen. Vom Können allein spielt er für viele längst in einer Liga neben französischen Ikonen wie Michel Platini, Eric Cantona oder „Zizou“. Es fehlen aber noch große Titel mit dem Nationalteam: Beim EM-Sieg 2016 wie auch beim WM-Triumph 2018 war Benzema nur Zuschauer. Der Gewinn der „Nations League“2021 war zumindest ein erstes Versprechen.
Mit seinen Klubs gewann er vier Mal die französische Meisterschaft und wird in dieser Saison auch zum vierten Mal spanischer Meister. Mit Real spielt er um den fünften Champions-LeagueSieg seit 2015. Der Stürmer schießt Hattricks, die Sexvideo-Affäre ist mit einem Jahr Haft auf Bewährung abgehakt. Was also fehlt, damit ihn Frankreich endgültig ins Herz schließt? Der Ballon d’Or? Er war dafür bereits zehn Mal nominiert. Immer strahlte bei der Gala ein anderer. Warum? Weil er Karim Benzema ist.
Erster Sieger wurde 1896 der Bayer Josef Fischer, der die 280 Kilometer nur über Pave´s in 9:17-Stunden bewältigte und erst 119 Jahre später in John Degenkolb einen deutschen Nachfolger gefunden hat.
Die Liebe zum Pflasterstein. Die fortschreitende Asphaltierung bedrohte dieses Monument des Radsports, eines von fünf neben Mailand–San Remo, Flandern-Rundfahrt, Lüttich–Bastogne–Lüttich und der Lombardei-Rundfahrt. Fünf Kilometer Kopfsteinpflaster fielen mittlerweile dem Streckenbau für den Hochgeschwindigkeitszug TGV zum Opfer. Die Organisation „Les Amis de Paris–Roubaix“führte jahrzehntelang einen verzweifelten Kampf gegen den Teer, frei nach dem Motto: „Sans pave´s, pas de course“, also: ohne Steine kein Rennen. 52,6 gepflasterte Kilometer stehen schließlich seit 2000 unter Denkmalschutz, es sind über sechs Millionen dieser dicken, schweren Steine. Die Strecke 2022 ist mit der des Vorjahres identisch: 257,2 Kilometer lang, davon laufen 54,8 Kilometer über stolze 30 Pave´ s-Passagen.
Tour de France und Paris–Roubaix als französisches Super-Double im Palmare`s ist in der Szene jedoch seit drei Jahrzehnten nicht mehr begehrt. Bernard Hinault war 1981 der letzte TourSieger in Roubaix. Einer wie Jan Ullrich wäre als Zeitfahrer für dieses abartige Rüttelrennen prädestiniert gewesen. „Ich will schließlich noch Kinder zeugen“, begründete der Tour-Sieger von 1997 einmal ironisch sein Desinteresse. Jetzt ist der mittlerweile 48-Jährige vierfacher Vater.
Großer Favorit für die 119. „Königin der Klassiker“ist der Holländer Mathieu van der Poel (27), Dritter 2021 und Sieger der Flandern-Rundfahrt am vorvergangenen Sonntag. Belgien, die erfolgreichste Paris–Roubaix-Nation (57 Siege) mit dem einzigen viermaligen Sieger Roger de Vlaeminck und dessen großen Rivalen Eddy Merckx (drei Siege) in den 1970er-Jahren, hätte in Wout van Aert einen Favoriten gehabt. Doch der sechsmalige Tour-Etappensieger und Vorjahrssiebte startet als Coronagenesener nach drei Wochen Rennpause nicht in optimaler Form.
Corona hat auch die Vorbereitungen von John Degenkolb (33) gestört. Der Sieger von 2015 und Zweite von 2014 sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, er habe bei den Vorbereitungen auf sein „Lieblingsrennen“improvisieren müssen. Seine ganze Familie in Oberursel am Taunus wurde vom Covid-19-Virus infiziert. „Ich kann nicht nach Hause.“Wie ein „Vagabund“sei er nach Flandern-Rundfahrt (18.) und Amstel-Gold-Race (Aufgabe) zum Training unterwegs gewesen. Erst auf Mallorca, dann in Köln, wo der Kapitän des niederländischen DSMTeams mit seinem Mannschaftskollegen Nikias Arndt trainierte. „Ich zähle mich zu den Fahrern für die Top Ten.“Ohne Sturz oder Defekt ist dem Pave´sSpezialisten alles zuzutrauen. Wo feierte der Klassiker-Experte seinen ersten und einzigen Tour-Etappensieg? 2018 auf dem Kopfsteinpflaster nach Roubaix.
Letzten Herbst war Degenkolb auf dem schmierigen Parcours gestürzt und hatte das Rennen 2021 mit 12:24 Minuten Rückstand auf Platz 53 beendet. Er sei „megahappy, dass ich das Velodrome erreicht habe“, sagte er danach mit dreckigem, aber fröhlichem Gesicht. „Einfach krass. Das sind Geschichten für die Enkel.“
Speichen-Hilfe aus Kärnten. Nils Politt, Kapitän des deutschen Bora-hansgrohe-Septetts, Zweiter 2019, gibt sich nach Erkrankungen und Formschwäche im bisherigen Saisonverlauf, selbstbewusst: „Da kann alles passieren. Ich bin guter Hoffnung.“Zu seinen stärksten Helfern zählt als Neuer im
Team Marco Haller (31). Der Kärntner ist Roubaix-Routinier, kämpfte sich zuletzt, noch in der Mannschaft BahreinVictorious des Siegers Colbrelli, auf den 17. Platz mit 6:21 Minuten Rückstand, nachdem er wegen eines Defekts aus einer Spitzengruppe zurückgefallen war.
Historie bei jedem Tritt. Paris–Roubaix ist und bleibt eines der Monumente, seit 1977 wird der Frühjahrsklassiker aber nicht mehr in Paris, sondern 80 Kilometer nördlich, vor dem Schloss in Compie`gne, gestartet. Das Ziel ist im
119. »Königin der Klassiker«: Großer Favorit ist heute Mathieu van der Poel.
Dramen und Leiden auf zwei Rädern. Trotzdem liebt man in der Szene dieses Rennen.
Ve´lodrome von Roubaix. Die Passagen Arenberg, Mons-en-Pevele oder Carrefour de l’Arbre gelten mit einer FünfSterne-Wertung als schwierigste Teilstücke. Es sind Symbole, nein Meilensteine auf Pflastersteinen. Dass die Trophäe für den Sieger, wie könnte es anders sein, ein Original-Pave´ ist, versteht sich nahezu von selbst. Aber, der und ein Siegerscheck sind nicht genug. Der Gewinner erhält auch ein Messingschild an einer der uralten Duschen im Radstadion. Immerhin.
PARIS–ROUBAIX