Wie die Kirche Menschen mit Ritualen zurückholt
Tausende Menschen treten jedes Jahr nach einem Austritt wieder in die Kirche ein – vor allem, um Taufpatin oder Taufpate sein zu können. Nicht alle haben vor, danach dauerhaft dabeizubleiben: Die Kirche muss ihnen schon etwas bieten.
Für ihren 30. Geburtstag hatte sich Katrin Matzer eine Deadline gesetzt: Sie würde die katholische Kirche verlassen – „wenn ich bis dahin keinen Grund finde, dabeizubleiben“. Doch weder die Kirche noch das Leben wollten ihr einen liefern. Die Beziehung der Steirerin zur Kirche hatte über die Jahre eine negative Färbung angenommen. Einige Schicksalsschläge in ihrem Umfeld ließen sie an der Existenz eines Gottes zweifeln. „Ich war gefühlt öfter zum Beten bei Todesfällen in der Kirche als für schöne Anlässe“, erzählt sie. „Aber warum bete ich jemanden an, der mir nie zeigt, ob es ihn gibt oder nicht?“Als sie im April des vergangenen Jahres schließlich 30 wurde, tat sie, was in ihrem Freundeskreis schon einige getan hatten: Sie trat aus.
Ein Jahr später ist sie bereits wieder Mitglied. Das Zeichen, auf das sie gewartet hatte, ist verspätet doch noch gekommen: Eine ihrer besten Freundinnen wurde schwanger und bat Matzer, die Taufpatin für ihren Sohn zu werden. Matzer fühlte sich geehrt. Um das Amt übernehmen zu können, musste sie wieder in die Kirche eintreten. „Vielleicht
hätte ich meine Deadline um ein paar Monate verlängern sollen“, sagt sie. Rückblickend betrachtet war die Kirchenpause ein „Austritt auf Probe“.
Fälle wie ihren gibt es viele: Rund 4000 bis 5000 Menschen treten jedes Jahr in Österreich wieder in die katholische Kirche ein. Der Grund ist oft ein konkreter Anlass: etwa um Tauf- oder Firmpatin sein oder um kirchlich getraut werden zu können. Für viele junge Erwachsene, die zuvor ausgetreten sind – um den Kirchenbeitrag nicht zahlen zu müssen, weil sie von Missbrauchsfällen erschüttert, mit der Haltung
der Kirche in gesellschaftlichen Fragen nicht einverstanden oder einfach nicht religiös sind –, bietet die Kirche dann wieder Rituale, auf die sie nicht verzichten wollen.
Auch für Katrin Matzer sind es die gemeinschaftlichen Anlässe, die sie an der Kirche schätzt. An ihre eigene Erstkommunion im steirischen Ilz denkt sie mit Freude zurück: „Das hat mir was gegeben.“Der Entwicklung von Kindern tue das Ritual gut, ist sie überzeugt. Der Religion und der Kirche als Organisation gegenüber ist sie kritisch. Besonders religiös ist auch ihre Familie nicht: „Als ich einen Firmpaten gesucht habe, habe ich erst jemanden finden müssen, der noch bei der Kirche dabei ist.“Dann kam lang nichts mehr: „Nach der Firmung sind die schönen Anlässe der Kirche vorbei.“Der Austritt war in ihrem Umfeld schließlich „ein Generationsphänomen“, berichtet sie.
Kein lebenslanges Abo. Auch das mag ein Generationsphänomen sein, doch Geschichten wie die von Matzer zeigen: Die Kirchenmitgliedschaft ist für viele – vor allem junge – Menschen kein dauerhaftes Commitment mehr. Bei den Recherchen ist die „Presse am Sonntag“auf Menschen gestoßen, die für einen Einsatz als Taufpaten kurzzeitig wieder eingetreten sind – mit keinerlei Absicht, länger als nötig dabeizubleiben. Und auf solche, die sich von ihrer Kirche nicht angesprochen fühlten, ihr jetzt, da ein Anlass sie zurückgelockt hat, aber eine weitere Chance geben wollen.
Manche bezeichnen sich als gläubig, andere nicht. Was sie eint, ist, dass ihre Spiritualität – wie ausgeprägt sie auch sein mag – für sie nichts mit der Institution Kirche zu tun hat. Und dass sie für ihren Kirchenbeitrag eine Form der Gegenleistung erwarten, sei es eine persönliche Betreuung oder eben ein schönes Event in erhabenem Ambiente. Man könnte daraus schließen: Die Kirche ist eben ein Ort für besondere Lebensereignisse. Oder: Auch die Kirche
muss einer Kosten-Nutzen-Rechnung standhalten – sonst wird das Abo (wieder) gekündigt.
In die Kirche einzutreten, nur um sie bald wieder zu verlassen, sei zwar „ein Widerspruch in sich“, sagt Toni Faber. Allzu fatalistisch will er es aber nicht sehen. Der Wiener Dompfarrer gilt – da gebe es sogar ein internes Ranking – als der erfolgreichste Wiedereintritts-Werber. Im Stephansdom verzeichnet er pro Jahr an die hundert Wiedereintritte, zwei Drittel davon aus Anlass einer Taufe. Und wenn jemand gar nicht gläubig ist? „Dann suchen wir nach dem, was an gläubigen Sehnsuchtsspuren da ist. Jeder Mensch ist rettungslos gottessehnsüchtig, davon bin ich tief überzeugt.“Und wenn jemand Taufe, Firmung und Hochzeit als kirchliche Dienstleistungen betrachtet, für die man eben bezahlen muss? Innerlich stehe doch meist mehr dahinter, meint er: „Wenn jemand sagt: Es war für mich gut, diese Rituale mitzuerleben – dann hat er das Wesentliche schon verstanden.“
Schließlich sei Glaube etwas, das stets auf einem
Spektrum schwanke. Und
Auch die Kirche muss einer Kosten-Nutzen-Rechnung standhalten.
ermittelt wird, sank gar um 27 Prozent. Die Austritte nahmen indessen um 27 Prozent zu. Dass das Patenamt für die Kirche ein willkommener Anlass ist, um Ausgetretene zurückzulocken, gibt auch Toni Faber zu: „Das ist ein großer Hebel. Oft sage ich ja im Scherz zum Kardinal: Machen wir es doch so, dass als Taufpaten nur Menschen ausgewählt werden können, die ausgetreten sind!“
Das Phänomen gibt es übrigens auch bei der evangelischen Kirche: Dort bewegen sich die Zahlen freilich auf geringerem Niveau, aber „der Großteil der Wiedereintritte hat mit einer Taufe zu tun“, sagt die Pfarrerin Gerda Pfandl. In ihrer Pfarre Wien Donaustadt waren es zuletzt zehn bis 20 pro Jahr. Die Regeln sind hier etwas anders als im katholischen Zweig (siehe Artikel unten): Ist zumindest ein Elternteil evangelisch, dann kann die
Pfarrer im Wiener Stephansdom
Taufpatin oder der Taufpate auch einer anderen christlichen Kirche angehören. Trotzdem treten aus diesem Anlass immer wieder Menschen ein. Legitim findet Pfandl das nur, wenn sie dann auch wirklich aktiv am Gemeindeleben teilnehmen und nicht nur eine Taufe als Event erleben wollen: „Wir wollen etwas anderes sein als eine Service-Einrichtung.“
Die falschen Gründe. Sonja Radkohl hat sich die Entscheidung, ob sie wieder Kirchenmitglied werden soll, nicht leicht gemacht. Ausgetreten war die 30-Jährige, die in Graz lebt, aus Überzeugung: „Ich bin einfach nicht religiös oder spirituell.“Als ihre beste Freundin sie vor einem Jahr darum bat, die Taufpatin ihrer Tochter zu werden, überlegte sie ehrlich, ihr zuliebe wieder einzutreten. Nach einigen Gesprächen mit Freunden und ihrer Familie entschied sie sich dagegen. Ausschlaggebend sei dabei vor allem ein Argument gewesen: „Wenn ich das tue, nur um Taufpatin zu sein, dann wäre es respektlos all jenen gegenüber, die glauben und denen die Kirche Halt gibt.“Radkohl wollte nicht „aus den falschen Gründen“wieder eintreten – und erklärte das ihrer Freundin, die Verständnis hatte. Radkohl ist nun eben inoffizielle Patin des kleinen Mädchens.
Einen anderen Zugang hat Andreas Winder. Der 35-Jährige, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, sieht die Kirche als eine Art Service-Einrichtung. Auch er sei überhaupt nicht gläubig, die Kirche bedeute ihm spirituell nichts. Seinen Austritt hat er aufgrund von familiärem Druck lang hinausgezögert, dann aber durchgezogen. Vor einigen Jahren trat er wieder ein, um für die Kinder seines Bruders Taufpate – oder wie man in seiner Heimat Vorarlberg sagt: Göte – zu sein. „Ich habe unterschrieben, dass ich sie darin unterstütze, gläubig zu sein. Aber für mich persönlich spielt das keine Rolle.“
Trotzdem würde er auch seine eigenen Kinder zur Taufe, Erstkommunion und Firmung anmelden – nicht aus religiösen, sondern aus gemeinschaftlichen Gründen. „Wenn du als Einziger nicht mitgehst, bist du der Außenseiter im Dorf“, sagt er. Das könne man einem Kind nicht antun. Solang also familiäre Kirchenrituale bei ihm anstehen, wird er wohl Mitglied bleiben. Er hätte kein Problem damit, immer wieder aus der Kirche aus- und wieder einzutreten – wenn ihm der Prozess einfacher gemacht würde. „Die Frage ist: Will ich mich jedes Mal eine Stunde zum Pfarrer setzen?“So lang habe sein Wiedereintrittsgespräch gedauert. Zwei Zeugen waren nötig: Das übernahmen seine Mutter und die Haushälterin des Pfarrers. „Er hat aus dem Testament vorgelesen und erklärt, dass man, wenn man vor Gott die Tür zumacht, sie nicht so einfach wieder aufmachen könne. Das sei kein Ticket, das man sich kauft“, erzählt Winder. „Ich habe damit nicht viel anfangen können.“
»Wir wollen keine Service-Einrichtung sein«, sagt eine Pfarrerin. »Bis der Bub Erstkommunion und Firmung hat, möchte ich vorbildlich dabeibleiben.«
Eine schönere Erfahrung machte Katrin Matzer. „Das Austreten war aufwendiger als das Wiedereintreten“, berichtet sie. Sie war allein mit dem Pfarrer ihrer Heimatgemeinde Ilz – demselben, mit dem sie bei ihrer eigenen Taufe, damals mit drei Jahren, Hand in Hand in die Kirche spaziert war und der bald auch ihr Patenkind taufen würde. Er kennt sie, sie respektiert ihn – und gibt zu, dass er der Einzige war, dem gegenüber sie bei ihrem Austritt „ein bissl ein schlechtes Gewissen“hatte. „Wir sind bei Sonnenuntergang in die Kirche spaziert, haben eine Kerze angezündet. Er hat mir allerlei Dinge gezeigt, die mir nie aufgefallen waren.“
Eine neue Deadline. Im Hinterzimmer unterschrieb sie ein Formular. Der Pfarrer betete und bot ihr an, mitzubeten – wenn auch nur in Gedanken. „Es hat einfach alles gepasst“, sagt Matzer. Das Ritual habe sie zwar nicht in ihrem religiösen Glauben bestärkt. „Aber ich hatte kurz das Gefühl, ich verstehe jetzt, warum so viele Leute gläubig sind. Da ist schon eine gewisse Geborgenheit.“Kirchenmitglied will sie nun bleiben – vorerst. Langfristig hat sie sich eine „unsichtbare neue Deadline“gesetzt: „Bis der Babyboy seine Erstkommunion und Firmung hat, möchte ich vorbildlich dabeibleiben.“