»Diese Generation hat viel Positives aus der Zeit gezogen«
Die Bezeichnung »Generation Corona« ist für den Psychologen und Lehrer Johannes Achammer stigmatisierend. Denn auch wenn eine wachsende Gruppe Probleme hat, hat doch die Mehrheit der Jugendlichen viel gelernt – und ist an den Herausforderungen gewachsen.
Haben Jugendliche durch die soziale Isolation wirklich verlernt, Kontakte zu knüpfen?
Johannes Achammer: Rein wissenschaftlich haben wir natürlich keine Daten, aber ich würde sagen, sie haben die Kontaktfähigkeit nicht verloren. Diese fälschlicherweise als „Generation Corona“betitelte Generation – was eigentlich sehr stigmatisierend ist – hat sehr viel Positives aus dieser Zeit gezogen. Das ist eine Generation, die sehr vieles in sehr kurzer Zeit erfährt, auch den Klimawandel und den Ukraine-Krieg.
Aber haben Jugendliche nicht unter der sozialen Isolation gelitten?
Ich unterteile Jugendliche in drei Kategorien, es sind ja nicht alle gleich betroffen. Da gibt es die Gruppe, die die Pandemie mit ihrem sozialen Umfeld, sprich Elternhaus, sehr gut überstanden und weniger Zukunftsängste hat. Dann gibt es die sogenannten Doppelverlierer, die haben dieses soziale Umfeld nicht, neigen dazu, Vorerkrankungen zu haben, wobei man da vorsichtig sein muss, dass man die nicht zu sehr pathologisiert. Es ist schon eine zunehmende Zahl an Auffälligkeiten da, aber die meistern das ganz gut. Und dann gibt es die dritte Gruppe, die selbstständig die Zeit überwunden hat, das immer noch tut und daraus lernt. Und sie haben auch etwas Positives gelernt, indem ihre psychische Situation, die vorher stigmatisiert war, jetzt zum Thema gemacht worden ist.
Johannes Achammer
ist klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe mit Schwerpunkt Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie sowie Lehrer an einer Mittelschule in Innsbruck.
Die erste und die dritte Gruppe unterscheiden sich also dadurch, dass die dritte Gruppe das ohne das Elternhaus meistert?
Die dritte Gruppe sind die, die trotz aller Beschränkungen ihre Nischen gefunden haben, um ihr soziales Gefüge, ihre Peergroups aufrechtzuerhalten und sich zu treffen. Die haben sich nicht total zurückgezogen in die SocialMedia-Welt. Das war vielleicht am Anfang, vor zwei Jahren so. Aber dann hat diese Generation schnell gemerkt, dass das seine Grenzen und nichts mit der realen Welt zu tun hat. Die hat ihnen gefehlt, und sie waren sehr kreativ darin, sich zu treffen. Das ist also keine Generation, die total versagt, nicht mehr weiß, was sie tun soll oder sehr pessimistisch in die Zukunft blickt, sondern die sind großteils recht gestärkt aus der Situation herausgekommen und machen es immer noch.
Ist der Rückzug in die digitale Welt also mehr eine Sicht der Erwachsenen, die einen anderen Zugang dazu haben?
Ja, das ist ein bisschen ein Generationsproblem. Erwachsene nützen zwar auch die sozialen Medien, aber ganz anders. Für die jetzige Generation ist es normal, eine gewisse Mischung zu haben: Dass ich meine sozialen Kanäle habe, aber mich auch danach sehne, in der Gruppe zu sein. Die wachsen ganz anders heran, und die Erwachsenen schauen da ein bisschen skeptisch drauf, sehen nur einen Teil ihres Lebens
und dass sie permanent die Geräte in der Hand haben. Aber auch viele Jugendliche bei mir in der Praxis haben gesagt, so richtig toll ist das eigentlich nicht. Der Austausch, das Kommunikative, das Körperliche, das Soziale, das ist das, was mir fehlt.
Das heißt, die Mehrheit der Jugendlichen ist gar nicht so schlecht durch die Pandemie gekommen?
Ja, vor allem, weil es ja jetzt wieder lockerer ist. Aber diese zweite Gruppe – die, die unter Stresssymptomen leiden, die Ängste haben, die Einsamkeit, soziale Isolation erfahren, die depressive Symptome zeigen –, die ist größer geworden, das darf man nicht vergessen, von einem Drittel auf fast zwei Drittel. Aber sie haben es auch mit dem Aufzeigen ihrer Problematiken geschafft, dass jetzt Projekte gestartet wurden, wie zum Beispiel „Gesund aus der Krise“, das direkt auf diese Gruppe abzielt.
Diese Gruppe ist von einem Drittel auf zwei Drittel gestiegen?
Ja, in einzelnen Bereichen. Das lässt sich schwer sagen, ich würde sagen, dass sich die Zahlen erhöht haben.
Wie kann man diesen Jugendlichen helfen?
Ich sehe einen großen Förderbedarf, etwa an Werkstätten für soziale Kompetenzen. Es braucht viel mehr als „Gesund aus der Krise“. Das hat ein Budget von 13 Millionen Euro, das klingt viel, aber das reicht für die Versorgung von 7000 bis 8000 Kindern und Jugendlichen. Und ein Viertel der Einwohner Österreichs sind Kinder und Jugendliche, also knapp über zwei Millionen. Das muss ausgebaut werden und darf nicht im Status eines Projekts enden.
Was kann man sich unter einer solchen Werkstatt vorstellen?
Man kann in Schulen Möglichkeiten schaffen, soziale Kompetenzen zu trainieren oder sportliche Aktivitäten gemeinsam zu machen, wie Sportwochen. Das sind genau diese Orte, wo man wichtige Dinge üben kann.
Wenn man 13, 14 oder 15 Jahre alt ist und die letzten zwei Jahre gezwungen war, mit den Eltern zu Hause zu sitzen: Kann man das wieder aufholen, oder ist das verloren?
Das ist nicht ganz verloren. Das Gehirn kann sich daran gewöhnen, es hat so etwas wie Anpassung und Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Das heißt, die sind nicht total verloren. Diese zweite Gruppe hat es jetzt schwerer, benötigt Unterstützung, und geht dann ihren Weg. Wenn man das relativ gut implementiert, dann schaffen sie es, aus ihren Krisen herauszukommen. Man hätte nur viel früher damit anfangen sollen. Wir haben schon vor der Pandemie gewarnt: Schaut auf die Kinder und Jugendlichen, sie brauchen Unterstützung. Studien haben das belegt, aber der politische Wille hat gefehlt.