»Die Taliban haben ihr Versprechen gebrochen«
Nach Jahren der Attentate und US-Drohnenangriffe ist der Krieg in Afghanistan vorüber. Doch seit der Machtübernahme der Taliban peinigt Hunger das Land. Die Extremisten schränken sukzessive die Rechte von Frauen ein. Ehemalige Regierungssoldaten sind aus
Tagelöhner schieben ihre Koffer in Wagen vor sich her. Reisende kommen und gehen. Das Flughafengelände wirkt sauber und aufgeräumt. Wer in diesen Tagen am Hamid-Karzai-Airport in Kabul landet, könnte meinen, dass sich hier die dramatischen Szenen aus dem vergangenen August nie ereignet hätten. Damals, als unzählige Afghanen in das Areal des Flughafens gedrängt hatten. In der Hoffnung, doch noch in eine der internationalen Militärmaschinen zu gelangen und so aus der afghanischen Hauptstadt fliehen zu können. Kurz zuvor waren die Extremisten der Taliban in Kabul einmarschiert.
Doch die Ruhe trügt. Dass mittlerweile vieles anders ist, zeigt gerade die Situation des afghanischen Ex-Präsidenten, nach dem der Flughafen benannt ist: Seit dem Abzug der NatoTruppen und der Machtübernahme der Taliban steht Hamid Karzai de facto unter Hausarrest. Die meisten anderen Politiker, allen voran der letzte Präsident des Landes, Ashraf Ghani, hatten wegen der Rückkehr der Taliban das Land verlassen. Karzai entschied sich zu bleiben. Nur seine Ehefrau und seine Kinder sollen mittlerweile im Ausland leben.
Berichten zufolge befindet sich die Villa Karzais, die neben dem afghanischen Außenministerium liegt, in der Hand bewaffneter Taliban-Kämpfer. Der Ex-Staatschef ist gezwungen, Hunderten von ihnen mehrmals am Tag Essen servieren zu lassen. Die Taliban kontrollieren aber nicht nur das Haus
Karzais, sondern ganz Kabul. Am Flughafen patrouillieren ihre Spezialeinheiten. In der Innenstadt stehen ihre Fußsoldaten an zahlreichen Checkpoints. Viele der Männer wirken jung, teilweise minderjährig. Für viele Kabulis ist der neue Status quo weiterhin gewöhnungsbedürftig. Die Taliban tragen, wenn überhaupt, keine einheitlichen Uniformen und sprechen die Menschen meist auf Paschto an, während die Mehrheit der Stadt hauptsächlich Dari spricht.
Abgebaute Barrikaden. Auf den ersten Blick wirkt allerdings nicht nur Kabul, sondern ganz Afghanistan in einer unheimlichen Art und Weise so friedlich wie schon lang nicht mehr. Die Taliban ließen Barrikaden und Mauern abbauen, die in den vergangenen Jahren für Staus und Verkehrschaos sorgten und die politischen Eliten vor Bombenanschlägen schützten. Die Anzahl der Anschläge ist in den vergangenen Monaten stark zurückgegangen. Dies ist nicht verwunderlich, denn für die meisten Attentate waren die neuen Machthaber selbst verantwortlich.
In den ländlichen Gebieten Afghanistans, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten besonders vom Krieg betroffen waren und Ziel unzähliger Drohnenangriffe und nächtlicher Razzien wurden, atmen viele Menschen auf. Sie genießen trotz Armut und
Hunger Momente der Ruhe. Doch wer genauer hinsieht, stellt fest: Es herrscht zugleich ein Klima der Angst. In den vergangenen Monaten haben die Taliban verdeutlicht, dass ihr Ziel die Errichtung einer theokratisch-autoritären Staatsform ist – und in dieser scheinen viele Menschen keinen Platz zu haben: Das betrifft etwa Afghanen, die mit den Nato-Truppen zusammengearbeitet haben oder Teil des alten Sicherheitsapparats waren. Viele von ihnen sind gezwungen, im Land zu verweilen. Sie haben Angst vor den Racheaktionen der Taliban und sind untergetaucht. Das fällt nun besonders schwer, da die neuen Machthaber seit einigen Wochen in Wohnungen und Häuser eindringen und sie durchsuchen.
Im Stich gelassen. Während viele Militärführer ins Ausland flüchteten und teilweise sogar Deals mit den anstürmenden Taliban gemacht haben, mussten viele einfache Soldaten bleiben. Nicht wenige von ihnen kämpften bis zum letzten Moment und erfuhren erst Stunden nach dem Sturz Kabuls, dass der Präsident geflüchtet war. Auf ihrem Rücken wurde in den vergangenen Jahren der Krieg ausgetragen.
Nun sind die Männer gezwungen, sich bedeckt zu halten. Im August verkündeten die Taliban eine Generalamnestie, doch viele Ex-Soldaten glauben nicht daran. „Ich weiß, was ich gemacht habe. Ich habe viele von ihnen getötet. Sie werden mir nicht verzeihen“, sagt Ahmad (Name geändert). Er kämpfte einst für eine Spezialeinheit der afghanischen Armee und war hauptsächlich im Süden des Landes stationiert. Ahmad ist davon überzeugt, dass dort die Taliban weiterhin nach ihm fahnden würden. In den vergangenen Jahren ließ er Bomben auf die Extremisten abwerfen. Dabei starben auch viele Zivilisten, wie er selbst eingesteht. „Ich bin nicht stolz auf meine damaligen Taten, doch es herrschte Krieg. Wir waren Soldaten und bekamen unsere Befehle. Ich wünsche mir einen echten Frieden und eine echte Versöhnung, doch gegenwärtig sehe ich nicht viel davon“, sagt er.
Bereits Ende 2021 machte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht deutlich, dass seit der Rückkehr der Taliban mehr als hundert Mitglieder der ehemaligen Sicherheitskräfte getötet wurden oder verschwunden sind. HRW schrieb von blutigen Vergeltungsmaßnahmen und berichtete von systematischen Verbrechen. In einigen Fällen hätten lokale Taliban-Kommandeure etwa Listen mit Menschen zusammengestellt, die aufgegriffen oder getötet werden sollten, wie gemutmaßt wird. In dem Bericht, der sich lediglich auf die Provinzen Helmand, Ghazni, Kandahar und Kunduz konzentrierte, kamen unter anderem Zeugen und Familienangehörige der Opfer zu Wort. Unter anderem war von einem „breiten Muster von Missbräuchen“die Rede.
Laut einer aktuellen Recherche der „New York Times“sind in den ersten sechs Monaten der Taliban-Herrschaft rund 500 ehemalige Regierungsangestellte und Ex-Soldaten verschwunden oder getötet worden. Die Recherche fokussiert sich sowohl auf den Norden als auch den Süden des Landes. Zu den Opfern gehören zahlreiche Mitglieder von Ahmads Einheit. Dieser ist davon überzeugt, dass sich die Taliban
Die Menschen auf dem Land genießen nach dem langen Krieg Momente der Ruhe.
mit ihren repressiven Schritten ihre eigene Grube graben. „Jemand wie ich hat in den vergangenen Jahren nur gelernt, wie man kämpft. So geht es vielen jungen Männern. Etwas anderes können wir nicht. Falls die Taliban unser Leben auf Dauer bedrohen, sind wir gezwungen, wieder zur Waffe zu greifen. Wir können genug ausrichten, um ihnen das Leben zu erschweren.“
Seit der Rückkehr der Taliban hat sich der Alltag vor allem für Afghaninnen verändert. Mädchen wird der Gang in die Oberstufe (siebte bis zwölfte Klasse) weiterhin verwehrt. Dies hätte sich eigentlich mit Frühlingsbeginn ändern sollen, denn die Taliban hatten
Die »Medien«-Taliban in Kabul und die mächtige alte Führungsgarde in Kandahar.
für diesen Zeitpunkt eine Wiedereröffnung aller Klassen angekündigt. Daraus wurde allerdings nichts. Stattdessen wurden weinende Schülerinnen ein weiteres Mal nach Hause geschickt. Die Taliban sprechen weiterhin von „technischen Problemen“– es würden Schuluniformen fehlen – und einer baldigen Öffnung, doch die meisten Afghanen sehen darin nur eine Hinhaltetaktik der Extremisten.
Die Distanz zwischen den rhetorisch begabten „Medien-Taliban“in Kabul, die in den vergangenen Monaten auch von zahlreichen internationalen Medien hofiert wurden, und der alten Führungsgarde im südlichen Kandahar, dem Machtzentrum der Bewegung, wurde deutlich.
Geschlechtertrennung in Parks. „Ich denke, dass die Taliban einen großen, dummen Fehler machen. Sie hatten anfangs versprochen, die Schulen wieder zu öffnen. Nun haben sie dieses Versprechen gebrochen. Ich denke nicht, dass sie damit auf Dauer durchkommen werden“, sagt Hadia Wardak, eine Studentin aus Kabul. Während Afghanistan weiterhin hungert und von internationalen Geldern abhängig ist,
Millionen Menschen
in Afghanistan sind von Hunger bedroht. Davor warnt das UNWelternährungsprogramm (WFP).
2,6 Millionen Afghanen
sind offiziell als Flüchtlinge in anderen Ländern registriert, der Großteil davon lebt in Pakistan und dem Iran. Weitere 3,5 Millionen Afghanen sind Vertriebene im eigenen Land. sind die Taliban, so scheint es, von ihrer misogynen Politik nahezu besessen. Kurz nach der Aufrechterhaltung des Schulverbots wurde etwa angeordnet, dass öffentliche Parks nur noch geschlechtergetrennt besucht werden dürfen. Vier Tage in der Woche stehen Männern zu, drei den Frauen. Familienausflüge sind nicht mehr möglich.
Einer weiteren Anordnung zufolge dürfen Frauen ohne einen „mahram“, eine männliche Begleitung aus dem familiären Umfeld, in kein Flugzeug steigen. Dies gilt anscheinend auch für Afghaninnen mit ausländischen Staatsbürgerschaften. Nun, ausgerechnet während des islamischen Fastenmonats Ramadan, wurde außerdem bekannt, dass Frauen in Kabul keine Moscheen mehr besuchen dürfen.
„Seit die Taliban zurück sind, erleben afghanische Frauen zahlreiche Einschränkungen und Verbote. Ich studiere mittlerweile im fünften Jahr Medizin. Zuvor besuchte ich zwölf Jahre lang die Schule. Auch damals waren all unsere Lehrer Frauen. Ich verstehe nicht, was die Taliban wollen“, sagt Hadia Wardak. „Es heißt mittlerweile auch, dass bald die Universitäten für Frauen geschlossen werden. Nun mache ich mir um meine Zukunft Sorgen und habe Angst, mein Studium nicht abschließen zu können.“
Mit ihren Sorgen steht die Studentin nicht allein da. Weite Teile der afghanischen Zivilgesellschaft im Inund Ausland kritisierten das Vorgehen der Taliban scharf. Das inoffizielle Schulverbot besteht gegenwärtig ausschließlich für Schülerinnen der Oberstufe. Universitäten sind weiterhin geöffnet. Allerdings werden sie von den Sittenwächtern der Taliban regelmäßig kontrolliert. Für Frauen gilt eine strengere Verschleierung als zuvor. Der Unterricht findet mittlerweile geschlechtergetrennt und zu unterschiedlichen Uhrzeiten statt. Das männliche Lehrpersonal trägt zunehmend Vollbart.
Die Schließung der Mädchenschulen hat auch die internationale Gemeinschaft vergrault. Auch das Afghanistan der Taliban ist weiterhin von ausländischen Geldern in Milliardenhöhe
abhängig, doch diese fließen seit der Machtübernahme der Extremisten kaum noch. Die USA froren die afghanischen Staatsreserven in Höhe von rund neun Milliarden Dollar ein und beschlossen vor wenigen Wochen, die Hälfte davon an die Opfer der Anschläge des 11. September 2001 zu verteilen.
Für viele Afghanen war dies blanker Hohn und eine Kollektivstrafe. Das Resultat: Bargeldknappheit, Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Viele Beobachter gingen davon aus, dass sich das im Frühling ändern und sowohl die westliche Staatengemeinschaft als auch die Taliban einlenken würden. Vieles hing von der Frage der Mädchenschulen
Auch viele Kämpfer der Taliban hungern. Sie erhalten keinen Sold mehr.
ab. Das jüngste Handeln der Taliban macht deutlich, dass sich das Regime abermals isolieren will, oder im besten Fall eine Zusammenarbeit mit Akteuren wie China, Russland, Iran oder Pakistan vorzieht. Zahlreichen NGOs, die in Afghanistan weiterhin präsent sind, fällt die Arbeit aufgrund der Intervention der Taliban immer schwerer. Die neuen Machthaber wollen den Geldfluss kontrollieren und zunehmend selbst darüber entscheiden, wer Hilfsmittel erhält. Hinzu kommt – und auch das fällt auf den Straßen Kabuls auf – dass viele der Kämpfer selbst hungern und seit Monaten keinen Sold erhalten haben.
Kunduz
Ghazni
Kandahar Helmand
Der US-amerikanische Schauspieler und Filmproduzent Samuel L. Jackson, der durch seine Rolle in einem der Quentin-Tarantino-Filme seinen internationalen Durchbruch erlangte, spielt in der neuen Serie „Die letzten Tage des Ptolemy Grey“einen 91-jährigen Demenzkranken.
Würden Sie sagen, dass diese Rolle eine der schwersten Ihrer langen Karriere war?
Samuel L. Jackson: Nein.
Warum nicht?
Weil ich den Roman, auf dem die Serie basiert, schon vor zehn oder zwölf Jahren gelesen habe und mir die Rechte daran sicherte. Ich trage diese Geschichte also schon lange mit mir herum – und wann immer ich nicht mit einem anderen Projekt beschäftigt war, habe ich über Ptolemy Grey nachgedacht. Immer wieder habe ich mit Visagisten darüber gesprochen, wie man mich älter schminken kann; ich habe mich mit Hairstylisten über mögliche Frisuren für die Rolle unterhalten und mit Produzenten darüber, warum ein Film von anderthalb oder zwei Stunden nicht reicht, um die Geschichte zu erzählen. Als es dann endlich dazu kam, dass wir das Projekt umsetzen konnten, war ich so gut vorbereitet wie auf kaum je ein anderes, außerdem hatten wir das bestmögliche Team zusammengestellt. Deswegen gehörte am Ende die Arbeit an dieser Rolle ehrlich gesagt zu den einfachsten meines Lebens.
Sie haben in Ihrem Umfeld Erfahrungen mit Alzheimer gesammelt. Ging Ihnen die Rolle dadurch nicht manchmal zu nahe?
Wissen Sie, ich bin keiner dieser sogenannten Method-Schauspieler, deswegen spielen meine persönlichen Gefühle keine große Rolle. Aber was ich durch meine Erfahrungen natürlich hatte, war Verständnis. Ich habe meine Mutter, aber auch meinen Großvater, meine Tante und meinen Onkel dabei beobachtet, wie es ihnen immer schlechter ging und sie zusehends ihr Gedächtnis verloren. Die Erinnerungen daran kamen mir natürlich immer wieder in den Sinn, wenn wir Szenen drehten, in denen Ptolemy mit den Menschen