Durch die rotweißrote Brille
So viele österreichische (Beute-)Künstler fanden sich selten auf und um die Biennale Venedig ein: Natürlich Knebl/Scheirl, aber auch Nitsch, Rainer, Prohaska, Richter, Michailov.
Nichts mit Gondeln, die Trauer tragen heuer in Venedig, die Stadt hat schließlich etwas zu feiern: Nach der Verschiebung um ein Jahr findet ab kommendem Samstag endlich wieder die Kunst-Biennale statt. Als Antwort auf die eleganten, aber uniformen Gondeln hat der österreichische Künstler Rainer Prohaska eine knallbunte Antwort konstruiert: Das DIY-„Sottomarina“, also U-Boot, mit dem kecken Namen „Federica Fellini“wird von 19. bis 26. April die Kanäle unsicher machen, auch als Plattform für andere Künstler wie Benjamin Klug, Stefan Schmitzer oder Carola Schmidt dienen.
Prohaska ist damit einer von vielen, die im Umfeld der Biennale andocken, also nicht offiziell eingeladen wurden. Das macht die mit rund 80 Länder-Pavillons und der Hauptausstellung „Milk of Dreams“mit über 200 Künstlern (darunter Kiki Kogelnik und Birgit Jürgenssen) ohnehin überwältigende Angelegenheit noch unübersichtlicher. Aber auch das ist in seinem noch jeden letzten Palazzo-Winkel mit Kunst füllenden Furor ein mittlerweile fast schon sehnsüchtig erwarteter, traditioneller narzisstischer Auswuchs des ganzen Venedig-Spektakels.
Neben Prohaska finden sich darin noch einige andere österreichische Künstler ein. Ebenfalls fast schon Tradition hat etwa die Lagunen-Präsenz von Hermann Nitsch (83) und Arnulf Rainer (92) zur Biennalezeit. Präsent ist ersterer dieses Mal krankheitshalber allerdings nur durch seine Kunst, dafür aber mit einem historischen Auftritt: Der Unternehmer und Sammler Helmut Essl zeigt – in Kooperation mit Nitschs Galerien Pace und Kandlhofer – in einer Lagerhalle auf der Giudecca die gesamte 20. Malaktion, immerhin war das die legendäre in der Secession 1987, Essl hat alle 52 damals entstanden Bilder gekauft. Eine Rarität, es ist die einzige Malaktion, die geschlossen in einer Hand verblieben ist.
Rainer trifft auf Vedova. Ebenfalls etwas Besonderes ist Arnulf Rainers Auftritt: Auf Einladung der Fondazione Emilio Vedova wird der Dialog zwischen den beiden Malern – der Venezianer starb 2006 –, posthum weitergeführt. 2020 begann dieser Paarlauf im Badener Rainer-Museum. Dort wurde er eng geführt, die gestisch-abstrakten Gemälde der beiden trafen direkt aufeinander. In Venedig ist es jetzt eher ein Dialog auf Zuruf, die Auswahl an Vedovas Werken ist in seinem ehemaligen Atelier ausgestellt, Rainers Kreuze aus den 1980er-Jahren und seine runde, sphärische „Kosmos“-Serie aus den 1990er-Jahren findet man im zweiten Raum der Fondazione, im Magazzino del Sale (beides Zattere). Ein respektvoller Umgang mit dem Werk des jeweils anderen, der beiden sicher liegt, sie waren eng befreundet.
Geduldsprobe. Die Spannung über Jahre aufrechtzuerhalten, ist die Kür, in Freundschaften, in der Kunst sowieso. Noch dazu, wenn man sich ausgerechnet auf die Erschaffung von „Begehrensräumen“verlegt hat, wie Österreichs aktuelle Biennale-Venedig-Vertreterinnen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl. Wie davor keine ihrer Kollegen (-innen sowieso) mussten sie sich der ohnehin schon systemimmanenten biennalen Verzögerung stellen: Erstens hatten sie sich erstmals in der Geschichte des Österreichischen Pavillons schon mit einem fertigen Konzept (Kommissärin ist Mumok-Direktorin Karola Kraus) zu bewerben, 2020 war das. Dann wurde die Kunst-Biennale coronabedingt noch dazu um ein Jahr verschoben, eine Geduldsprobe ohnegleichen für die zwei. Endlich zu Ende. Das am längsten gehütete österreichische Kunstgeheimnis steht vor seiner Lüftung. Verheißungsvoller Name, nach einem Roman von William S. Burroughs: „Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts.“
Zwei Hälften, die sich kreuzen. In ihrem humorvollen und freien Umgang mit Geschlechterrollen und verschiedenen High- und Low-Kunstgenres geht es Knebl und Scheirl immer darum, unser aller Selbstwahrnehmung zu erweitern. Dabei haben Scheirl/ Knebl durchaus unterschiedliche Zugänge dazu. Was auch den überraschend konventionellen Schritt, den Pavillon in zwei Hälften zu teilen, und jedem seinen Raum zu geben, erklärt. Mit Spiegelungen und Kreuzungen ist zu rechnen. Knebl wird neue skulpturale Arbeiten zeigen, Scheirl Malerei, beides wie immer in größere Installationen eingebunden, in die Mode, Design (gern aus den für die beiden visionären 1970er-Jahren) sowie eine gute Portion Theatralik hineinspielen.
Wie diese Installationen in etwa aussehen, kennt man bereits aus dem Mumok, aus der Biennale Lyon oder zuletzt aus dem Kunsthaus Bregenz, wo sie auf Einladung von Direktor Thomas
Trummer in der Pandemiezeit ein wenig der aufgestauten BiennaleSpannung abbauen konnten. Zur Feier seines 25-jährigen Bestehens hat sich das KUB übrigens heuer selbst in Venedig eingemietet, in der historischen Scuola di San Pasquale im Stadtteil Castello. Dort zeigen zwei der Solokünstlerinnen
Nitschs gesamte Malaktion aus der Secession 1987: jetzt in Venedig.
Ein Schachspiel ganz aus österreichischen Figuren, von Sisi bis Wittgenstein.
des heurigen KUB-Programms große Installationen: Otobong Nkanga eine ihrer Tapisserien und Anna Boghiguian ein spezielles Schachspiel mit österreichischen „Figuren“, von Wittgenstein bis Sisi.
Wie Letztere ist auch der deutsche Maler Daniel Richter mittlerweile eine Art Beute-Österreicher, durch Heirat sowieso, aber auch durch lebenslange Akademie-Professur. Zentral in San Marco, in der Scuola Grande di San Fantin, präsentiert er seine neue Gemälde-Serie „Limbo“.
Und noch einen in Wien bestens Bekannten wird man in den Länderpavillons, nicht in den Giardini, sondern nahe der Rialto-Brücke, entdecken: Der lang in Wien (und Paris) lebende Michail Michailov repräsentiert dort Bulgarien, unter anderem mit seinen Dust-Paintings, für die er minutiös den Staub in seinem Atelier zeichnet.