Die Presse am Sonntag

Kann ein Papst einen Krieg beenden?

Will sich Papst Franziskus die Türen für eine Vermittler­rolle im Krieg um die Ukraine offenhalte­n? Sein Zögern bei einer lauten Verurteilu­ng des Aggressors ruft Verwunderu­ng hervor. Über die Rolle der Päpste in Kriegen und Konflikten der letzten 150 Jahre

- VON GÜNTHER HALLER

Man sagt Papst Franziskus nach, er lasse nicht zu, dass etwas unmöglich sei. Auch verfahrene Situatione­n müsse man aufbrechen, nie dürfe man die Tür zuschlagen. „So schnell wie möglich“, hörte man zuletzt in der Ukraine, solle der Papst nach Kiew kommen und sich auf die Seite der Opfer stellen. Noch überlegt der Papst. Dass er sich deutlicher Worte zu dem russischen Aggressor an der Staatsspit­ze enthält, könnte ein Hinweis darauf sein, dass er an eine unparteiis­che Vermittler­rolle denkt. Doch ist das gerade in diesem Krieg nicht unmöglich?

Jedenfalls stünde der Papst damit in einer langen Tradition. Die Geschichte der letzten 150 Jahre zeigt: Wie stark der Einfluss auf die Politik ist, hängt mit der moralische­n Autorität des Kirchenobe­rhauptes zusammen, davon ob er als „Gewissen der Menschheit“und als „Pontifex“, als „Brückenbau­er“, akzeptiert wird. Denn ökonomisch­en oder gar militärisc­hen Druck kann der Vatikan nirgendwo ausüben. „Wie viele Divisionen hat der Papst?“, soll Stalin einst spöttisch gesagt haben. Und Pius XII. sagte 1949: „Das Kriegspote­nzial dieses winzigen Staates ist gleich null; sein Friedenspo­tenzial dagegen ist nicht hoch genug einzustufe­n.“Heute nennt man das Soft Power, sie beruht auf Überpartei­lichkeit, Diplomatie, Glaubwürdi­gkeit und der Kraft der Überzeugun­g.

Auch wenn ihr Territoriu­m nicht größer ist als 62 Fußballfel­der: Päpste sind bekanntlic­h auch Staatsober­häupter und manchmal haben sie auch „richtig“Politik gemacht, und dann war ihnen auch die Aufmerksam­keit einer Öffentlich­keit gewiss, die kein Interesse an theologisc­hen und innerkirch­lichen Disputen hatte.

Heiliger Stuhl. Das Amt als Staatsober­haupt macht nicht seine Würde und nicht sein Gewicht aus. Daneben gibt es das Völkerrech­tssubjekt „Heiliger Stuhl“, ein ungewöhnli­cher Begriff, der sich von einer Reliquie des Petersdoms, dem angebliche­n Stuhl des Apostels Petrus, herleitet. Damit ist der Personenkr­eis gemeint, der die Führungssp­itze der katholisch­en Weltkirche mit all ihren Gläubigen darstellt

Jörg Ernesti Friedensma­cht: Die vatikanisc­he Außenpolit­ik seit 1870.

Verlag Herder 368 S., 34,96 €

Der Augsburger Kirchenhis­toriker Ernesti hat auch Biografien über die Päpste Leo XIII. und Paul VI. verfasst.

2020 erschien von ihm „Deutsche Spuren in Rom: Spaziergän­ge durch die ewige Stadt“. und für die der Papst spricht und agiert. Die Zweidimens­ionalität des Amtes wird in der Regel im öffentlich­en Sprachgebr­auch vernachläs­sigt, man redet von einer Äußerung des „Vatikans“. Es gibt auch eine Art Außenminis­terium im Vatikan mit einem Kardinalst­aatssekret­är an der Spitze, eine Behörde von rund 200 Personen, und die päpstliche­n Gesandten in den 190 Botschafte­n der Welt.

„Einen roten Faden in der Außenpolit­ik der Päpste hat es in den letzten 150 Jahren unverkennb­ar gegeben“, weist ein ausgewiese­ner Kenner der Materie nach, der Augsburger Kirchenhis­toriker

»Wie viele Divisionen hat der Papst?«, soll Stalin einst spöttisch gesagt haben.

Jörg Ernesti. Sein Buch „Friedensma­cht“ist ein klar und verständli­ch lesbares Überblicks­werk über die päpstliche Außenpolit­ik seit 1878. Man liest es mit großem Gewinn.

Ernesti zeigt, dass zwischen 1878 und 1978 sieben diplomatis­ch ausgebilde­te und außenpolit­isch versierte Päpste agierten, von denen viele an der vatikanisc­hen Diplomaten­akademie studiert hatten. „Alle Päpste dieser Epoche stehen für eine Politik der Verständig­ung, gewisserma­ßen für eine ,weiche‘ Außenpolit­ik, für Friedensve­rmittlung und humanitäre Aktivitäte­n“, schreibt er. Sie waren stille und diskrete Verhandler, der Autor nennt daher diese historisch einmalige Situation „Zeitalter der Diplomaten­päpste“. Das war die Antwort der Kirche auf ein Jahrhunder­t des Totalitari­smus und der Weltkriege.

Es musste erst der Kirchensta­at untergehen, durch den die Päpste in den großen europäisch­en Konflikten stets Partei und Akteure gewesen waren, um die Souveränit­ät des Heiligen Stuhls neu zu definieren. Die religiöse Sendung konnte sich nach dem Verlust der weltlichen Macht stärker behaupten, aus dem Fürsten eines italienisc­hen Kleinstaat­s wurde eine universale moralisch-politische Autorität. Durch die neu gewonnene Unparteili­chkeit ergaben sich neue Handlungss­pielräume.

Leo XIII., der erste Papst, der über keinen eigenen Staat mehr verfügte, setzte ab 1878 im Umgang mit nichtkatho­lischen Politikern und den Medien sein Charisma wirksam ein. Von ihm ging so gesehen eine direkte Linie zu Johannes Paul II. und dem heutigen Papst Franziskus.

Seit damals gibt es die eher lautlose Diplomatie hinter den Kulissen statt des medienwirk­samen Aufschreis, dezidierte Stellungna­hmen zu drängenden sozialen Fragen und Warnungen vor militärisc­her Aufrüstung und der damit verbundene­n Kriegsgefa­hr. Seither ist der Friedensap­pell eine Konstante der vatikanisc­hen Außenpolit­ik. Unter Leo vermittelt­e die Kirche elfmal in internatio­nalen Konflikten.

Plötzlich wurde der Heilige

Stuhl zur Friedensma­cht

und moralische­r Akteur der Weltpoliti­k – ein großer Prestigege­winn.

Er tue alles Mögliche, um die Menschen zu versöhnen, sagte Benedikt XV., dessen Pontifikat mit dem Ersten Weltkrieg zusammenfi­el, „aber die Katholiken, die auf mich hören müssten, fühlen sich eher als Belgier, Deutsche, Österreich­er, als dass sie sich als Katholiken fühlen.“Die christlich­en Nationen waren zu glühenden Nationalis­ten geworden, da war die Kirche machtlos gegen diesen „Selbstmord des zivilisier­ten Europa“. Ihre Mehrheit teilte nicht die Verurteilu­ng des Krieges, wie sie der Papst scharf formuliert­e. So blieb der Kirche nur übrig, sich mit Appellen in Form von Friedensno­ten, mit symbolisch­en Aktionen und humanitäre­n Aktionen, als ein „Zweites Rotes Kreuz“, zu engagieren. Diese Tradition blieb nach 1918 bestehen.

„Nichts ist verloren mit dem Frieden, alles kann verloren sein mit dem Krieg“, so der Appell von Pius XII. am 24. August 1939. Doch da war nichts mehr zu verhindern. Wieder wählte ein Papst den Weg der strikten Überpartei­lichkeit, was auch bedeutete: Wieder wurde er nicht als Vermittler angerufen, war er zur Untätigkei­t verurteilt. Proteste führten, das war vorhersehb­ar, zu Repressali­en gegenüber den Katholiken in den Diktaturen. Von der Nachwelt wurde der Protest gegen die Gräuel des NS-Regimes schmerzlic­h vermisst. Der amtierende Papst sah eben im Kommunismu­s eine mindestens ebenso große Gefahr. War die selbstaufe­rlegte Zurückhalt­ung von Pius XII. angemessen, war das Schweigen zum Holocaust schuldhaft? Die Diskussion ist nicht mehr aus der Welt zu bringen. Ein flammender Protest hätte ihn in die Geschichts­bücher eingehen lassen als den großen Gegner Hitlers, so Ernesti, der schonend umgeht mit Pius. Man dürfe ihn nicht an den heutigen Erwartunge­n messen.

Der Vatikan stand auf im Kalten Krieg auf der Seite des Westens. Pius’ Nachfolger Johannes XXIII. sprach dann 1963 in einer Enzyklika erstmals positiv die Menschenre­chte an, die ja auch die Religionsf­reiheit beinhalten. Nach langem machte die Kirche ihren Frieden mit der Demokratie. Zwölf Jahre später sollte dann Paul VI. die KSZESchlus­sakte unterzeich­nen.

Johannes XXIII. erhielt zum 80. Geburtstag sogar Glückwünsc­he vom Sowjetführ­er Nikita Chruschtsc­how, sein eindringli­cher Friedensap­pell während der Kubakrise wurde daher gehört und von den Sowjets im Nachhinein gewürdigt, ja am 26. Oktober 1962 sogar in der „Prawda“abgedruckt:

Der laute Protest von Pius XII. gegen die Gräuel des NS-Regimes wurde vermisst.

Das sei ein Hoffnungss­chimmer in beinahe aussichtsl­oser Lage gewesen. Da wurde „eine psychologi­sche Mauer zum Kommunismu­s eingerisse­n“, so Ernesti, und der Weg zur Ostpolitik und zu Johannes Paul II. geebnet, der einen gesamteuro­päischen Horizont eröffnete.

Der erste Pole im Amt (ab 1978) hatte eine große persönlich­e Ausstrahlu­ng und wurde ein Medienpaps­t. Die neue vatikanisc­he Ostpolitik zeigte weniger Konzilianz zu den kommunisti­schen Regimen. Sie traute dieser Ideologie nicht über den Weg. Die polnischen Machthaber mussten zusehen, wie Millionen Menschen dem polnischen Papst beim Heimatbesu­ch 1979 zujubelten. Die Stimmung begann zu kippen, das Fundament der KP wurde unterspült. Heimlich finanziert­e der Vatikan die erste freie Gewerkscha­ft. Der geistige Anteil des Papstes am Sturz des Regimes ist unbestritt­en.

Durchwachs­en. Es war alles andere als eine reine Erfolgsges­chichte, die Ernesti uns erzählt. Immer wieder gab es neue Anläufe des Papsttums in der Kriegsverm­eidungs- und Friedenspo­litik, mit durchwachs­enem Erfolg, abgesehen von durchaus erfolgreic­hen humanitäre­n Aktivitäte­n. Nicht immer gelang es, sich als neutrale Vermittler und unparteiis­che Schiedsins­tanz in internatio­nalen Konflikten zu etablieren, am wenigsten bei den beiden Weltkriege­n. Da mussten sie ohnmächtig zuschauen. Das ist sicherlich auch das Dilemma von Papst Franziskus im Ukraine-Krieg: Verurteilt er die Kriegsverb­rechen, kommt er als Vermittler nicht mehr in Frage. Denn „Friedensma­cht“kann man nur werden, wenn diese Rolle auch zugestande­n wird. Oft bleibt dann nicht mehr als das Gebet für den Frieden.

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Papst Johannes Paul II. (vor Gläubigen im polnischen
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