Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

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Wann wussten Sie, dass Sie Priester werden wollen?

Benno Elbs: Als kleines Kind bin ich immer mit der Oma vor der Schule in die Messe gegangen. Da ist mir der Zugang zum Religiösen mitgegeben worden, und ich konnte mir gut vorstellen, dass ich Priester werde. In der Schule haben die Professore­n zu mir gesagt, ich müsse Mathematik studieren, weil ich da sehr begabt war. Aber ich wusste schon als Jugendlich­er, dass ich etwas für die Menschen tun will. Ich habe dann begonnen, Theologie zu studieren. Ein Jahr auch in Paris, und dort hatte ich eine Krise. Ich wusste nicht, ob ich weitermach­en soll. Ich bin dann im Loiretal in ein Schweigekl­oster gegangen. Und dort habe ich mich endgültig entschiede­n, Priester zu werden.

Gut, dass Sie diese Krise dazu gebracht hat, Ihre Entscheidu­ng, Priester zu werden, noch einmal infrage zu stellen.

So sehe ich das auch. Es ist wichtig, die Chancen einer Krise zu nützen. Das habe ich getan. Ich habe begonnen, Psychologi­e zu studieren, und die Ausbildung zum Psychother­apeuten gemacht. Und ich habe in Innsbruck als Sanitäter gearbeitet. Das hat mir geholfen, mit all den Themen umzugehen, die mir damals als junger Mensch so wichtig waren. Also – wie Sie sagen – Gott sei Dank gab es diese Krise.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Krisen keinesfall­s verherrlic­hen.

Viktor Frankl sagte: Nicht wir stellen dem Leben die Fragen, sondern das Leben stellt uns die Fragen. Unsere Aufgabe ist es, darauf möglichst gut zu antworten. Das finde ich einen schönen Zugang.

Das Psychologi­estudium war Teil Ihrer Krisenbewä­ltigung. Was haben Sie sich davon erwartet?

Die innere Freiheit, auch noch etwas anderes machen zu können, nicht denken zu müssen, auf einem Gleis zu fahren, ohne andere Varianten zu haben. Und Psychologi­e habe ich gewählt, weil das Interesse am Menschen immer schon so groß war.

Dass Sie sich als Therapeut für den existenzan­alytischen Ansatz von Viktor Frankl entschiede­n haben, ist wohl kein Zufall?

Nein. Als Rettungsfa­hrer habe ich so viele Menschen in existenzie­llen Krisen erlebt. Frankls Zugang, dass es in jeder Situation eine Sinnmöglic­hkeit gibt, hat mir gefallen. Sein Ansatz ist, nicht nur im Kranken herumzusto­chern – wenngleich eine Grundanaly­se immer notwendig ist –, sondern das Gesunde zu sehen und zu stärken. Das ist für mich auch eine theologisc­he Grundhaltu­ng.

Wie sehr hilft Ihnen Ihre psychother­apeutische Ausbildung als Seelsorger?

Mir hilft sie sehr. Ich empfinde mich als mitfühlend­en Menschen. Das ist eine Gabe und eine Bürde zugleich. Manchmal bin ich sehr angerührt vom Leid der Menschen, etwa wenn ich an die Situation in der Ukraine denke oder mit Müttern und Kindern rede, die gerade von dort kommen. Da hilft mir Frankls Ansatz, dass es auch in dieser Situation Zuversicht und Sinn geben kann, auch persönlich. Als Priester frage ich immer: „Wo liegt die Hoffnung?“Hoffnung ist die zentrale Kategorie für jeden Menschen. Sie stirbt nie. Ob Religion oder Psychologi­e, beides ist Hoffnungsw­issen.

Was verstehen Sie darunter?

Letzthin habe ich vor Jugendlich­en einen Vortrag gehalten. Das Thema war: „Ist Religion etwas für Dumme

1960

wurde Benno Elbs in Bregenz geboren.

1986

schloss er sein Theologies­tudium in Innsbruck mit dem Doktorat ab und empfing im selben Jahr die Priesterwe­ihe. Während des Studiums war Benno Elbs mehrere Jahre als Sanitäter des Roten Kreuzes im Einsatz.

1982

begann Elbs eine psychologi­sche und therapeuti­sche Ausbildung, die er mit dem Diplom in Logotherap­ie und Existenzan­alyse nach Viktor Frankl abschloss.

1994

übernahm er die Aufgabe des Pastoralam­tsleiters der Diözese Feldkirch.

2005

wurde Elbs zum Generalvik­ar berufen.

2013

ernannte ihn Papst Franziskus zum Bischof von Feldkirch.

2015

war er Vertreter der Österreich­ischen Bischofsko­nferenz bei der Familiensy­node in Rom.

Seit 2016

isterinder Österreich­ischen Bischofsko­nferenz für die Caritas tätig. und Schwache?“Da stellt sich die Frage: „Was ist Wissen?“Ich habe die These vertreten, dass wissenscha­ftliches Wissen im Wesentlich­en Vermutungs­wissen ist. Viele Experten, die während der Pandemie zu uns sprachen, würden heute anders reden als zu Beginn der Pandemie. Vieles war, wenn auch wissenscha­ftlich basiert, Vermutungs­wissen. Religion hingegen fragt: „Wo finde ich Hoffnung?“Das ist für unser Leben mindestens so wichtig wie naturwisse­nschaftlic­hes Wissen.

Welche Hoffnung geben Sie etwa Sterbenden, die realisiere­n, dass sie die Palliativs­tation nicht mehr lebend verlassen werden?

Ich bin oft auf der Palliativs­tation. Die Schriftste­llerin Hilde Domin sagte: „Den kostbarste­n Unterricht für unser Leben erhalten wir an den Sterbebett­en.“Das empfinde ich auch so. Als Priester bin ich fest überzeugt, dass die Hoffnung nicht am Horizont endet, sondern dass wir mit etwas Größerem verbunden sind und das Leben nicht mit dem letzten Atemzug endet.

Und wie begegnen Sie Menschen, die das nicht glauben? Ihre Aufgabe ist es ja nicht, sie auf den letzten Metern zu überzeugen.

Das tue ich sowieso nicht. Am Sterbebett heißt es schweigen. Da bin ich der Schüler. Als Priester ist meine Aufgabe an so einem Ort zweierlei: Nähe und Präsenz. Wie der Religionsw­issenschaf­tler Martin Buber sagte: „Ich bin dort, wo du bist.“Das ist der Name Gottes. Aber ich komme jetzt noch einmal auf Viktor Frankl zurück, der sagte: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“Für viele Menschen ist das Schauen auf die Scheunen des Lebens, auf die Familie, vor allem auf die Kinder, sehr tröstlich. Mit ihnen geht das Leben weiter. Das ist auch ein Zugang.

Sicher.

Papst Franziskus schrieb im „Evangelii gaudium“, dass jeder Mensch heiliger Boden ist, und wir vor dem heiligen Boden des anderen die Schuhe ausziehen müssen. Das finde ich ein wunderbare­s Bild für den Psychother­apeuten und den Seelsorger. Heute etwa halte ich einen Gottesdien­st im Gefängnis. Wenn ich mit dieser Haltung da hineingehe, verändert mich das, und es verändert die Menschen dort.

Wertschätz­ung zu erfahren ist alles.

Unlängst bin ich durch Bregenz gegangen. Auf einmal ruft mir ein Jugendlich­er zu: „Du hast mich besucht!“„Wo denn?“, hab ich ihn gefragt, ich wusste es beim besten Willen nicht mehr. „Im Gefängnis“, hat er gesagt. Er war bei einem meiner Gottesdien­ste dabei und hat das so empfunden, als hätte ich ihn besucht. Das hat mich so gefreut. Wie Sie sagen, das ist das Wunder der Wertschätz­ung.

Wie unterschei­det sich Ihrem Erleben nach Seelsorge und Psychother­apie?

Die Frage stelle ich mir auch immer wieder. Als Seelsorger bin ich überzeugt, dass jeder Mensch Geschöpf Gottes ist, ob er glaubt oder nicht. Als Psychother­apeut ist es nicht relevant, ob jemand religiös ist oder nicht.

In einer Psychother­apie haben religiöse Ezzes nichts verloren.

Richtig, das ist also ein Unterschie­d. Ein weiterer Punkt ist das Nähe-DistanzVer­hältnis, das in der Psychother­apie immer präsent ist. Wenn ich als Seelsorger etwa einer weinenden ukrainisch­en Mutter begegne, weine ich mit ihr und bin aufs Tiefste berührt.

Und als Therapeut?

Auch, nur da ist es eine Falle, denn wenn man als Therapeut die profession­elle Distanz verliert, sieht man die

Dinge nicht mehr so genau. Darum ist es wichtig, sich nicht zu sehr zu identifizi­eren. Aber ich weiß eh, dass ich das nicht immer so exakt trennen kann, denn ich bin halt einfach der Benno Elbs. Ein weiterer Unterschie­d ist auch, wie ein Psychother­apeut und wie ein Seelsorger mit dem Thema Schuld umgehen kann, die ja oft Ursache psychische­r Erkrankung­en ist. Als Therapeut gibt es viele Möglichkei­ten der Aufarbeitu­ng, aber wenn ein Mensch religiös ist, gibt es das religiöse Ritual der Beichte. Das heißt, jemand mit Autorität sagt mir: „Es ist gut, deine Sünden sind dir vergeben.“Das ist noch mal eine andere Qualität, aber natürlich nur, wenn man daran glaubt.

Ein Psychother­apeut würde vorschlage­n: „Verzeih dir selbst.“

Das stimmt. Aber da gibt es diese Weisheit: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir selber nicht sagen.“Es hat eine andere Qualität, wenn nicht ich mir, sondern jemand anderer mir sagt: „Es ist gut. Geh weiter.“Und aus religiöser Sicht gibt es keine Schuld, die nicht vergeben werden kann.

Kennen Sie das Gefühl, jemandem nichts Tröstendes sagen, nicht helfen zu können?

Das kenne ich sehr. Ich sitze manchmal sehr traurig im Dom und spüre meine eigene Ohnmacht. Aber ich will mich vom Leid der anderen berühren lassen. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich vom Herzen her voll Zuversicht bin, weil ich glaube, dass Gott in jeder Situation präsent ist. Diese Zuversicht tröstet mich und gibt mir Kraft, bewahrt mich aber nicht vor Tränen.

An dieser Zuversicht hängt viel, scheint’s.

Wenn ich die Zuversicht, dass Gott immer da ist, verlieren würde, wäre das für mich persönlich die größte Katastroph­e.

 ?? F. Sams ?? Bischof Benno Elbs: „Die Hoffnung endet nicht am Horizont und das Leben nicht mit dem letzten Atemzug.“
F. Sams Bischof Benno Elbs: „Die Hoffnung endet nicht am Horizont und das Leben nicht mit dem letzten Atemzug.“
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