Die Laufmeile, die einen Oscar erhielt
Wenn es in Wien eine klassische Laufstrecke gibt, dann natürlich die vier Kilometer lange Hauptallee durch den Grünen Prater.
Sie schläft (fast) nie. Dort, unten im Prater, läuft immer was. Besser gesagt: immer jemand. Von früh am Morgen bis spät in die Nacht (Letzteres ist dank Straßenbeleuchtung möglich) trifft man hier Leute, die sich einlaufen, trainieren, Tempo-Einheiten abspulen, regenerativ unterwegs sind oder auslaufen. Sie ist die Königin der Laufstrecken Wiens, die 4,3 Kilometer lange Prater Hauptallee.
Sie hat viele Vorteile: Wer auf Asphalt trainieren möchte, weil Straßenlaufbewerbe naturgemäß auch auf hartem Untergrund stattfinden, ist gut aufgehoben. Wer seine Gelenke schonen will, nutzt eine der Nebenbahnen und findet dort natürlichen Boden, von Erde bis Wiese, vor. Streckenweise kann man auch auf Rindenmulch oder ganz tiefem Boden laufen, man darf sich dann aber nicht wundern, wenn einem Reitpferde entgegenkommen.
Es gibt Kilometermarkierungen. Das ist praktisch für die Zeitmessung. Selbst der einzige mitunter als Nachteil gesehene Umstand, nämlich der schnurgerade Verlauf der Strecke zwischen Praterstern und Lusthaus, kann als Vorteil gelten. Wer auf Zeit läuft, man könnte auch sagen: Wer es wissen will, mag es gern schörkellos, wer testen möchte, wo er leistungsmäßig steht (wenngleich dieses Verb hier deplatziert wirkt), nimmt gern die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Außerdem kann man mental aufbauen: Wer eine so unglaublich lange Gerade im Griff hat, darf sich so manches schwere Rennen zutrauen.
Diese Charakteristik der Strecke als „lang“und „gerade“– noch dazu mitten durch baumreiches Grün – hat sich weltweit herumgesprochen. Es waren genau diese Bedingungen, die den 12. Oktober 2019 zu einem sporthistorischen Tag machten. Der Kenianer Eliud Kipchoge lief in der Hauptallee als erster Mensch der Welt einen Marathon unter zwei Stunden. 20 Sekunden unter zwei Stunden, um genau zu sein. Okay, Kipchoge durfte sich gar über Laborbedingungen freuen, mit eigens aufgebrachtem Spezialasphalt, Dutzenden sich abwechselnden Weltklasse-Tempomachern um ihn herum etc. Schon klar: Das ist vom Hobbyläufer meilenweit entfernt. Trotzdem: Gelaufen wird hier, im Prater, schon seit 200 Jahren. Deshalb gab es vor Kurzem eine Auszeichnung des Leichtathletik-Weltverbands für diese einzigartige Strecke, nämlich die World Athletics Heritage Plaque. Damit heimste die Hauptallee quasi einen Oscar ein.