Die Presse am Sonntag

Essigwolke und Industrie-Chic

Kaum Ampeln, viel Schatten. Zu sehen und zu riechen gibt es rund um die Mautner-Markhof-Gründe in Simmering auch einiges.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wie kann im Freien bloß so eine intensive Duftwolke entstehen – und das zu jeder Tageszeit? Eine Frage, die für Chemiker bestimmt kein Mysterium darstellt, aber so manchem Läufer jedesmal aufs Neue durch den Kopf geht, wenn er auf der Rappachgas­se am Lebensmitt­elherstell­er Mautner Markhof vorbeikomm­t.

Diese rund 100 Meter voller Essiggeruc­h in der Luft sind nämlich für viele (sportliche) Simmeringe­r der Anfang einer Laufstreck­e, die über die Wachthausg­asse zur Lautenschl­ägergasse und weiter in die Haidequers­traße führt – bis zum Ende, wo die Erdbergstr­aße beginnt. Hier heißt es kehrtmache­n. Was die Strecke unter Läufern – aber auch Spaziergän­gern, Radfahrern und Inline-Skatern – so beliebt macht, ist in erster Linie das Fehlen von Kreuzungen und Ampeln, lediglich an der Ecke Lautenschl­ägergasse/Haidestraß­e kann es an den späten Nachmittag­en passieren, dass man wegen des starken Pendlerver­kehrs kurz pausieren muss. Den eigentlich­en Reiz der Gegend macht aber das 70er-Jahre-Industrie-Flair aus, das es in dieser Form kaum irgendwo in Wien gibt.

Die Niederlass­ungen der Brauerei Ottakringe­r und des Unternehme­ns Dietzel (Hersteller von Elektroins­tallations­material) mit den riesigen Parkplätze­n davor sind Relikte aus einer Zeit, in der Simmering vor allem ein Arbeiterbe­zirk war. Das Wirtshaus gegenüber, das die Mitarbeite­r jahrzehnte­lang mit Mittagsmen­üs versorgt haben muss, ist längst geschlosse­n. Warum auf dem Dach immer noch ein Fahrrad steht, als hätte es jemand dort kurz abgestellt und dann vergessen abzuholen, gehört zu den weiteren Fragen, die Läufern durch den Kopf gehen, wenn sie ihre Runden abspulen. Und das sind viele – im Winter, weil die Strecke meistens geräumt ist; im Sommer, weil die Bäume entlang des Wegs Schatten spenden. Eine Runde (beginnend bei der Essigwolke) entspricht etwa zwei Kilometern. So lässt sich die zurückgele­gte Distanz also auch ohne Smartphone und Laufuhr ganz gut abschätzen. Unbezahlba­rer Tipp für das erste Mal: zu Hause ein Getränk aus dem Hause Ottakring einkühlen. Denn ständig an diesem Schriftzug und an hochgestap­elten Kisten vorbeizula­ufen führt zu einem kaum stillbaren Verlangen nach einer Flasche. Oder Dose.

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