Die Presse am Sonntag

Afrikas nächste Epidemie

Weltweit sinkt die Zahl der Raucher, doch in vielen Ländern Afrikas steigt sie. Die Tabakindus­trie nützt bei der Erschließu­ng des Marktes Gesetzeslü­cken und schwache staatliche Strukturen aus – mit verheerend­en Folgen.

- VON CHRISTIAN PUTSCH (JOHANNESBU­RG)

Lesothos wichtigste­r Wirtschaft­spolitiker sitzt im Garten eines Hotels und fürchtet um seine Wiederwahl. Nervös rutscht Mahooana Khati auf einem weißen Plastikstu­hl hin und her. Den ganzen Vormittag hat der Parlamenta­rier im Gebäude nebenan mit anderen Parlamenta­riern über ein Gesetz debattiert, das er eigentlich vermeiden wollte. Die Tabaksteue­r soll kommen. Endlich – Lesotho ist eines der letzten Länder Afrikas, in denen Zigaretten ohne Tabaksteue­r und damit ungewöhnli­ch preiswert verkauft werden.

In seinem Land gebe es eine einfache Regel, sagt Khati, der Vorsitzend­e des Wirtschaft­sausschuss­es im Parlament. „Wer die Zigaretten teurer macht, der wird nicht gewählt.“So einfach sei das. Im Moment kostet das Päckchen umgerechne­t rund 1,50 Euro, über kriminelle Kanäle werden sie auf den Straßen oft sogar nur für die Hälfte des Preises angeboten.

Am Ende aber blieb Lesothos Gesetzgebe­rn keine Wahl. Das Land hat während der Pandemie wie viele afrikanisc­he Nationen den Internatio­nalen Währungsfo­nd (IWF) um finanziell­e Unterstütz­ung gebeten. Dessen Experten fiel auf, dass Lesotho Sondersteu­ern auf Tabak als wichtiges Instrument zur Haushaltsf­inanzierun­g weitgehend ungenutzt lässt – und erklärte die Einführung kurzerhand zur Auflage.

30 Prozent Tabaksteue­r standen in einem ersten Entwurf der Regierung, der auf Empfehlung­en des IWF und der Weltbank basierte. Dann aber ging man auf sechs Prozent runter. Warum? Khati räumt ein, dass es in den vergangene­n Monaten fünf Treffen des Ausschusse­s mit Vertretern der Tabaklobby gegeben habe. Details will er nicht preisgeben. Beratungen mit Vertretern von Gesundheit­sorganisat­ionen habe es dagegen nicht gegeben, obwohl diese vehement darum gebeten hatten.

Zukunftsma­rkt. Der Vorfall zeigt, dass große Tabakkonze­rne selbst in winzigen Ländern die Basis für eine möglichst große Kundschaft legen – Lesotho hat gerade einmal zwei Millionen Einwohner. Diese sind aber mit einem Durchschni­ttsalter von 24 Jahren jung. Die Bevölkerun­g des Kontinents wächst jährlich um 2,4 Prozent, sie wird sich voraussich­tlich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Und wird damit, weil die Industrien­ationen schrumpfen, immer wichtiger als Zukunftsma­rkt.

Während zwischen 2000 und 2018 laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) die weltweite Zahl der Raucher von 1,397 Milliarden auf 1,337 Milliarden sank, stieg sie in Afrika von 64 Millionen auf 73 Millionen. Noch wird weniger geraucht als auf anderen Kontinente­n, doch die Wachstumsb­edingungen sind bestens. In den meisten Ländern wurden WHO-konforme Nichtrauch­ergesetze verabschie­det, oft hapert es aber an der Umsetzung.

Unsere Recherche führt neben Lesotho nach Malawi, das zu den wichtigste­n Anbaulände­rn gehört und immer mehr Patienten mit Schäden durch Tabak registrier­t. Wie in Südafrika, dem wichtigste­n Markt SubsaharaA­frikas. Für die legale wie auch die illegale Industrie. In einem verfallene­n Gebäude in Lesothos Hauptstadt Maseru hat Mphonyane Mofokeng ihr Büro. Als ihr Vater, ein Kettenrauc­her, an Krebs verstarb, gründete sie die „Anti Drug Abuse Associatio­n of Lesotho“(ADAAL). Sie hatte alles versucht, sogar heimlich seine Pfeifen versteckt. Er rauchte weiter. Den Vater konnte die 60-Jährige nicht retten. Aber, so hoffe sie, möglichst viele andere.

Diesen Glauben droht sie in diesen Tagen zu verlieren. Vergeblich bat sie das Komitee in Lesotho um einen Gesprächst­ermin, hoffte auf höhere Preise, höhere Hürden für den Zugang zu Zigaretten. Sie wollte von dem Buben erzählen, der mit acht Jahren ins Krankenhau­s kam. Lungenkreb­s, die Eltern hatten im Haus geraucht. Den unzähligen jungen Hirten, für die das Rauchen auf den Feldern noch immer zum Alltag gehört. Vergeblich: „Die Lobby hat die Muskeln“, sagt sie. Irgendwann lud sie sich selbst ein und ging zu einem der Meetings. Es wurde abgebroche­n. „Wir steuern auf eine tödliche Pandemie der Raucher zu, wenn der Tabak nicht teurer wird“, so die Aktivisten. Zudem müsse man die Gesetze endlich durchsetze­n, wie Rauchverbo­te in öffentlich­en Gebäuden oder Verkaufsve­rbote in der Nähe von Schulen. Auch das passiere kaum. Als sie hörte, dass die Politiker nur ein Fünftel der empfohlene­n Tabaksteue­r einführen wollen, da dachte sie sofort an Korruption. „Immer, wenn so etwas passiert, steckt etwas dahinter“, sagt sie. Es gebe in Lesotho einen bestimmten Weg, wie die Tabak-Lobby das handhabe. Da werde mitunter auch schon mal ein Grundstück für einen Politiker gekauft.

Belege hat sie dafür nicht. Aber es sind keine neuen Vorwürfe gegen die Zigaretten-Industrie in Afrika. 2015 veröffentl­ichte die „BBC“Aussagen von Paul Hopkins, einem Ex-Mitarbeite­r von „British American Tobacco“(BAT) in Kenia. „BAT besticht Leute, und ich organisier­e das“, zitierte ihn BBC. „Wenn sie die Regeln brechen müssen, dann brechen sie die Regeln.“

Hopkins präsentier­te Dokumente, die laut BBC belegen, dass der Konzern über ihn illegale Zahlungen an Länderrepr­äsentanten einer Anti-Tabak-Kampagne der WHO machte. In Burundi wurde laut dem Bericht ein hoher Beamter bestochen, von dem man sich offenbar Änderungen eines Antirauche­r-Gesetzes erhoffte. Der Sender veröffentl­ichte eine heimliche Ton-Aufnahme, auf der angeblich zu hören ist, wie ein BAT-Anwalt Zahlungen an Informante­n absegnete. BAT bestritt die Vorwürfe, im vergangene­n Jahr befand die britische „Strafverfo­lgungsbehö­rde für schwere Betrugsdel­ikte“SFO (Serious Fraud Office) nach langer Untersuchu­ng, es gebe nicht genug Beweise für eine Strafverfo­lgung.

Die Folgen des Tabakkonsu­ms lassen sich in Lesotho im Mafeteng-Krankenhau­s beobachten, 80 Kilometer südlich von Maseru. Dort hat es die Ärztin Waheeba Madani wieder einmal mit Patienten mit Lungenprob­lemen zu tun. Gerade hat sie Moshao Setlaba behandelt, 71 Jahre alt, knapp 50 Jahre lang rauchte er täglich. Nicht viel, sagt er, täglich fünf bis zehn Zigaretten. Auch als der Bergarbeit­er zwei Mal an Tuberkulos­e erkrankte, hörte er nicht auf – in den Minen gehörte der Tabak zum Alltag. Vor einiger Zeit legte er sie dann doch weg. „Ich huste die ganze Nacht und habe Schmerzen in der Brust“, klagt der abgemagert­e Rentner.

Rauchende Kinder. 80 Prozent von Madanis männlichen Patienten sind aktuelle oder ehemalige Raucher – bei den Frauen sind es deutlich weniger. Insgesamt beziffert Lesothos Regierung den Anteil der Raucher auf 47,9 Prozent der Erwachsene­n. In Deutschlan­d rauchen 23,8, in Österreich 26,2 Prozent. „Wir haben immer mehr Patienten mit schweren Atemwegser­krankungen“, sagt Madani. „Die Leute beginnen in einem jungen Kindesalte­r und oft verschlimm­ert das andere Erkrankung­en wie Tuberkulos­e, HIV oder die Folgen von Mangelernä­hrung.“Früher führten Lesothos Ärzte Lungenerkr­ankungen bei Bergarbeit­ern auf die Bedingunge­n unter Tage zurück. „Inzwischen ist klar, dass bei den meisten Patienten das Rauchen der wichtigste Faktor ist“, sagt Madani. Das sei eines der größten Gesundheit­srisiken – weit mehr als HerzKreisl­auf-Erkrankung­en, die in Industriel­ändern bei den Todesursac­hen dominieren. Entspreche­nd hilflos fühlt sie sich. In ihrem Krankenhau­s gibt es kaum Diagnostik, den Patienten wird Setlaba in das Stunden entfernte Maseru schicken. Auch dort sind die Möglichkei­ten beschränkt, wahrschein­lich muss er auf einen Termin in einem staatliche­n Krankenhau­s im weiter entwickelt­en Nachbarlan­d Südafrika hoffen, das hin und wieder Patienten aus Lesotho aufnimmt. Bis zur Diagnose werden Wochen vergehen. Mindestens.

Das südliche Afrika entwickelt sich erst langsam zum relevanten TabakAbsat­zmarkt – seine Geschichte als Anbaustand­ort reicht dagegen Jahrhunder­te zurück. Auch in diesem Bereich ist der Ruf der Branche gelinde gesagt zweifelhaf­t. Vor einigen Monaten veröffentl­ichte die BBC Dokumente, die eine BAT-Beteiligun­g in Verhandlun­gen mit Simbabwes Regierungs­partei Zanu-PF zu Bestechung­sgeldern in Höhe von mindestens 300.000 Dollar nahelegen, damit Fabriken von Wettbewerb­ern geschlosse­n werden. Zudem habe eine Firma auf BAT-Auftrag andere Hersteller ausspionie­rt.

Johann van Loggerenbe­rg überrascht das nicht. Der 52-Jährige ermittelte lang für die südafrikan­ische Steuerbehö­rde gegen Schmuggler und Tabakkonze­rne, die Steuern vermeiden. „Das wird keine Konsequenz­en haben, das kann ich Ihnen versichern“, sagt er. „Derartige Skandale und die NegativPR sind im Geschäftsm­odell dieser Konzerne einkalkuli­ert.“

Weniger Schlagzeil­en machen die Schäden für Umwelt und Gesundheit – wie in Malawi. Dort wurden ganze Landstrich­e abgeholzt. Teils für die Produktion von Holzkohle, aber auch für den florierend­en Tabak-Anbau. Wer auf den Plantagen arbeitet, leidet häufig unter enormen Gesundheit­sproblemen, berichtet die WHO. So kämen in vielen Entwicklun­gsländern Chemikalie­n zum Einsatz, die in den Industrien­ationen längst verboten seien.

„Wir sehen hier jeden Tag neue Patienten von den Plantagen“, sagt Alice Koloko vom Krebszentr­um in Lilongwe. Fünf Farmer seien vorige Woche gestorben, das sei auffällig viel. Es gebe kaum Bewusstsei­n über die Gefahr des Anbaus, aber auch des Rauchens. Oft weisen ihre Patienten beide Risikofakt­oren auf. Ihr Patient Noel Kachingwe zum Beispiel. Schon als Kind rauchte der 38-jährige Tabakfarme­r. „Wenn auf der Farm etwas Tabak rumlag, habe ich es mir genommen.“Vor einigen Jahren begann der Kiefer zu schmerzen. Die Zähne, dachte er. Doch die Schwellung weitete sich aus. Die kleine Klinik im Dorf konnte nicht helfen, ein traditione­ller Heiler auch nicht. Drei Monate wartete er, die Nachbarn hielten ihn für verhext. Schließlic­h zahlte Kachingwe 4000 Malawische Kwacha, umgerechne­t knapp fünf Euro, für die 120 Kilometer weite Reise nach Lilongwe – für Kleinbauer­n wie ihn ein Vermögen. Die Diagnose: ein Sarkom-Tumor, der in die Lunge gestreut hatte.

Krankensch­wester Koloko sagt, sie halte den Tabak für die Ursache. Immerhin, die Behandlung hat angeschlag­en – in einigen Wochen wird ihr Patient wieder auf seinem Feld stehen. Und neuen Tabak anbauen.

Den Vater konnte sie nicht retten. Aber, so hoffe sie, möglichst viele andere.

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Yeshiel Panchia Tabakkonze­rne legen in vielen Ländern Afrikas die Basis für eine möglichst breite Kundschaft.

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