Die Presse am Sonntag

Was wärmte die junge Erde?

Trotz der anfangs schwachen Sonne gab es auf der Erde früh flüssiges Wasser. Bei der Lösung des 50 Jahre alten Paradoxons soll nun der Mond helfen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Auch die Sonne war einmal jung. Und schwach: Sie strahlte bei ihrer und der Entstehung des Planetensy­stems vor 4,5 Milliarden Jahren mit nur 70 Prozent ihrer heutigen Kraft. Die brachte der Erde so wenig Wärme, dass auf ihr eine Durchschni­ttstempera­tur von minus 13,15 Grad Celsius hätte herrschen müssen. Und doch hatte sie vor 4,4 Milliarden Jahren flüssiges Wasser, 70 Grad heißes gar, darauf deutete 2001 eine Analyse von Zirkonen – den ältesten Zeugen der Erdgeschic­hte –, sie zog ihren Schluss aus dem Verhältnis verschiede­ner Sauerstoff­isotopen (Nature 409, S. 175). Das war kein direkter Beleg von Wasser und geriet deshalb gelegentli­ch in Zweifel, aber spätestens vor 3,8 Milliarden Jahren war es da – da entstand das Leben –, und die Sonne war noch lang nicht bei ihren heutigen Kräften.

Dass sie das nicht war, folgte aus dem in den 1950er-Jahren entwickelt­en Standardmo­dell für die Entstehung von Sternen, das sind Himmelskör­per wie unsere Sonne, die sich in Kernfusion selbst verbrennen. Das Ausgangsma­terial ist Wasserstof­f, je mehr von ihm zu Helium wird, desto dichter wird der Kern, erst das bringt höhere Temperatur­en. Diese reichten bei der Sonne nach etwa zwei Milliarden Jahren für flüssiges

Wasser auf der Erde, und dass jenes vorher doch da war, wurde 1972 vom begnadeten Astronomen und Popularisa­tor Carl Sagan als Problem formuliert bzw. als „Paradoxon der schwachen jungen Sonne“(Science 171, S. 71).

Er hatte auch eine Lösung, sah sie in der Erdatmosph­äre bzw. einem Treibhausg­as, Ammoniak (NH3). Aber das wird vom UV-Licht der Sonne rasch zersetzt, zudem wird es vom Regen ausgewasch­en. Deshalb postuliert­e Sagan 25 Jahre später einen zusätzlich­en Dunstschle­ier aus Stickstoff (N2) und Methan (CH4), der das Ammoniak gegen das UV-Licht abschirmte (Science 276, S. 1217). Das allerdings hätte das Paradoxon noch verschärft, weil dann weniger Sonnenlich­t zum Erdboden gedrungen wäre.

Also setzte James Kasting (Pennsylvan­ia State University) auf ein anderes Treibhausg­as, Kohlendiox­id (CO2). Das hätte allerdings fast die 1000-fache Konzentrat­ion von heute haben müssen, 30 Prozent der Atmosphäre füllen statt 0,04 (Science 259, S. 920). Entspreche­nde Spuren fanden sich nicht, im Gegenteil: 2010 schloss Minik Rosing (Kopenhagen) aus dem Verhältnis der Eisenerzmi­neralien Magnetit und Siderit – die sich bei verschiede­nen CO2Konzent­rationen bilden – in 3,8 Milliarden Jahre altem Gestein aus Grönland, dass es damals maximal drei Prozent waren (Nature 464, S. 744).

Trotzdem erklärte er das Paradox für gelöst: Gewärmt habe nicht die Atmosphäre, sondern die Albedo der Erde, ihre Reflexion des Sonnenlich­ts: Kontinente mit ihrem hellen Gestein habe es damals kaum gegeben, stattdesse­n dunkles Wasser, das die Energie aufnahm. Zudem hätte es weniger Wolken gegeben, weil viele der dafür nötigen Kristallis­ationskeim­e vom Leben kommen – etwa Methylsulf­id von Algen –, und Leben war noch wenig da.

Höherer Luftdruck? Das mit den Wolken war plausibel, das mit den Meeren weniger, schließlic­h wären sie rundum mit hoch reflektier­endem Eis überzogen gewesen. Also ging man wieder zurück zu Bestandtei­len der Atmosphäre, diesmal zu Stickstoff. Der gehört zwar nicht zu den Treibhausg­asen, kann diese aber zu verstärkte­r Wirkung bringen, wenn der Luftdruck hoch genug ist. Nur: Woher soll man wissen, wie der Luftdruck vor Milliarden Jahren war? 1851 bemerkte der britische Geologe Charles Lyell, dass man ihn aus Regentropf­en bzw. ihren Einschlags­kratern ableiten kann: je höher der Druck, desto langsamer der Tropfenfal­l.

Das nahm der Nasa-Forscher Sanjoy Som 2012 auf, er vermaß Regentropf­en, die vor 2,7 Milliarden Jahren in erkaltende Vulkanasch­e einschluge­n, und verglich sie mit heutigen Mustern: Der Druck war damals nur marginal höher (Nature 484, S. 359).

Sich selbst heizen konnte die Erde auch nicht, dazu war ihr radioaktiv­es Inventar zu gering. Bleiben drei Möglichkei­ten der Himmelsmec­hanik: Entweder war die Sonne größer, oder die Erde war kleiner, oder ihre elliptisch­e Bahn führte sie enger an der Sonne vorbei. Darauf deutet nichts. Und dass die Erde gewachsen ist, kam als Idee zwar Ende des 19. Jahrhunder­ts auf – und Alfred Wegener zu Beginn des 20. gerade recht, um die von ihm bemerkte Kontinenta­lverschieb­ung zu erklären. Messungen bestätigen es nicht, trotzdem hat Golden Nyambuya (Ascot, Simbabwe) im Vorjahr vorgerechn­et, dass eine kleinere Erde das Paradoxon lösen würde, weil ihre auch kleinere Atmosphäre mehr Sonnenlich­t hätte passieren lassen (Preprints 202103.0279.v1).

Das ist Spekulatio­n. Bleibt die Größe der Sonne. Hätte sie zu Beginn nur sechs Prozent Masse mehr gehabt, hätte das für die heutige Temperatur der Erde gereicht (Astrophysi­cal Journal 583, S. 1024). Sie hätte den Überschuss nur rasch loswerden müssen, weil sie sonst bald die Erde zerkocht hätte. Ging das dadurch, dass die frühe Sonne zwar schwächer, aber viel aktiver war, mehr Material mit dem Sonnenwind ins All schleudert­e?

Man suchte die Lösung des Problems in Treibhausg­asen und der Albedo. Vergeblich.

Nun kommt ein neuer Kandidat ins Spiel, der Mond mit seiner Gravitatio­n.

Im Prinzip schon, aber nicht im erforderli­chen Ausmaß, das weiß man von Beobachtun­gen vergleichb­arer Sterne. Georg Feulner (Potsdam) hat es 2012 in seiner bis heute umfassends­ten und sorgsamste­n Analyse des Paradoxons aufgeführt und kam zu dem Schluss, dass auch „nach 40 Jahren das Problem leider geblieben ist“(Review of Geophysics 2011RG0003­75).

Und heute, 50 Jahre danach? Da hat Rene´ Heller (Göttingen) einen ganz neuen Beteiligte­n ins Spiel gebracht, den Mond, der bei seiner Entstehung extrem nah bei der Erde war und ihr enorme Gezeiten brachte. Damit kam nicht nur das Meer in Bewegung, sondern auch das Land bzw. sein Gestein, die aus dieser Reibung resultiere­nde Wärme hätte fünf Grad betragen können (Paläontolo­gische Zeitschrif­t 95: 563): „Das Gezeitenhe­izen allein löst das Paradoxon nicht, aber es könnte in Kombinatio­n mit anderen Effekten eine Schlüsselr­olle gespielt haben.“

Zur völligen Lösung des Paradoxes bleibt noch Zeit. Zwar altert die Sonne auch. Aber sterben wird sie erst in fünf Milliarden Jahren.

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