Was wärmte die junge Erde?
Trotz der anfangs schwachen Sonne gab es auf der Erde früh flüssiges Wasser. Bei der Lösung des 50 Jahre alten Paradoxons soll nun der Mond helfen.
Auch die Sonne war einmal jung. Und schwach: Sie strahlte bei ihrer und der Entstehung des Planetensystems vor 4,5 Milliarden Jahren mit nur 70 Prozent ihrer heutigen Kraft. Die brachte der Erde so wenig Wärme, dass auf ihr eine Durchschnittstemperatur von minus 13,15 Grad Celsius hätte herrschen müssen. Und doch hatte sie vor 4,4 Milliarden Jahren flüssiges Wasser, 70 Grad heißes gar, darauf deutete 2001 eine Analyse von Zirkonen – den ältesten Zeugen der Erdgeschichte –, sie zog ihren Schluss aus dem Verhältnis verschiedener Sauerstoffisotopen (Nature 409, S. 175). Das war kein direkter Beleg von Wasser und geriet deshalb gelegentlich in Zweifel, aber spätestens vor 3,8 Milliarden Jahren war es da – da entstand das Leben –, und die Sonne war noch lang nicht bei ihren heutigen Kräften.
Dass sie das nicht war, folgte aus dem in den 1950er-Jahren entwickelten Standardmodell für die Entstehung von Sternen, das sind Himmelskörper wie unsere Sonne, die sich in Kernfusion selbst verbrennen. Das Ausgangsmaterial ist Wasserstoff, je mehr von ihm zu Helium wird, desto dichter wird der Kern, erst das bringt höhere Temperaturen. Diese reichten bei der Sonne nach etwa zwei Milliarden Jahren für flüssiges
Wasser auf der Erde, und dass jenes vorher doch da war, wurde 1972 vom begnadeten Astronomen und Popularisator Carl Sagan als Problem formuliert bzw. als „Paradoxon der schwachen jungen Sonne“(Science 171, S. 71).
Er hatte auch eine Lösung, sah sie in der Erdatmosphäre bzw. einem Treibhausgas, Ammoniak (NH3). Aber das wird vom UV-Licht der Sonne rasch zersetzt, zudem wird es vom Regen ausgewaschen. Deshalb postulierte Sagan 25 Jahre später einen zusätzlichen Dunstschleier aus Stickstoff (N2) und Methan (CH4), der das Ammoniak gegen das UV-Licht abschirmte (Science 276, S. 1217). Das allerdings hätte das Paradoxon noch verschärft, weil dann weniger Sonnenlicht zum Erdboden gedrungen wäre.
Also setzte James Kasting (Pennsylvania State University) auf ein anderes Treibhausgas, Kohlendioxid (CO2). Das hätte allerdings fast die 1000-fache Konzentration von heute haben müssen, 30 Prozent der Atmosphäre füllen statt 0,04 (Science 259, S. 920). Entsprechende Spuren fanden sich nicht, im Gegenteil: 2010 schloss Minik Rosing (Kopenhagen) aus dem Verhältnis der Eisenerzmineralien Magnetit und Siderit – die sich bei verschiedenen CO2Konzentrationen bilden – in 3,8 Milliarden Jahre altem Gestein aus Grönland, dass es damals maximal drei Prozent waren (Nature 464, S. 744).
Trotzdem erklärte er das Paradox für gelöst: Gewärmt habe nicht die Atmosphäre, sondern die Albedo der Erde, ihre Reflexion des Sonnenlichts: Kontinente mit ihrem hellen Gestein habe es damals kaum gegeben, stattdessen dunkles Wasser, das die Energie aufnahm. Zudem hätte es weniger Wolken gegeben, weil viele der dafür nötigen Kristallisationskeime vom Leben kommen – etwa Methylsulfid von Algen –, und Leben war noch wenig da.
Höherer Luftdruck? Das mit den Wolken war plausibel, das mit den Meeren weniger, schließlich wären sie rundum mit hoch reflektierendem Eis überzogen gewesen. Also ging man wieder zurück zu Bestandteilen der Atmosphäre, diesmal zu Stickstoff. Der gehört zwar nicht zu den Treibhausgasen, kann diese aber zu verstärkter Wirkung bringen, wenn der Luftdruck hoch genug ist. Nur: Woher soll man wissen, wie der Luftdruck vor Milliarden Jahren war? 1851 bemerkte der britische Geologe Charles Lyell, dass man ihn aus Regentropfen bzw. ihren Einschlagskratern ableiten kann: je höher der Druck, desto langsamer der Tropfenfall.
Das nahm der Nasa-Forscher Sanjoy Som 2012 auf, er vermaß Regentropfen, die vor 2,7 Milliarden Jahren in erkaltende Vulkanasche einschlugen, und verglich sie mit heutigen Mustern: Der Druck war damals nur marginal höher (Nature 484, S. 359).
Sich selbst heizen konnte die Erde auch nicht, dazu war ihr radioaktives Inventar zu gering. Bleiben drei Möglichkeiten der Himmelsmechanik: Entweder war die Sonne größer, oder die Erde war kleiner, oder ihre elliptische Bahn führte sie enger an der Sonne vorbei. Darauf deutet nichts. Und dass die Erde gewachsen ist, kam als Idee zwar Ende des 19. Jahrhunderts auf – und Alfred Wegener zu Beginn des 20. gerade recht, um die von ihm bemerkte Kontinentalverschiebung zu erklären. Messungen bestätigen es nicht, trotzdem hat Golden Nyambuya (Ascot, Simbabwe) im Vorjahr vorgerechnet, dass eine kleinere Erde das Paradoxon lösen würde, weil ihre auch kleinere Atmosphäre mehr Sonnenlicht hätte passieren lassen (Preprints 202103.0279.v1).
Das ist Spekulation. Bleibt die Größe der Sonne. Hätte sie zu Beginn nur sechs Prozent Masse mehr gehabt, hätte das für die heutige Temperatur der Erde gereicht (Astrophysical Journal 583, S. 1024). Sie hätte den Überschuss nur rasch loswerden müssen, weil sie sonst bald die Erde zerkocht hätte. Ging das dadurch, dass die frühe Sonne zwar schwächer, aber viel aktiver war, mehr Material mit dem Sonnenwind ins All schleuderte?
Man suchte die Lösung des Problems in Treibhausgasen und der Albedo. Vergeblich.
Nun kommt ein neuer Kandidat ins Spiel, der Mond mit seiner Gravitation.
Im Prinzip schon, aber nicht im erforderlichen Ausmaß, das weiß man von Beobachtungen vergleichbarer Sterne. Georg Feulner (Potsdam) hat es 2012 in seiner bis heute umfassendsten und sorgsamsten Analyse des Paradoxons aufgeführt und kam zu dem Schluss, dass auch „nach 40 Jahren das Problem leider geblieben ist“(Review of Geophysics 2011RG000375).
Und heute, 50 Jahre danach? Da hat Rene´ Heller (Göttingen) einen ganz neuen Beteiligten ins Spiel gebracht, den Mond, der bei seiner Entstehung extrem nah bei der Erde war und ihr enorme Gezeiten brachte. Damit kam nicht nur das Meer in Bewegung, sondern auch das Land bzw. sein Gestein, die aus dieser Reibung resultierende Wärme hätte fünf Grad betragen können (Paläontologische Zeitschrift 95: 563): „Das Gezeitenheizen allein löst das Paradoxon nicht, aber es könnte in Kombination mit anderen Effekten eine Schlüsselrolle gespielt haben.“
Zur völligen Lösung des Paradoxes bleibt noch Zeit. Zwar altert die Sonne auch. Aber sterben wird sie erst in fünf Milliarden Jahren.