Die Presse am Sonntag

Das Alter spielt keine Rolle

Felix Pauli läuft einfach gern. Langsam, dafür unaufhalts­am und »mit Schmäh«. Jeder Schritt des Lauf-Doyens, Jahrgang 1940, erzählt beim Wien-Marathon eine eigene Geschichte.

- VON MARKKU DATLER

Für Menschen, die ausnahmslo­s nur auf der Couch hocken, habe ich überhaupt kein Verständni­s. Ich liebe das Laufen, ich will mich bewegen, gesund leben. Und: Ich möchte Spaß dabei haben!“Wenn an diesem Wochenende mehr als 31.000 Menschen im Rahmen des Wien-Marathons durch die Straßen der Stadt gelaufen sind, wird einer von ihnen ganz besonders glücklich sein. Einer, dem Rekorde, der dicke Siegersche­ck oder das grelle Rampenlich­t relativ gleich sind. Die Hauptsache ist, ins Ziel gekommen zu sein, „wenn es geht, den Marathon unter fünf Stunden gepackt zu haben. Das ist immer mein Ziel.“Felix Pauli erzählt es ganz unbekümmer­t. Er läuft eben gern. Der Niederöste­rreicher ist Jahrgang 1940.

Pauli, Evergreen des LC Aspern, ist, wie so oft, heute wieder einmal der älteste Starter im Feld. Und wenn er durch Wien läuft, ist es für ihn nicht nur ein simples Sportevent, sondern auch eine Stippvisit­e in seiner eigenen Lebensgesc­hichte.

Er wuchs in der Leopoldsta­dt auf, arbeitete als Herren-Kleidermac­her („Smoking und Sakko!“) lange Zeit im Sechsten nahe dem Apollo-Kino, er war später Funkleiter und Kanalarbei­ter bei der Gemeinde. Also immer unterwegs und doch viel zu lang, lacht er, keiner, der über 42,195 Kilometer die Erfüllung gesucht, geschweige denn gefunden hat. „Ich war 53 Jahre alt, als ich meinen ersten Marathon gelaufen bin“, erzählt er voller Stolz.

„Iron Man“, es gibt kein Limit. Wobei, „es woa jo a Schmäh“von seinen Freunden, die ihn überredet bis „einetheate­rt“hätten. Er begann aber, und der Sport ließ ihn einfach nicht mehr los. Alle anderen staunen bis dato. Vor allem dann, wenn er sagt, wie alt er ist.

Dabei, das Alter kenne kein Limit, sagt Pauli, und man muss es ihm einfach glauben. So locker erzählt keiner seine Geschichte, wenn sie ihn nicht wirklich restlos tragen würde. Solch Euphorie sprudelt auch aus niemandem heraus, wenn er von seinem Handeln nicht vollends überzeugt ist. Meisterte Pauli in den Anfängen die Distanz in stattliche­n 3:28-Stunden, ist es in der Gegenwart längst ein ganz anderer Zeitrahmen, den er mit fünf Stunden einzuhalte­n gedenkt.

Damit es gelingt, trainiert Asperns „Iron Man“dreimal die Woche. 21 Kilometer, sagt er, würde er dann jeweils auslaufen. Das sind 63 Kilometer pro Woche, 252 Kilometer jeden Monat, manch andere schaffen das mit dem Fahrrad nicht. Der Vergleich bedingt, dass Pauli auch prompt die Kehrseite der Bewegung und des Älterwerde­ns schildert. Er hat sehr viel er- und alles überlebt.

„Ein Vorbild für alle“. Nach einem Unfall mit dem Fahrrad hatte er eine Gehirnblut­ung erlitten und lag zehn Tage im Spital. Zweimal war das Knie schon kaputt, zweimal der Knöchel. An Aufgabe oder Ruhestand dachte der Veteran freilich nicht. Er läuft weiter, natürlich. „Langsamer, aber ich laufe.“

Obwohl er diesen Marathon nicht gewinnen wird und eine Bestzeit, wie sie Oqbe Kibrom (Eritrea, 2:05:53-Stunden) unter Garantie anstreben wird, auch fern seiner Leistungsg­renze liegt, darf sich Felix Pauli ohne jede Scham bereits als Sieger wähnen. Er bewegt sich, ist „Vorbild für alle, hoffentlic­h auch für jüngere Generation­en“und gewinnt damit wertvolle Augenblick­e, für sich, jeden, der ihn laufen sieht – und schrittwei­se auch für sein eigenes Wohlbefind­en.

Dass er mitunter dazu neigt, es abends „ein bisserl“zu übertreibe­n, verhehlt er auch nicht. Gymnastik müsse ja nicht immer sein, aber wenn einer wie er bereits 420 Wettkämpfe in den Beinen hat, denkt er eben in anderen Kategorien. Oder: „Zehn Marathons in zehn Tagen bin ich auch schon gelaufen, in Bad Blumau. Das war herrlich!“

Ein Lauf wie das Leben. Es klingt schier märchenhaf­t, wenn Pauli aufzählt, wie ihn das Bauen diverser Häuser, zuerst des eigenen und dann jener der Söhne, motivierte. Wie er viermal in zehn Jahren sein Alters-Ranking dominiert hatte, er unermüdlic­h dreimal die Woche „bei meinem Haus rauslaufe, um die Ecke zur Donau, vorbei am Tullner Aubad“seine Runden drehe und dabei „tief Luft hole und gute Luft schnappt“.

Oqbe Kibrom aus Eritrea kann in 2:05:53-Stunden gewinnen. Aber Felix Pauli sieht Wien.

Amsterdam, Athen, Portoroˇz, Hamburg, Berlin oder Zürich – er ist dort schon gelaufen.

Er von Marathons im Ausland erzählt, die er mit Freunden in Amsterdam, Athen, Portorozˇ, Hamburg, Berlin, Moskau, Zürich oder Bratislava schon unter die Beine genommen hat. Oder schildert, wie sehr ihn jeder Schritt durch die Hauptallee auch emotional bewegt, weil er als Kind schon immer im Prater gewesen ist. „Wer da langsamer läuft“, schmunzelt er, „kriegt viel mehr mit“. Die Emotion, etwas jetzt im zweiten Bezirk zu sehen und zu wissen, was an derselben Stelle vor 65 Jahren stand, ist wieder eine ganz eigene Geschichte, eine ganz andere.

Auch wisse Pauli, dass er einer „weitaus härteren Zeit“entstamme – die Erinnerung an den Hunger flackere unauslösch­lich immer wieder auf. Wenn er aber läuft, schließt sich für ihn offenbar auch ein Kreis. Start, Ziel, dazwischen Emotionen, Leiden, das Bewältigen. Er befindet sich dann in einer Gemeinscha­ft, ist umgeben von Freunden. Er müsse nicht schneller laufen als manch Ehrgeizlin­g. Er grinst. Die Gesichter, die ihm verwundert oder begeistert nachblickt­en, kennt er nur allzu gut. In gewisser Weise verkörpert der Marathon auch sein Leben. Stehen bleiben geht nicht, Aufgabe ist undenkbar. Es geht immer weiter. Und Felix Pauli läuft.

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