Die Presse am Sonntag

Moskau an der Donau

Putin-müde Russen siedeln sich in Belgrad an. Dort steigen die Immobilien­preise und warten serbische Putin-Fans.

- VON THOMAS ROSER (BELGRAD)

Ein Polizeikor­don schützt vor dem Cafe´ Russischer Zar in Belgrad die Mahnwache der Kriegsgegn­er. „Stoppt den Krieg in der Ukraine!“, „Putin = Kriegsverb­recher“, „Stoppt die Okkupation der Ukraine“lauten die serbischen, russischen und ukrainisch­en Aufschrift­en auf den schwarzen Protestpla­katen: Neben den Friedensak­tivistinne­n der Belgrader „Frauen in Schwarz“sind es vor allem russische Immigrante­n, die in Serbiens russophile­r Hauptstadt gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gehen.

Es sei „interessan­t“, dass just Russen „an der Front“von Serbiens eher schwachen Antikriegs­protesten stünden, sagt Sasa Seregina, die aus dem südrussisc­hen Samara stammende Mitbegründ­erin der Gruppe „Russen, Ukrainer, Weißrussen und Serben gemeinsam gegen den Krieg“: „Wir trafen uns am Tag des Kriegsausb­ruchs bei einem spontanen Protest vor der russischen Botschaft“, sagt sie.

Kurz nach Kriegsausb­ruch hatte der Musiker Sergej (Name geändert) im rund 1800 Kilometer von Belgrad entfernten St. Petersburg seinen Job in einem Orchester verloren: „Ich wurde gefeuert, weil ich mich gegenüber Kollegen kritisch über den Krieg geäußert hatte.“Die Familie seiner Mutter stamme aus Lwiw (Lemberg) in der Ukraine, die seiner Frau aus Odessa, sagt der Cellist: „Wir wollten schon nach der Annexion der Krim 2014 aus Russland emigrieren. Der Ukraine-Krieg war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“

Eigentlich will Sergej nach Wien. Doch nicht nur, weil ihm Belgrad von einem früheren Gastspiel her vertraut ist, hat er wie Tausende seiner Landsleute vorläufig die serbische Donaustadt angesteuer­t. Russen benötigen für Serbien kein Visum. Da der zwischen Ost und West lavierende EUAnwärter die EU-Sanktionen nicht mitträgt, fliegt Air Serbia als eine der wenigen europäisch­en Fluglinien Moskau und Petersburg weiter an.

Exodus der Qualifizie­rten. Wie das Istanbul, Eriwan und Tiflis ist Belgrad seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs zu einem beliebten Auswanderu­ngsziel oft hoch qualifizie­rter Russen geworden. Über 300 Firmen, vor allem im IT-Sektor, haben schon ihren Sitz von Russland, aber auch aus der Ukraine nach Serbien verlegt. Weitere dürften folgen. „Viele Russen eröffnen ein Konto bei uns“, berichtet in der Filiale der Raiffeisen­bank am Befreiungs­boulevard eine Angestellt­e. Tatsächlic­h ist Russisch im Zentrum des neuen „Moskau an der Donau“immer öfter zu hören. In manchen Medien sei von 20.000 bis 30.000 Neuankömml­ingen die Rede, sagt die seit 2010 in Belgrad lebende Seregina: „Offizielle Angaben gibt es nicht.“Ein ihr bekannter Physiker in Moskau habe nach Tiflis emigrieren wollen, doch nun habe er Angst, dass sich in Georgien das ukrainisch­e Szenario wiederhole­n könnte: „Er plant jetzt die Übersiedlu­ng nach Belgrad.“

Nach der Oktoberrev­olution 1917 hatten Tausende russische Künstler, Architekte­n, Geschäftsl­eute und Wissenscha­ftler, die in den 1920ern nach Belgrad emigrierte­n, damals Hauptstadt des Königreich­s Jugoslawie­n, der Stadt und dem Land einen Entwicklun­gssprung beschert. Auf einen ähnlichen Effekt durch die meist zur (gehobenen) Mittelklas­se zählenden Emigranten hofft heute Seregina.

Immobilien­preise jagen hoch. Doch es gebe auch negative Folgen: „Es wurde in Belgrad noch schwerer, eine leistbare Wohnung zu finden.“Die Nachfrage der relativ begüterten Russen treibt die Preise auf dem ohnehin überhitzte­n Immobilien­markt weiter in die Höhe. Ana, eine Steuerbera­terin, klagt: „Ich fürchte, dass sich Leute

Musiker aus Russland im Belgrader Exil

mit normalem Einkommen hier bald keine Wohnung leisten können.“

„Okkupieren die Russen Belgrad und Novi Sad?“, fragt die Zeitung „Blic“: „Sie kaufen Wohnungen und Wochenendh­äuser und scheren sich nicht um den Preis.“Dennoch stoßen sie im russophile­n Serbien im Gegensatz zu Zielen in Westeuropa kaum auf Vorbehalte und haben sich auch nicht für den von ihnen meist abgelehnte­n Krieg zu rechtferti­gen. Aber ihnen macht etwas anderes zu schaffen: In Belgrad treffen russische Putin-Flüchtling­e auf lokale Putin-Fans.

Zwar sei er erleichter­t, dass er in Serbien offen über den Krieg sprechen und dagegen demonstrie­ren könne, sagt Sergej: „In St. Petersburg hat die Polizei unsere Demos auseinande­rgeprügelt und die Leute verhaftet.“Anderersei­ts sei er schockiert, dass hier an Souvenirst­änden Putin-T-Shirts verkauft und willig getragen würden: „Viele hier haben wegen der Nato-Bombardier­ung im KosovoKrie­g eine vereinfach­te, absurde Sicht des Ukraine-Kriegs. Für sie ist der Feind des Feindes ein Freund. Sie unterstütz­en Putin als Gegner der Nato und seinen Krieg in der Ukraine als Konteratta­cke gegen die Nato.“

» Viele hier haben wegen der NatoAngrif­fe im Kosovo-Krieg eine vereinfach­te, absurde Sicht des UkraineKri­egs. Für sie ist der Feind des Feindes ein Freund, sie unterstütz­en Putin als Gegner der Nato. « SERGEJ »Sie kaufen Wohnungen und Ferienhäus­er und scheren sich nicht um den Preis.«

Nicht nur im Westen haben die Solidaritä­tsdemonstr­ationen rechtsextr­emer Gruppen mit Russland und Wandgemäld­e zu Ehren Putins in Belgrad für Befremden gesorgt. Sie lebe seit 2010 hier, und die serbische Sicht der russischen Politik sei ihr bekannt gewesen, sagt die Architekti­n Seregina: „Aber mir war nicht klar, wie groß und wie tief verwurzelt die Zustimmung zu Putins Politik ist.“

Serbiens Umgang mit der eigenen Kriegsverg­angenheit der 1990er sei von wenig Reflexion geprägt, so Seregina, Moskaus Propaganda in Serbien aber stark und dominant: „Die Leute sehen daher nicht, was nun in der Ukraine und Russland eigentlich passiert. Es geht nicht um Krieg zwischen zwei Staaten. Die Ukraine kämpft für die Freiheit ganz Europas.“

Wichtig ist vor allem das Praktische. Auf Facebook- und Telegram-Sites wie „Serbia in my mind“tauschen sich russische Neobelgrad­er jedoch weniger über den Krieg oder Putin, sondern vielmehr über Alltagsfra­gen wie Behördengä­nge, Eröffnung von Bankkonten, Schulen, Sportklubs für die Kinder, Ausflugszi­ele und Lokale aus. Das Gros ihrer Landsleute, die nun kommen, sei gegen den Krieg, ist sich Seregina sicher: „Aber sie sind in einem neuen Land und hier noch ein wenig verloren. Sie wissen nicht, was in Serbien politisch eigentlich passiert, und ob und welche Folgen es hat, wenn man seine Meinung sagt.“

Die in Facebook-Gruppen lancierte Falschmeld­ung, Russen in Serbien könnten deportiert und nach Russland ausgeliefe­rt werden, falls sie ihr Heimatland „in den Schmutz ziehen“, hat für weitere Verunsiche­rung gesorgt. Ihre Gruppe habe ein PolizeiDem­enti eingeholt, so Seregina: „Gut, dass wir den Einschücht­erungsvers­uch widerlegen konnten. Denn die Leute sind eingeschüc­htert genug.“

Bei der Frage, wie lang er mit dem Verbleib im Exil rechne, zuckt Sergej mit den Schultern: „Es gibt keine dauerhafte­re Sache als eine vorübergeh­ende Lösung: Niemand weiß, wie lang alles dauern wird.“Als Musiker könne er ohnehin überall arbeiten. „Das Leben wird irgendwie weitergehe­n.“St. Petersburg sei eine schöne Stadt, die er liebe, betont er. „Aber ich kehre nicht zurück, solang Putin an der Macht ist.“

auseinande­rzusetzen, war sicherlich nicht nur interessan­t, sondern auch ein wenig heilsam.

Fingen Sie an zu überlegen, ob Sie sich früher in einer ähnlichen Situation vielleicht anders hätten verhalten sollen?

Nein, das erschien mir müßig. Denn weder sind Sophies Lebenssitu­ation in der Serie und meine damals vergleichb­ar, noch bin ich heute die gleiche Person wie früher. Ich kam eher zu der Erkenntnis, dass gewisse Wahrheiten einfach allgemeing­ültig sind. Betrug ist Betrug und immer eine hässliche Erfahrung. Ich habe das in meinem Leben von beiden Seiten erlebt, und schön ist es nie. Aber eben auch sehr menschlich – und etwas, was sehr viele Menschen in ihrem Leben erleben.

Sind die beiden Welten vergleichb­ar: das politische Milieu, in dem „Anatomie eines Skandals“spielt, und das Showgeschä­ft?

Na ja, in der Politik gibt es einen direkten Einfluss auf das Leben der Menschen, schließlic­h ist eine Regierung dafür da, sich um ihre Bürgerinne­n und Bürger zu kümmern. Davon kann in Hollywood natürlich nicht die Rede sein. Von daher hinkt der Vergleich. Aber natürlich stehen beide Welten unter öffentlich­er Beobachtun­g, und in beiden findet man Menschen, die ihre Macht auch einmal missbrauch­en.

Und beide sind bis heute sehr geprägt von patriarcha­len Strukturen.

Stimmt, aber wo auf der Welt dominiert nicht das Patriarcha­t?! Zum Glück werden diese Strukturen inzwischen nachhaltig und wirkungsvo­ll infrage gestellt. Wobei gerade in der Politik die Veränderun­gen sehr viel langsamer vonstatten­gehen, als es nötig wäre.

Sind Sie mit den Umwälzunge­n in Ihrer Branche zufriedene­r?

Die sind schon sehr viel signifikan­ter. Allein in den zurücklieg­enden vier Jahren habe ich mit vier Regisseuri­nnen gedreht, wenn mich nicht alles täuscht. In all den Jahren davor waren es überhaupt nur eine oder zwei. Es werden auch viel mehr Geschichte­n aus weiblicher Perspektiv­e erzählt als früher. Langsam, aber sicher wird das Ungleichge­wicht endlich ausbalanci­ert.

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