Moskau an der Donau
Putin-müde Russen siedeln sich in Belgrad an. Dort steigen die Immobilienpreise und warten serbische Putin-Fans.
Ein Polizeikordon schützt vor dem Cafe´ Russischer Zar in Belgrad die Mahnwache der Kriegsgegner. „Stoppt den Krieg in der Ukraine!“, „Putin = Kriegsverbrecher“, „Stoppt die Okkupation der Ukraine“lauten die serbischen, russischen und ukrainischen Aufschriften auf den schwarzen Protestplakaten: Neben den Friedensaktivistinnen der Belgrader „Frauen in Schwarz“sind es vor allem russische Immigranten, die in Serbiens russophiler Hauptstadt gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße gehen.
Es sei „interessant“, dass just Russen „an der Front“von Serbiens eher schwachen Antikriegsprotesten stünden, sagt Sasa Seregina, die aus dem südrussischen Samara stammende Mitbegründerin der Gruppe „Russen, Ukrainer, Weißrussen und Serben gemeinsam gegen den Krieg“: „Wir trafen uns am Tag des Kriegsausbruchs bei einem spontanen Protest vor der russischen Botschaft“, sagt sie.
Kurz nach Kriegsausbruch hatte der Musiker Sergej (Name geändert) im rund 1800 Kilometer von Belgrad entfernten St. Petersburg seinen Job in einem Orchester verloren: „Ich wurde gefeuert, weil ich mich gegenüber Kollegen kritisch über den Krieg geäußert hatte.“Die Familie seiner Mutter stamme aus Lwiw (Lemberg) in der Ukraine, die seiner Frau aus Odessa, sagt der Cellist: „Wir wollten schon nach der Annexion der Krim 2014 aus Russland emigrieren. Der Ukraine-Krieg war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“
Eigentlich will Sergej nach Wien. Doch nicht nur, weil ihm Belgrad von einem früheren Gastspiel her vertraut ist, hat er wie Tausende seiner Landsleute vorläufig die serbische Donaustadt angesteuert. Russen benötigen für Serbien kein Visum. Da der zwischen Ost und West lavierende EUAnwärter die EU-Sanktionen nicht mitträgt, fliegt Air Serbia als eine der wenigen europäischen Fluglinien Moskau und Petersburg weiter an.
Exodus der Qualifizierten. Wie das Istanbul, Eriwan und Tiflis ist Belgrad seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs zu einem beliebten Auswanderungsziel oft hoch qualifizierter Russen geworden. Über 300 Firmen, vor allem im IT-Sektor, haben schon ihren Sitz von Russland, aber auch aus der Ukraine nach Serbien verlegt. Weitere dürften folgen. „Viele Russen eröffnen ein Konto bei uns“, berichtet in der Filiale der Raiffeisenbank am Befreiungsboulevard eine Angestellte. Tatsächlich ist Russisch im Zentrum des neuen „Moskau an der Donau“immer öfter zu hören. In manchen Medien sei von 20.000 bis 30.000 Neuankömmlingen die Rede, sagt die seit 2010 in Belgrad lebende Seregina: „Offizielle Angaben gibt es nicht.“Ein ihr bekannter Physiker in Moskau habe nach Tiflis emigrieren wollen, doch nun habe er Angst, dass sich in Georgien das ukrainische Szenario wiederholen könnte: „Er plant jetzt die Übersiedlung nach Belgrad.“
Nach der Oktoberrevolution 1917 hatten Tausende russische Künstler, Architekten, Geschäftsleute und Wissenschaftler, die in den 1920ern nach Belgrad emigrierten, damals Hauptstadt des Königreichs Jugoslawien, der Stadt und dem Land einen Entwicklungssprung beschert. Auf einen ähnlichen Effekt durch die meist zur (gehobenen) Mittelklasse zählenden Emigranten hofft heute Seregina.
Immobilienpreise jagen hoch. Doch es gebe auch negative Folgen: „Es wurde in Belgrad noch schwerer, eine leistbare Wohnung zu finden.“Die Nachfrage der relativ begüterten Russen treibt die Preise auf dem ohnehin überhitzten Immobilienmarkt weiter in die Höhe. Ana, eine Steuerberaterin, klagt: „Ich fürchte, dass sich Leute
Musiker aus Russland im Belgrader Exil
mit normalem Einkommen hier bald keine Wohnung leisten können.“
„Okkupieren die Russen Belgrad und Novi Sad?“, fragt die Zeitung „Blic“: „Sie kaufen Wohnungen und Wochenendhäuser und scheren sich nicht um den Preis.“Dennoch stoßen sie im russophilen Serbien im Gegensatz zu Zielen in Westeuropa kaum auf Vorbehalte und haben sich auch nicht für den von ihnen meist abgelehnten Krieg zu rechtfertigen. Aber ihnen macht etwas anderes zu schaffen: In Belgrad treffen russische Putin-Flüchtlinge auf lokale Putin-Fans.
Zwar sei er erleichtert, dass er in Serbien offen über den Krieg sprechen und dagegen demonstrieren könne, sagt Sergej: „In St. Petersburg hat die Polizei unsere Demos auseinandergeprügelt und die Leute verhaftet.“Andererseits sei er schockiert, dass hier an Souvenirständen Putin-T-Shirts verkauft und willig getragen würden: „Viele hier haben wegen der Nato-Bombardierung im KosovoKrieg eine vereinfachte, absurde Sicht des Ukraine-Kriegs. Für sie ist der Feind des Feindes ein Freund. Sie unterstützen Putin als Gegner der Nato und seinen Krieg in der Ukraine als Konterattacke gegen die Nato.“
» Viele hier haben wegen der NatoAngriffe im Kosovo-Krieg eine vereinfachte, absurde Sicht des UkraineKriegs. Für sie ist der Feind des Feindes ein Freund, sie unterstützen Putin als Gegner der Nato. « SERGEJ »Sie kaufen Wohnungen und Ferienhäuser und scheren sich nicht um den Preis.«
Nicht nur im Westen haben die Solidaritätsdemonstrationen rechtsextremer Gruppen mit Russland und Wandgemälde zu Ehren Putins in Belgrad für Befremden gesorgt. Sie lebe seit 2010 hier, und die serbische Sicht der russischen Politik sei ihr bekannt gewesen, sagt die Architektin Seregina: „Aber mir war nicht klar, wie groß und wie tief verwurzelt die Zustimmung zu Putins Politik ist.“
Serbiens Umgang mit der eigenen Kriegsvergangenheit der 1990er sei von wenig Reflexion geprägt, so Seregina, Moskaus Propaganda in Serbien aber stark und dominant: „Die Leute sehen daher nicht, was nun in der Ukraine und Russland eigentlich passiert. Es geht nicht um Krieg zwischen zwei Staaten. Die Ukraine kämpft für die Freiheit ganz Europas.“
Wichtig ist vor allem das Praktische. Auf Facebook- und Telegram-Sites wie „Serbia in my mind“tauschen sich russische Neobelgrader jedoch weniger über den Krieg oder Putin, sondern vielmehr über Alltagsfragen wie Behördengänge, Eröffnung von Bankkonten, Schulen, Sportklubs für die Kinder, Ausflugsziele und Lokale aus. Das Gros ihrer Landsleute, die nun kommen, sei gegen den Krieg, ist sich Seregina sicher: „Aber sie sind in einem neuen Land und hier noch ein wenig verloren. Sie wissen nicht, was in Serbien politisch eigentlich passiert, und ob und welche Folgen es hat, wenn man seine Meinung sagt.“
Die in Facebook-Gruppen lancierte Falschmeldung, Russen in Serbien könnten deportiert und nach Russland ausgeliefert werden, falls sie ihr Heimatland „in den Schmutz ziehen“, hat für weitere Verunsicherung gesorgt. Ihre Gruppe habe ein PolizeiDementi eingeholt, so Seregina: „Gut, dass wir den Einschüchterungsversuch widerlegen konnten. Denn die Leute sind eingeschüchtert genug.“
Bei der Frage, wie lang er mit dem Verbleib im Exil rechne, zuckt Sergej mit den Schultern: „Es gibt keine dauerhaftere Sache als eine vorübergehende Lösung: Niemand weiß, wie lang alles dauern wird.“Als Musiker könne er ohnehin überall arbeiten. „Das Leben wird irgendwie weitergehen.“St. Petersburg sei eine schöne Stadt, die er liebe, betont er. „Aber ich kehre nicht zurück, solang Putin an der Macht ist.“
auseinanderzusetzen, war sicherlich nicht nur interessant, sondern auch ein wenig heilsam.
Fingen Sie an zu überlegen, ob Sie sich früher in einer ähnlichen Situation vielleicht anders hätten verhalten sollen?
Nein, das erschien mir müßig. Denn weder sind Sophies Lebenssituation in der Serie und meine damals vergleichbar, noch bin ich heute die gleiche Person wie früher. Ich kam eher zu der Erkenntnis, dass gewisse Wahrheiten einfach allgemeingültig sind. Betrug ist Betrug und immer eine hässliche Erfahrung. Ich habe das in meinem Leben von beiden Seiten erlebt, und schön ist es nie. Aber eben auch sehr menschlich – und etwas, was sehr viele Menschen in ihrem Leben erleben.
Sind die beiden Welten vergleichbar: das politische Milieu, in dem „Anatomie eines Skandals“spielt, und das Showgeschäft?
Na ja, in der Politik gibt es einen direkten Einfluss auf das Leben der Menschen, schließlich ist eine Regierung dafür da, sich um ihre Bürgerinnen und Bürger zu kümmern. Davon kann in Hollywood natürlich nicht die Rede sein. Von daher hinkt der Vergleich. Aber natürlich stehen beide Welten unter öffentlicher Beobachtung, und in beiden findet man Menschen, die ihre Macht auch einmal missbrauchen.
Und beide sind bis heute sehr geprägt von patriarchalen Strukturen.
Stimmt, aber wo auf der Welt dominiert nicht das Patriarchat?! Zum Glück werden diese Strukturen inzwischen nachhaltig und wirkungsvoll infrage gestellt. Wobei gerade in der Politik die Veränderungen sehr viel langsamer vonstattengehen, als es nötig wäre.
Sind Sie mit den Umwälzungen in Ihrer Branche zufriedener?
Die sind schon sehr viel signifikanter. Allein in den zurückliegenden vier Jahren habe ich mit vier Regisseurinnen gedreht, wenn mich nicht alles täuscht. In all den Jahren davor waren es überhaupt nur eine oder zwei. Es werden auch viel mehr Geschichten aus weiblicher Perspektive erzählt als früher. Langsam, aber sicher wird das Ungleichgewicht endlich ausbalanciert.