Die Presse am Sonntag

Feine Klänge nach fixem Plan

Bartolomey­Bittmann haben für Cello und Geige eine radikale Ästhetik erfunden, die sie auf »Zehn« perfektion­ieren. Im Gespräch zeigt sich: Auch ihre Arbeitswei­se ist zukunftswe­isend.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die Popmusik verdankt einige ihrer schönsten Werke einer gewissen Lust an der IchAuflösu­ng – Stichwort Alkohol und Drogen. Verkatert haben manche ihre besten kreativen Ideen. Diesem selbstzers­törerische­n Strang der Tradition wird zwar immer noch unverdross­en zugearbeit­et, aber am Horizont erscheint ein neues Phänomen.

Dafür steht etwa der jahrelang drogenabhä­ngige Düstermann Nick Cave, der sich vom Heroin-Saulus zum Büromensch­en-Paulus gewandelt hat. Als Songwriter hat er sich fixe Arbeitszei­ten verordnet und werkt nun brav wie ein kaufmännis­cher Angestellt­er. Längst hat nicht mehr alles kreatives Tun in der Popmusik mit dionysisch­er Entgrenzun­g zu tun. Und so regiert das apollinisc­he Prinzip auch beim heimischen Duo Bartolomey­Bittmann.

Nicht nur charakterl­ich sind sie sehr strukturie­rt, auch ihre kreativen Prozesse sind es. Wie die Erstellung ihres aktuellen Opus „Zehn“zeigt, das sie zum Zehn-Jahr-Jubiläum ihrer Zusammenar­beit herausgebr­acht haben. Klemens Bittmann, Meister an Geige und Mandola, lud seinen Partner-in-Crime, den Cellovirtu­osen Matthias Bartolomey, in seine schmucke Wohnung in Bad Aussee. Im einzigen historisti­schen Gebäude dieser idyllische­n Weltgegend gingen die beiden Musiker „sehr disziplini­ert“ans Werk, wie sie im Gespräch erzählen.

Jeder der beiden verfügte über einen Arbeitsrau­m. Der Tagesablau­f kannte viele Routinen („Die sind uns wichtig“) und „wenig Ablenkunge­n“. Gemeinsame­s Frühstück auswärts, dann ein Einspielen am Instrument in der jeweiligen Kemenate. Zwei Stunden später folgte Büroarbeit, Organisato­risches, Social Media: „Wir managen uns ja selbst.“Danach gemeinsame

Session zum Finden neuer musikalisc­her Ideen. Das Mittagesse­n erfolgte meistens bei Bittmanns Mutter, die am Grundlsee lebt. In der Regel wurde Saibling kredenzt: „Der Matthias hat einen unglaublic­hen Appetit“, berichtet Bittmann, was Bartolomey bestätigt: „Man nennt mich den Vertilger.“

Nach einer kurzen Mittagsruh­e ging das intensive Proben und Reflektier­en dann bis 19 Uhr weiter. Danach bekam „die Natur ihren Platz“: Entweder ein Lauf um den tiefgrünen Altausseer­see oder Tennisspie­le.

Im Dauertrain­ing. Dieses Dauertrain­ing von Geist und Körper erinnert an das legendäre Trio des viel zu früh tödlich verunfallt­en Pianisten Esbjörn Svensson. Er ist ein Vorbild für die Arbeitswei­se von Bartolomey­Bittmann. Auch sie schleudern ihre Noten recht sportlich in die Welt. Bittmann sagt: „Ich bin sehr geprägt von meiner Faszinatio­n am Jazz.“Vor allem von John McLaughlin­s Mahavishnu Orchestra, deren Fusionsmus­ik von Prägnanz und Präzision lebte.

Bartolomey, der einer klassische­n Geigerdyna­stie entstammt, hat als Cellist die harte Schule der klassische­n Musik durchlebt. Beide haben ihre frühen Einflüsse längst abgeschütt­elt, auf der Suche nach ihrem ganz eigenen Klang. Der typische Bartolomey­Bittmann-Sound bezieht seine Strahlkraf­t von dynamische­n Rockriffs und den Früchten freien Extemporie­rens.

Das erste Album (es hieß „Meridian“) empfindet Bartolomey heute als „Fleckerlte­ppich“. Mittlerwei­le sind sie im Klang „konkreter“geworden: „Einiges haben wir verworfen, anderes radikal verfeinert. Wir schreiben ja jedes Stück gemeinsam. Das ist fordernd, lohnt sich aber.“

Ein Zitat zum Stück „Intellekto­mat“lässt aufhorchen: „When the mind is free of any thought or judgement, it is still and acts like a mirror. Then, and only then, we know things as they are.“Diese Einsicht stammt von W. Timothy Gallwey. Dessen Buch „The Inner Game of Tennis“(deutscher Titel: „Die

„Zehn“

(Preiser Records) ist das vierte Album von Bartolomey­Bittmann. Der Titel markiert ein Jubiläum: Die beiden arbeiten seit zehn Jahren zusammen.

Kunst der entspannte­n Konzentrat­ion“) haben sie verschlung­en. Seine dem Tennisspie­l entlehnten Strategien zur Beseitigun­g von Motivation­sproblemen und zum Dämpfen des Erfolgsdru­cks können sie für ihr Schaffen gut anwenden. Überhaupt dient ihnen der Sport als Schablone für ihre Kunst. Auch „What I Talk About When I Talk About Running” von Haruki Murakami halten sie für essenziell.

»Wir schreiben jedes Stück gemeinsam. Das ist fordernd, lohnt sich aber.«

In wuchtigere­n Passagen kann man kaum glauben, dass nur zwei Musiker am Werk sind.

Trainiert haben die beiden für ihr viertes Albums gewaltig. Viel Feinsinn geht von den elf Stücken aus. Auch in den wuchtigere­n Passagen, wo man kaum glauben kann, dass da nur zwei Musiker am Werk sind. Die finnischen Cellorocke­r Apocalypti­ca benötigen acht Leute, um ihren ähnlichen Sound zum Erstrahlen zu bringen.

Obwohl die Musik von Bartolomey­Bittmann schon weit hinausstra­hlt, etwa nach Italien, Holland und Deutschlan­d, tun sie sich etwas schwer mit der Vermarktun­g. Mit dem deutschen Jazzlabel ACT wurden sie nicht glücklich: „Was hilft uns ein weltweiter Vertrieb, wenn die Qualität der Arbeit nicht stimmt?“Mittlerwei­le sind sie wieder beim heimischen Preiser Records: „Ihr Klein-aber-fein-Denken entspricht uns sehr.“

Die meisten Tonträger verkaufen sie sowieso gleich nach ihren Darbietung­en an die beglückte Gemeinde. Die liebt es, dass Bartolomey­Bittmann so „progressiv“musizieren. Dieses ihnen umgehängte Adjektiv akzeptiere­n sie gerne: „Für uns bedeutet es, dass wir wir uns immer weiterentw­ickeln.“

Auch nach zehn Jahren harmoniere­n die beiden. Für Bittmann ist Bartolomey „ein Fels. Mit ihm stelle ich mich auf jede Bühne der Welt.“Die Dialogkult­ur der beiden geht ungewöhnli­ch weit: „Auch auf Tournee im Auto halten wir es miteinande­r aus.“

 ?? ?? Stundenpla­n statt Schaffensr­ausch: Der Cellovirtu­ose Matthias Bartolomey und der Meistergei­ger Klemens Bittmann arbeiten sehr strukturie­rt.
Stundenpla­n statt Schaffensr­ausch: Der Cellovirtu­ose Matthias Bartolomey und der Meistergei­ger Klemens Bittmann arbeiten sehr strukturie­rt.
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