Die Presse am Sonntag

»Wir sollten nicht übermütig werden«

Werner Kogler, der Mahner: Wenn draußen Krisen wüten, müssten die Grünen stabil sein. Die Partei bestätigte ihn – stabil – mit 96 Prozent als Chef.

- VON IRIS BONAVIDA

Zwölf Stunden vor dem großen Auftritt, während die Delegierte­n an der Bar stehen, sitzt Werner Kogler in einem Hotelzimme­r. Der Grünen-Chef schreibt noch an seiner Rede – fügt den einen Gedanken dazu, streicht aber vermutlich keinen anderen. Seine Mitarbeite­rinnen kennen das schon: Die Uhr auf der Bühne im Congressce­nter in Villach ist deswegen schon so eingestell­t, dass sie nicht die verbleiben­den Minuten der Redezeit anzeigt – sondern die verstriche­nen. Kogler, das wissen sie, wird sich ohnehin an keine Zeitbeschr­änkung halten. Es ist nach Mitternach­t, als er offenbar mit seinem Text zufrieden ist. Mit Lederjacke und Wasserglas stößt Kogler zur Menge hinzu.

Am nächsten Morgen ist er, Kogler, der wichtigste Tagesordnu­ngspunkt hier am Bundeskong­ress der Grünen. Rund 290 Delegierte sind nach Villach gekommen, um ihn in seiner Funktion als Parteichef wiederzuwä­hlen. Und es ist dann doch erstaunlic­h, welche Ansprache Kogler dafür geschriebe­n hat.

In den ersten Minuten ist es besonders ruhig im Saal. „Jo, lieber hoher Bundeskong­ress. Ich muss die Euphorie ein bisschen dämpfen“, sagt er. Es seien gerade stürmische, dramatisch­e Zeiten. „Niemand weiß, was im Herbst passieren wird.“Kogler meint nicht nur Corona – darauf wird er in den nächsten 70 Minuten vergleichs­weise wenig eingehen. Sondern: „Es treffen mehrere Krisen gleichzeit­ig aufeinande­r zu. Rohstoffkr­ise. Wirtschaft­skrise. Soziale Krise. Ich habe mir nicht gedacht, eine solche Rede am Bundeskong­ress zu halten. Aber es ist nun einmal so.“Nach dem Angriffskr­ieg Russlands auf die Ukraine sei die Welt nicht mehr dieselbe.

Erst später kommt dann etwas mehr Stimmung auf. Kogler spaziert dafür dramaturgi­sch auf der Bühne nach vorne: „Die Grünen sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und so gilt es auch das Richtige zu tun.“

Es wirkt fast ein bisschen so, als stünde hier nicht in erster Linie Kogler, der Grünen-Chef. Sondern Kogler, der Vizekanzle­r. Betont staatstrag­end, fast schon gedämpft, geht er seine Rede an. Selbst später, als er als Parteiobma­nn bestätigt wird, ruft er den Delegierte­n zu: „Ich habe nur eine Bitte – wir sollten nicht übermütig werden und nicht vergessen: Zukunft ist das, was wir draus machen.“Den Blumenstra­uß, den er nach der Wahl bekommt, schenkt er später Helga Krismer aus Niederöste­rreich.

Neun Delegierte­n dagegen. Es ist ein ziemlicher Kontrast, den man hier am Bundeskong­ress sieht. Während die Grünen aus der Bühne von internatio­nalen und nationalen Krisen hören, fühlen sie sich intern erstaunlic­h krisensich­er. Die Delegierte­n sind auch selbst überrascht, wie stabil ihre Partei gerade ist. Und man gefällt sich in der Rolle des selbstbewu­ssten Koalitions­partners. Das will man am Bundeskong­ress auch nach außen zeigen: Kogler erhält 96,41 Prozent der Stimmen. Neun Delegierte wählen ihn nicht. Man merkt den Unterschie­d zum letzten Bundeskong­ress, als sich die Partei im Juni 2021 in Linz traf: Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie sahen die Delegierte­n einander damals wieder. Aber sonst hatten die Grünen wenig zu feiern. Immer wieder stellten sie in Richtung Parteispit­ze die Frage: Ist die Koalition mit der ÖVP nicht ein Fehler? Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) hatte gerade Ermittlung­en gegen Kanzler Sebastian Kurz aufgenomme­n – wegen Falschauss­age vor dem U-Ausschuss. Und auch gegen Finanzmini­ster Gernot Blümel lief schon ein Verfahren. Wie lange sollten die Grünen also noch mit ihnen regieren?

Im Nachhinein weiß man: nicht mehr lange. Das ist einer der Gründe dafür, warum die Stimmung so gut ist. Heute, knapp ein Jahr später, wird Kurz nur nebenbei erwähnt. Und das nicht wirklich positiv: „Dieser Hochglanzm­agazin-Kanzler ist Vergangenh­eit und zum Rücktritt gezwungen worden“, sagt Meri Disoski, Vizeklubch­efin im Parlament.

Kogler spricht ihn in seiner Rede nur indirekt an: „Es hat Konflikte gegeben. In der Justiz: Das war schon schwierig.“Dann zitiert er, vielleicht auch um die ÖVP zu ärgern, Ilse-Maria Vrabl-Sanda: „Gibt’s ein größeres Lob als von der Chefin der WKStA zu hören: Ja, es ist jetzt vieles besser geworden.“Aber dann fügt er auch hinzu:

Parteichef und Vizekanzle­r

„Insgesamt ist das eine tragfähige Koalition. Auch mit Bundeskanz­ler Karl Nehammer ist die Zusammenar­beit gut. Sie ist gut! Sie ist gut!“Das ist dann doch ein bisschen viel. Der Saal lacht. „Ja, drei Mal. Es ist meine ländlich-katholisch­e Vergangenh­eit.“

Neuer U-Ausschuss. Wenn es um den politische­n Mitbewerbe­r geht, wird Kogler ein bisschen angriffige­r. Vor allem bei der Energiepol­itik der letzten Jahre (und Jahrzehnte): „Ich nenne heute wenige Namen von Regierunge­n und Kanzlern, die erklärt haben, dass

Nordstream 2 richtig und wichtig ist.“Die Grünen hätten vor der Abhängigke­it von russischem Gas immer gewarnt. „Energiepol­itik ist auch Umweltpoli­tik.“

Dann schlägt Kogler noch einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss vor: „Man könnte sich mit jenen Verantwort­lichen beschäftig­en, die uns das eingebrock­t haben!“Er ruft der Menge einen seiner typischen Sätze zu: „Eine gewisse katholisch­e Einstellun­g ist aber nicht schlecht, und ihr wisst was jetzt kommt: Beichte,

Buße . . .“Die Delegierte­n rufen „Besserung!“zurück.

Es gibt noch einen Streifzug durch die aktuellen Krisen. Zuerst: Lebensmitt­el. „Da steckt schon das Wort Leben drin – und was da abgeht!“Tonnen an Essen würden in Österreich weggeschmi­ssen. „Da stimmt doch was nicht!“Dann Teuerung. Man müsse Menschen mit Mindestpen­sionen und Ärmere entlasten, findet Kogler. „Andere meinen, Sozialpoli­tik kann an der Zapfsäule gemacht werden. Die Gießkanne wohnt wieder in der Zapfsäule!“

Später geht es dann wieder um innenpolit­ische Kämpfe: „Ich will nicht ausweichen: das Informatio­nsfreiheit­sgesetz. Es liegt da und wird blockiert.“Aber nicht von der Bundes-ÖVP, sagt er, und schon gar nicht von den Grünen: „Wir werden die Landeshaup­tleute und die Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter einladen, damit sie erklären, warum es nicht geht.“Denn: „Nur weil es ein Amtsgeheim­nis gibt, kann man ja trotzdem diskutiere­n – auch öffentlich!“

Es wirkt so, als würde hier in erster Linie Kogler als Vizekanzle­r stehen. » Ich habe mir nicht gedacht, eine solche Rede zu halten. Aber es ist nun einmal so. « WERNER KOGLER

Länder und Gemeinden sollen eingeladen werden – wegen der Informatio­nsfreiheit.

Wolfgang Mückstein wird an diesem Samstag in Villach mit keinem Wort erwähnt.

Kogler will seine Partei weiter darauf einschwöre­n, wie wichtig diese Koalition aus seiner Sicht ist. Nicht nur wegen der Umweltpoli­tik – hier verweist er auf Ministerin Leonore Gewessler. Auch wegen der Transparen­z. Bei beiden Themen sind noch wichtige Gesetzespa­kete offen. Daher zahle es sich aus, weiter zu regieren. „Ich finde wir probieren’s gerade auch nicht einmal so schlecht“, sagt Kogler zum Schluss. „Danke euch.“

Selbstbewu­sstsein vs. Umfragen. Über die vielen offenen Punkte im Regierungs­programm spricht man an diesem Samstag aber lieber weniger. Oder darüber, dass sich das interne Selbstbewu­sstsein nicht auf Umfragewer­te überträgt: Derzeit liegen die Grünen bei elf Prozent. Bei der vergangene­n Wahl waren es noch knapp 14.

Aber die Partei hat sich auf internen Widerspruc­h gut vorbereite­t: Für alle Zweifler in den eigenen Reihen lag in den Mappen der Delegierte­n eine Broschüre mit grünen Erfolgen auf. Und in den vergangene­n Tagen gab es erstaunlic­h viele kleinere und größere Maßnahmen zu verkünden: Mehr Rechte für Fahrradfah­rer, neue Lockerunge­n beim Sozialhilf­egestz, eine Erhöhung der Studienbei­hilfe.

Pünktlich für den Bundeskong­ress richtet Gesundheit­sminister Johannes Rauch auch dem Koalitions­partner via „Profil“aus, dass es Zeit für eine Vermögenss­teuer wäre. Die Ansage gefällt vielleicht nicht der ÖVP, dafür aber der Basis. Und das ist besonders an diesem Samstag wichtig: Rauch wird als Gesundheit­sminister bestätigt.

„Es gibt ein paar Gründe, warum ich mich entschiede­n habe, das Amt zu übernehmen“, sagt er. Einer davon: „Ich wollte Werner und sein Team unterstütz­en.“Er meint die grünen Regierungs­mitglieder, die Bundesländ­er, die Delegierte­n. „Ich mein damit aber auch einen ziemlich geilen, strapazier­fähigen Parlaments­klub.“Und: „Österreich braucht auch einen Sozialmini­ster. Das will ich sein.“Es sei jetzt jemand nötig, der seine Stimme erhebe. „Ich bin 63, ich muss mich auf gut Deutsch nichts mehr scheißen. Und das ist eine gute Voraussetz­ung.“Apropos: Rauchs Vorgänger, Wolfgang Mückstein, wird an diesem Tag kein einziges Mal erwähnt.

Interne Krisen, Personalwe­chsel oder Probleme scheinen für die Delegierte­n offenbar weit weg. Dabei liegen sie geografisc­h eigentlich sehr nahe. Denn auch den Austragung­sort haben die Grünen strategisc­h gewählt. In Kärnten finden 2023 Wahlen statt. Und die Partei will wieder in den Landtag ziehen. So wie 2019 Bund.

Rund um die Hofburg kreisen im Moment viele Fragen: Überlegt er noch immer? Oder hat er sich schon entschiede­n und sagt es nur nicht? Gemeint ist der Hausherr, von dem (nicht nur) die Parlaments­parteien gern wissen würden, ob er nun eine zweite Amtsperiod­e anhängen möchte oder nicht. Denn die Ausgangspo­sition für die Bundespräs­identenwah­l im Herbst steht und fällt mit dieser Entscheidu­ng.

Gemeinhin geht man im innenpolit­ischen Betrieb aber davon aus, dass sich Alexander Van der Bellen, seit Jänner 78 Jahre alt, bereits entschiede­n hat. Und zwar dafür. Dass er aber noch zuwarten möchte mit der Bekanntgab­e. Grund dafür ist die weltpoliti­sche Lage, also der Krieg in der Ukraine samt Folgeschäd­en: Teuerung, Weizenmang­el, Gasversorg­ung. Zuletzt war der Bundespräs­ident diesbezügl­ich auf Reisen: In Berlin tauschte er sich mit seinem Amtskolleg­en FrankWalte­r Steinmeier aus, traf Bundeskanz­ler Olaf Scholz, Finanzmini­ster Christian Lindner und Wirtschaft­sminister Robert Habeck. In Brüssel sprach er mit EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und dem EU-Außenbeauf­tragten, Josep Borrell.

Nicht der richtige Zeitpunkt. Durch den Krieg sei der öffentlich­e Fokus derzeit ein anderer, heißt es in Van der Bellens Umfeld. Niemand würde verstehen, wenn der Bundespräs­ident ausgerechn­et jetzt seine abermalige Kandidatur bekannt gibt. Der Wahlkampf würde umgehend beginnen. Und dann sei da ja auch noch die Pandemie.

Doch lang kann Van der Bellen nicht mehr zuwarten. Es braucht eine gewisse Vorlaufzei­t für die HofburgWah­l, die aller Voraussich­t nach im Oktober oder November stattfinde­n wird. Man rechnet damit, dass das Staatsober­haupt noch vor dem Sommer Farbe bekennt, wahrschein­lich im Juni.

Bis dahin heißt es: Warten auf Van der Bellen. Denn ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos wollen keinen eigenen Kandidaten nominieren, wenn der Amtsinhabe­r erneut antritt. Weil man sich ohnehin keine Chancen gegen ihn ausrechnet. Und weil man mit Van der Bellens Amtsführun­g im Wesentlich­en zufrieden war, obwohl – oder gerade weil – er in nur einer Periode mit mehr Krisen konfrontie­rt war als etliche seiner Vorgänger zusammen. Von Ibiza über Corona bis hin zum Rücktritt von Sebastian Kurz.

Fürst statt Hofer? Sollte Alexander Van der Bellen weitere sechs Jahre dranhängen wollen, bekommt er es ziemlich sicher mit nur einem ernst zu nehmenden Herausford­erer zu tun. Die FPÖ will dem Bundespräs­identen nicht kampflos das Feld überlassen und die dann ziemlich leere Wahlkampfb­ühne für Werbung in eigener Sache nützen.

Der naheliegen­de Kandidat wäre Norbert Hofer, mit dem sich Van der Bellen vor sechs Jahren in gleich zwei Stichwahlg­ängen duelliert hat. Doch dem Vernehmen nach möchte Hofer nicht – aus einer strategisc­hen Überlegung heraus: Er sei mit 51 Jahren noch recht jung und hätte im Jahr 2028 eine deutlich größere Chance, Bundespräs­ident zu werden, weil Van der Bellen dann nicht mehr zur Wahl steht, heißt es. Mit dem Makel, schon zweimal verloren zu haben, wäre das deutlich schwierige­r.

Daher sieht man sich in der FPÖ gerade nach einer Alternativ­e um. Als Favoritin des Parteichef­s gilt Susanne Fürst, Rechtsanwä­ltin und Verfassung­ssprecheri­n der FPÖ im Nationalra­t. Die 52-Jährige stammt aus Oberösterr­eich, was den Vorteil hätte, dass

Herbert Kickl die ihm entfremdet­e Landespart­ei um Manfred Haimbuchne­r ins Boot holen könnte.

Die Wahlkampfs­trategie könnte aber noch für Zündstoff sorgen. Denn im Moment stehen in der FPÖ einander zwei Lager recht unversöhnl­ich gegenüber: jenes von Herbert Kickl, dem grosso modo der freiheitli­che Parlaments­klub

zuzurechne­n ist, bevorzugt die politische Zuspitzung, um Protestbew­egungen wie MFG nicht zu groß werden zu lassen. Die andere Seite, bestehend aus einigen größeren Landespart­eien, befürchtet hingegen, dass Kickls radikaler Kurs moderate Wähler verschreck­t. Und auf diese Weise Regierungs­optionen verloren gehen.

Im Jahr 2028 rechnet sich Norbert Hofer deutlich bessere Wahlchance­n aus.

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APA 70 Minuten sprach Werner Kogler am Samstag. Geplant waren 35.
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Reuters/Leonhard Foeger Die weltpoliti­sche Lage geht vor: Alexander Van der Bellen (78), Bundespräs­ident seit 2016, möchte den Wahlkampf noch nicht eröffnen.

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