Ein Text, der alles änderte
Roland Huber hat vor sechs Jahren in der »Presse am Sonntag« über ’s Fachl gelesen, bei dem Produzenten ihre Produkte in Obstkisten anbieten können. Das änderte sein Leben.
Es ist Sonntagabend, als Roland Huber schließlich doch noch zur Zeitung greift. Der Salzburger und seine Frau sind den ganzen Tag unterwegs gewesen. Die „Presse am Sonntag“liegt noch ungelesen auf dem Wohnzimmertisch. Durch sie blättert der 43-Jährige noch schnell.
Bis heute fragen sich seine Frau und er, was gewesen wäre, wenn er an jenem Jännertag vor fast genau sechs Jahren nicht mehr zur Zeitung gegriffen hätte. Wenn er ohne sie zu lesen wieder nach München geflogen wäre, wo er zu diesem Zeitpunkt gearbeitet hat. Aber das Schicksal hat es anders gewollt.
Huber bleibt bei einem Artikel auf den damals existierenden WerkstattSeiten hängen. Es ist ein Porträt über Christian Hammer und Markus Bauer und ihr Geschäft namens ’sFachl. Die Idee ist einfach wie attraktiv. Die beiden hatten alte Obstkisten genommen, um sie als Verkaufsfläche für Kleinstproduzenten und Kreativbetriebe anzubieten.
Die Obstkisten sind damit kleine Geschäfte in einem realen Geschäft. Die Idee kann man mit einem der Kreativund Designmärkte vergleichen, die es in Wien immer wieder, aber eben nicht täglich, gibt. Produzenten von Taschen, selbst gebrannten Schnäpsen, Chutneys, Deos, Nackenrollen – wer will, kann sich ein „Fachl“für mindestens fünf Wochen mieten. Die Miete und zehn Prozent des Verkaufspreises bleiben beim ’s-Fachl-Betreiber, 90 Prozent beim Hersteller.
Roland Huber ist wie elektrisiert und zeigt den Artikel sofort seiner Frau. Die Idee fasziniert ihn. „Kleine Manufakturen wieder sichtbar machen. Denen eine Chance, eine Plattform geben. Ich habe sofort Bilder dazu im Kopf gehabt.“Er reißt den Artikel aus der Zeitung und steckt ihn in die Tasche. Tagelang trägt er ihn mit sich, bis er schließlich Christian Hammer anruft. Zwei Wochen später trifft er ihn in Wien. „Ich möchte dieses Konzept nach Salzburg bringen“, sagt er.
Roland Huber ist zu diesem Zeitpunkt niemand, der in die Kreativszene passt. Er arbeitet für einen Großkonzern in Deutschland, baut dort neue Geschäftsfelder, den Vertrieb auf. Er bekommt viel Geld, aber sein Arbeitsziel lautet „maximale Gewinnorientierung“.
Das will er nicht mehr. Er fühlt sich im Hamsterrad und ist nicht mehr glücklich. Er spürt, es ist Zeit für Neues.
Ein Risiko. Er bespricht mit seiner Frau ungefähr „123-mal die Idee“, sie gehen die Vorteile, die Nachteile durch. Aber eigentlich stehen die Chancen gut. Die drei Töchter sind aus dem Gröbsten heraus. Es gibt wenig finanzielle Verbindlichkeiten. Auch wenn der Umstieg deutlich weniger Geld bedeutet und ein Risiko. „Salzburg funktioniert anders als Wien. Die Stadt ist viel konservativer.“Aber genau das reizt ihn.
Ganz glauben will ihm sein Umfeld zuerst nicht. Er erinnert sich noch daran, als er seinem besten Freund das erste Mal davon erzählt: „Ich hab ihm gesagt: ,Ich steig aus.‘“Daraufhin sagt er: „Du spinnst.“Aber Huber hat schon ein potenzielles Geschäftslokal für ’sFachl im Auge. Als er das seinem Freund erzählt, reagiert dieser ungläubig: „Du meinst das wirklich ernst.“
Ja. Meinte er. Und er hat seine Entscheidung nie bereut. Huber hat ’s Fachl nach Salzburg gebracht. Und das Konzept habe auch hier ab dem ersten Tag funktioniert. Das Geschäft in der Kaigasse ist heute ein fixer Anlaufpunkt für all jene, die wissen wollen, was es für Produkte von kleinen Manufakturen gibt. Alpine Haarpflege mit Edelweiß oder Fichtenöl zum Beispiel, Linoldrucke oder Nussaufstriche. Für manche Produzenten bedeutet die Miete im „Fachl“auch den Sprung in den Handel. „Zu mir kommt in Salzburg der Bioeinkauf und schaut, was es Neues gibt.“
Und vermutlich nicht nur dort. Denn die ’s-Fachl-Geschäftsidee ist mittlerweile groß geworden. Seine Leidenschaft, neue Geschäftsfelder und den Vertrieb aufzubauen, hat Huber nämlich weiter ausgelebt. Mittlerweile gibt es ’sFachl in 20 Städten mit 23 Standorten in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Und das sind nur die bereits eröffneten. Es gibt Gespräche über einen
’s-Fachl-Standort in München, in Paderborn und in Zürich. Sogar Anfragen für Frankreich gibt es. Das Geschäft in Klagenfurt hat der Betreiber eben erst eröffnet. Aktuell verwalten die ’s-FachlMeister die Produkte von 5000 Kleinproduzenten in 6000 Obstkisten.
Die Expansion funktioniert nach einem Franchise-Prinzip. Huber hat es aufgebaut und ist dafür zuständig. Geplant war das nicht. „Ich habe gesagt: Maximale Gewinnorientierung will ich nicht mehr. Aber dieses Konzept ist zu gut, als dass es rein organisch wachsen kann.“Anfangs hat er sich sehr gegen den Franchise-Begriff gewehrt, denn „damit wurden viele Leute früher über den Tisch gezogen“. Aber heutzutage sei „Franchise wirklich ein Fair Play“.
Die Franchise-Nehmer werden von Huber genau ausgesucht. „Man muss jemanden finden, der Berufserfahrung hat und das Konzept lebt.“Klassisch aus dem Einzelhandel kommt niemand. In Augsburg ist die Betreiberin eine ehemalige Steuerberaterin, in Graz ein Innovationsmanager, in Hamburg ein Maschinenbauer und in Recklinghausen ist es eine Sozialvereinigung, die Menschen resozialisiert. Huber ist stolz auf die Gruppe. „Da sind ganz tolle Expertisen, die wir hier integrieren.“
Huber ist das Bindeglied, das schaut, dass alle in Kontakt sind. Das Entscheidende für jeden Betreiber ist es, den richtigen Mix zu finden. Zu viel von einer Produktart ist schlecht. Auch die Qualität der Produkte muss stimmen: Ramsch sollen sie nicht sein. Einige der Produkte sind mittlerweile in jedem Geschäft zu finden, wie das Handtuch-Label LeStoff. Manche Produkte gibt es nur an zwei, drei Standorten, viele nur an einzelnen. Durch die Möglichkeit, sehr kurz zu mieten, wechselt das Sortiment regelmäßig.
So auch in der Wiener Alser Straße, wo die ehemalige Kindergartenpädagogin Sarah Lehner das Geschäft führt. Es ist voll mit schön gestalteten Produkten: festes Shampoo, Gins, Kartoffelsackerln etc. Roland Huber steht stolz da und grinst. Den Zeitungsartikel von damals hat er wieder in der Tasche. Als er geht, kontrolliert er extra, ob er ihn auch wirklich dabeihat. „Den darf ich nicht verlieren“, sagt er. Immerhin hat er sein Leben verändert.
»Zu mir kommt in Salzburg der Bioeinkauf und schaut, was es Neues gibt.«