Das älteste Mordopfer Österre
Dirk Labudde spricht im Interview über das älteste forensische Verbrechen und was digitale Forensik mit sich bringt.
Die Archäologin Dorothea Talaa entdeckt an einem warmen Frühsommertag einen Schädel. Dahinter und halb darüber ein linker Oberschenkelschaft. Sie ist mit ihrem Team auf Grabung in der Gemeinde Wöllersdorf-Steinabrückl in Niederösterreich. Der Schädel ohne Unterkiefer liegt in einer kleinen Grube, nur 30 Zentimeter tief. Nach etlichen Untersuchungen stellt sich heraus, dass er aus dem Jahr 6735 bis 6675 v. Chr. stammt, aus der Mittelsteinzeit.
Gesichtsrekonstruktion. Der Mann, dessen Schädel gefunden wurde, war Opfer eines Mordes. „Er hatte eine typische Verletzung am Schädel, die darauf hindeutete, dass er mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen wurde. Das war erkennbar“, erzählt Dirk Labudde, Professor für Bioinformatik und digitale Forensik an der Hochschule Mittweida, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Ein rechteckiger, länglicher Abdruck nahe der linken oberen Schädelhälfte war der Beweis. Offenbar der Abdruck eines Gegenstandes, der als tödliche Waffe diente. Zahlreiche Hinweise führten schließlich zu der Erkenntnis, dass es sich um das älteste Mordopfer von Österreich handelt.
Labudde wurde in der Folge mit der Gesichtsrekonstruktion des Jahrtausende alten Mordopfers beauftragt. „Nach dem Motto: Gib den Toten ein Gesicht“, sagt der Digitalforensiker. In einem Grazer Museum wurde der Schädel schließlich digitalisiert und anhand der Schädelfragmente ein Gesicht rekonstruiert. „So kommen Wissenschaft
und Kunst zusammen“, sagt Dirk Labudde. Die knöcherne Struktur des Schädels gibt nämlich einen großen Anteil davon wieder, wie das Gesicht einmal ausgesehen hat. Das nutzt Labudde, um eine Gesichtsrekonstruktion zu erstellen. Bei diesem Prozess spielt die Anthropologie eine große Rolle.
Das Alter und das Geschlecht werden zunächst geschätzt. „Dann versucht man herauszufinden, aus welcher Zeit die Knochenfunde stammen. Über den knöchernen Schädel werden in der Folge die unterschiedlichsten Schichten digital aufgetragen und dann modelliert“, erklärt der Fachmann. Die ethnische Herkunft wird bestimmt, um die Hautfarbe und Schädelstruktur feststellen zu können, denn „jede ethnische Gruppe hat einen typischen Gesichtsschädel“.
Digitalforensik. Aber was unterscheidet die digitale Forensik von der „normalen“Forensik? „Eigentlich gar nichts. Dieser Begriff wurde eingeführt, um auf die digitalen Spuren aufmerksam zu machen“, antwortet er. All jene Daten, die sich auf digitalen Geräten befinden, – wie etwa Texte, Videos, Audiofiles, GPS-Koordinaten – können mit speziellen Werkzeugen der digitalen Forensik ausgewertet werden. Darauf können digitale Spuren von einem Verbrechen gespeichert sein. Mit diesen Spuren versuchen Spezialisten wie Dirk Labudde, Verbrechen aufzuklären. Mittels 3-D-Modellen rekonstruiert er Tatorte, simuliert Tathergänge und schafft digitale Doubles von Opfern und Tätern. Damit hilft er Ermittlern, wenn diese mit den herkömmlichen Methoden nicht mehr weiterwissen.
In seinem am Freitag erschienenen Buch beschreibt der Deutsche einige seiner Fälle: Es ist scheinbar aussichtslos. Ein Mädchen, das von einer Brücke in den Tod stürzt. Doch der Tatort