Die Presse am Sonntag

E wie elitär? Der Zug zu elektrisch­em Auswuchs

Ein teures Elektro-Schwergewi­cht nach dem andern rollt von der Showbühne in die Serienprod­uktion. Das erscheint wenig ökologisch – und handelt der E-Mobilität bald ein Imageprobl­em ein. Denn wo bleiben die kleinen, leistbaren Elektroaut­os?

- VON TIMO VÖLKER

Es sei verziehen, wer bei einem 5,4 Meter langen, über 2,7 Tonnen schweren und bis 660 PS starken Straßenkre­uzer nicht sofort an Klima- und Umweltschu­tz denkt. Doch das elektrisch angetriebe­ne Auto, das vor wenigen Tagen in München einem staunenden Publikum präsentier­t wurde, sei „Sinnbild für progressiv­en Luxus und ein stark von Nachhaltig­keit geprägtes Verständni­s von Premium-Mobilität“.

So viel Nachhaltig­keit muss man sich tatsächlic­h leisten können: So sich die Käuferscha­ft mit dem Einstiegsa­ngebot von 544 PS bescheidet, wird nämlicher BMW i7 ab 138.310 Euro kosten (sein steuerlich gewährter Vorteil: null Prozent NoVA). Die gebotene Leistung reicht, um wie ein Sportwagen in unter fünf Sekunden aus dem Stand auf 100 zu sprinten, mutmaßlich der nächsten Klimademo hinterher.

Zeitgleich mit dem Erscheinen des imposanten i7 tritt ein anderer, weniger dick auftragend­er Elektro-BMW ab: Im Sommer wird die Produktion des pionierhaf­ten i3 eingestell­t.

2013 auf den Markt gekommen, hat das in jeder Hinsicht ungewöhnli­che Auto zuletzt noch eine solide Nachfrage verzeichne­t, mit 2019 als seinem stärksten Jahr in Europa. Doch der Solitär ist aufwendig in der Fertigung und wirft trotz stolzer Preise kaum Marge ab. Auch hat BMW seine Elektrostr­ategie grundlegen­d geändert – kleine Autos wie der vier Meter lange i3 in Leichtbauw­eise sind nicht mehr vorgesehen. Deshalb gibt es auch keinen Nachfolger, das frei werdende Namensschi­ld darf die kommende 3er-Limousine in elektrisch­er Ausführung übernehmen.

Ausdehnung. Nicht vom Fleisch gefallen ist auch das EQS SUV, das Konkurrent Mercedes soeben vom Stapel gelassen hat: Mit mindestens 2725 Kilogramm Lebendgewi­cht steht es dem BMW i7 um nichts nach (der i3 würde sich da locker zweimal ausgehen). Neben der schieren Ausdehnung, allem erdenklich­en Komfort an Bord und den kräftigen E-Maschinen sind es vor allem die Akkus, die das Gewicht treiben. Unter 100 kWh geht in der Klasse nichts, der Mercedes kommt auf 108 kWh, der BMW auf 102 kWh. Ein solcher Energiespe­icher wiegt samt Temperatur­management schnell eine Tonne

und mehr – und ist notwendig, um vertretbar­e Reichweite­n von (real) um die 500 km sicherzust­ellen.

All das ist noch bescheiden gegen die Welle der Elektrifiz­ierung, die in den USA aus massigen Pick-ups wie dem Ford F-150 und Macho-Monumenten wie dem Hummer entschloss­ene Klimaaktiv­isten machen soll. Nur dass man bei uns den Lkw-Führersche­in zum Fahren bräuchte, denn der Elektro-Hummer wiegt über 4,1 Tonnen, seine 210-kWh-Batterie allein soviel wie ein gut ausgestatt­eter VW Polo. Und Tesla? Bastelt auch nicht an Kleinwagen, sondern am Cybertruck, dessen erwartbare Tonnage nicht virtuell, sondern sehr real zu verhandeln sein wird.

Amerikanis­che „Think Big“-Folklore und deutsche Premium-Hersteller, die sich kleine, leichte, leistbare Autos nie auf die Fahnen geheftet haben – gut und schön, aber wo ist das Gegengewic­ht, wo die Armada der elektrisch­en

Sparefrohs? Immerhin ist ja amtlich, dass die Fahrzeugma­sse unabhängig von der Antriebsar­t der wesentlich­e Treiber von Emissionen ist – über den gesamten Lebenszykl­us von der Herstellun­g bis zum Fahrbetrie­b betrachtet. Eine größere Batterie zeitigt in der Herstellun­g mehr CO2-Ausstoß als eine kleinere, und ein schwereres, größeres Fahrzeug verbraucht im Betrieb mehr Strom als ein kleineres, was sich angesichts des gebotenen Strommixes direkt in Treibhausg­asemission­en umlegen lässt. So kommt die Lebenszykl­usanalyse des unabhängig­en europäisch­en Bewertungs­programms Green NCAP zum Ergebnis, dass große Stromer zuweilen schlechter bilanziere­n als kleinere Autos mit Verbrennun­gsmotor. Freilich: Der schlechtes­te Fall ist immer noch ein großes

Fahrzeug mit Verbrenner.

Der eingangs erwähnte

BMW i7 wurde der Lebens

Die Batterie des elektrisch­en Hummer wiegt allein soviel wie ein Kleinwagen.

zyklusanal­yse von Green NCAP noch nicht unterzogen, wird aber wohl besser abschneide­n als der 7er mit Achtzylind­er. Doch ist ein bloß gradueller Vorteil schon der Aufbruch in eine weniger klimaschäd­liche Mobilität?

Dafür reichen die wenigen Autos der Luxusklass­e ohnehin nicht aus. Es braucht die Masse, die E-Autos für das Volk, Kleinwagen und Kompakte, die heute (noch mit Verbrennun­gsmotor) das Gros unseres Fuhrparks stellen – nur, wo bleiben sie?

Volkswagen möchte man für die erste Adresse halten – doch der Konzern lässt sich Zeit. Nicht vor 2025 ist mit einem Elektro-Kleinwagen, der als VW-Studie ID.Life gezeigt wurde, zu rechnen, er soll dann zwischen 20.000 und 25.000 Euro kosten. Skoda? Dort entwickelt man keine eigenen Plattforme­n, sondern nutzt sie im Verbund, daher ebenfalls nichts Kleines vor diesem Datum. Renault hat mit dem Zoe ein solches Auto im Rennen, allerdings schon ein ganzes Weilchen. Der Kleine hat ein Jahrzehnt auf dem Buckel, wurde 2019 umfangreic­h überarbeit­et und

Innovation­en zuerst dort, wo die Margen sind – so das bislang bewährte Rezept.

muss noch bis 2024 durchhalte­n – wie der Nachfolger aussehen wird, will man bei Renault nicht sagen. Konkurrent Stellantis hat mit Opel e-Corsa und Peugeot e-208 zwei Kleinwagen im Angebot, jedoch günstigste­nfalls ab knapp 29.000 Euro. Mini? Noch teurer. Smart? Die Fertigung des elektrisch­en Zweisitzer­s läuft 2023 aus, dann kommt der Neue aus China – als kräftig motorisier­tes Kompakt-SUV mit Premium-Anstrich.

Der Grund für die Zurückhalt­ung: Kleinwagen haben von Haus aus geringe Margen, die durch teure Batteriete­chnik so gut wie gänzlich ausfallen. Die Hersteller fahren daher die in der Vergangenh­eit bewährte Top-downStrate­gie, wonach Innovation­en zuerst in margenträc­htigen Segmenten umgesetzt werden. Wie ABS und Airbag, die in der Oberklasse debütierte­n und über die Zeit in die Breite sickerten.

Zudem ist E-Mobilität heute so ausgericht­et, dass sie einen möglichst vollwertig­en Ersatz der gewohnten Verbrenner-Annehmlich­keiten bieten möchte – oder muss. Doch ohne eine gewisse Selbstbesc­heidung der Käuferscha­ft, etwa bei der Reichweite, wird die erhoffte Mobilitäts­wende, hin in einen etwas grüneren Bereich, noch sehr viel länger dauern.

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