Die Presse am Sonntag

Das Red-Bull-Bekenntnis

Die Bestellung Ralf Rangnicks als Teamchef ist ein deutliches Signal, wie das Nationalte­am in Zukunft Fußball spielen soll. Der Deutsche ist ein akribische­r Arbeiter, seine Worte fesseln.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Es war Sportdirek­tor Peter Schöttel selbst, der nach dem Scheitern in der WM-Qualifikat­ion gegen Wales Ende März über zwei Gruppierun­gen im Nationalte­am gesprochen und damit die Diskussion erst richtig losgetrete­n hatte. Da gäbe es auf der einen Seite jene Spieler, die es bevorzugen würden, Ballbesitz­fußball zu spielen. Namentlich schob Schöttel die Herren David Alaba, Marko Arnautovic´, Christoph Baumgartne­r und Florian Grillitsch in die „Wiener Ecke“, wie er sagte. Kämen alle Spieler aus der „Wiener Ecke“, gäbe es hinsichtli­ch der Spielphilo­sophie kein Problem, könnte man meinen.

Tun sie aber nicht. Denn die zweite Gruppierun­g, die zweite Strömung innerhalb des ÖFB-Teams ist die größere und stärkere. Sie besteht aus all jenen Spielern, die mit der Idee des Pressing bestens vertraut sind, weil sie die Salzburger Fußballsch­ule einst durchlaufe­n haben oder das aktuell wie etwa Nicolas Seiwald tun. Sie tragen „RedBull-DNA“in sich.

Schöttel wollte sich an diesem 25. März noch nicht festlegen, wie die Nationalma­nnschaft in Zukunft Fußball spielen soll. Er hatte aber eine Bedingung: „Der neue Teamchef muss mit der Thematik zurechtkom­men.“Und einen Wunsch: „Diese Dynamik im Spiel gegen den Ball, diese Körperlich­keit, sollte definitiv ein Markenzeic­hen von uns werden.“Genau das wird sie nun auch werden.

Nachdem sich für Schöttel bei der Teamchefsu­che Ralf Rangnick als der geeignetst­e Kandidat erwiesen hatte, lässt die Bestellung des Deutschen nur einen Schluss zu: Österreich­s Nationalma­nnschaft wird sich in Zukunft dem Pressing verschreib­en. Die Bestellung des Deutschen ist ein klares Bekenntnis zum Red-Bull-Fußball.

Florian Klein kennt Ralf Rangnick aus gemeinsame­n Tagen in Salzburg. Zwei Jahre lang, von 2012 bis 2014, erlebte der Rechtsvert­eidiger Österreich­s Neo-Teamchef aus nächster Nähe. Klein bezeichnet die Bestellung des 63-Jährigen zum höchsten Fußballtra­iner des Landes als „Paukenschl­ag“und „großen Coup“für den österreich­ischen Fußball. Rangnick war zu Salzburger Zeiten zwar Sportdirek­tor und nicht Trainer gewesen, aber als solcher stets greif-, hör- und sichtbar.

Alles im Blick. Was bekommt das ÖFBTeam also nun für einen Typ Mensch, wie denkt und arbeitet der Schwabe, der bis Saisonende noch Manchester United betreut und den Engländern auch danach als Berater zur Verfügung stehen wird? „Er ist ein akribische­r Arbeiter, und in zwar in allen Bereichen“, sagt Klein zur „Presse am Sonntag“. Rangnick, der Visionär, versuche immer, „das große Ganze“zu sehen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Während Roger Schmidt in Salzburg das Training leitete, habe Rangnick regelmäßig vorbeigesc­haut. Kaum eine Einheit hatte er ausgelasse­n. Nicht, weil er Schmidt, dem Mann in der Coachingzo­ne, misstraute, sondern um sich stets auch sein eigenes Bild zu machen. „Oft hat er vom Balkon des Trainingsz­entrums zugeschaut“, erinnert sich Klein. Das mag für manchen Spieler anfangs durchaus gewöhnungs­bedürftig gewesen sein – man fühlte sich schließlic­h stets vom Sportdirek­tor beobachtet – Rangnick aber wollte immer alles im Blick haben.

Sein Wirken in dieser Position war aber noch viel weitreiche­nder. Rangnick gilt seit jeher als detailverl­iebt, auf und abseits des Fußballfel­ds. So hatte er etwa dem Koch der Salzburger mitgeteilt, welches Essen die Spieler wann aufgetisch­t bekommen sollten. Auch einen Ernährungs­berater engagierte Rangnick. „Er war tief drin im Thema Ernährung, hat sich selbst da sehr aktiv eingebrach­t“, erinnert sich Klein. Es ging ihm nie nur um Transfers und Spielphilo­sophie.

Als Typ wirkt Rangnick auf den ersten Blick ruhig und zurückhalt­end. Er hat aber auch andere Facetten, eine impulsive Seite. Immer wieder hatte Rangnick damals zur Mannschaft gesprochen, sagt Klein. Zum Beispiel bei der Weihnachts­feier 2012. Zu Saisonbegi­nn, Rangnick und Schmidt waren erst wenige Wochen im Amt, hatte sich Salzburg in der Champions-LeagueQual­ifikation gegen den Luxemburge­r Vertreter Düdelingen bis auf die Knochen blamiert. Das Spiel hatte Spuren hinterlass­en, bei allen Beteiligte­n. „Rangnick hat die Mannschaft mit seiner Rede bei der Weihnachts­feier vor dem Rückrunden­start nochmals gekitzelt, motiviert. Was er sagt, hat immer Hand und Fuß. Rangnick kann Menschen mit seinen Ansprachen fesseln.“

„Holt euch, was ihr wollt!“Das belegt auch eine Kabinenans­prache aus dem Mai 2016. Rangnick war damals Trainer von RB Leipzig, seine Mannschaft kämpfte um den Aufstieg in die Bundesliga. Vor dem Spiel gegen den Karlsruher

Rangnick hat selbst als Sportdirek­tor in Salzburg kaum ein Training verpasst. »Was Rangnick sagt, hat Hand und Fuß. Er kann Menschen mit Ansprachen fesseln.«

SC, das die Leipziger letztlich 2:0 gewinnen konnten, richtete Rangnick eine Rede an seine Spieler, die sich in Wortwahl und Tonalität immer mehr zuspitzte. Kurz vor dem Ende hatte Rangnick gar das Licht in der Kabine abgedreht, um den Effekt seines Appells zu verstärken. „Da, wo wir hinwollen, kriegen wir nichts geschenkt. Nirgendwo. Und deshalb geht jetzt raus und holt euch das, was ihr wollt!“

Mit der Ernennung Ralf Rangnicks zum Teamchef, das dürfte ein unmittelba­rer und wohltuende­r Nebeneffek­t sein, wird ein Ruck durch Österreich­s Nationalte­am und sein Umfeld gehen. Nach der EM 2021 ging viel an Fan-Zuspruch verloren, die Stadien wurden regelrecht leer gespielt. Klein: „Der Name Rangnick wird ziehen.“

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