Mord im Orient-Express
Neu erschienene Kriminalromane aus Asien verdeutlichen, dass nicht nur Amerikaner und Europäer dieses Genre perfekt beherrschen. Drei Leseempfehlungen.
Verlage tun ihren Büchern mit großspurigen Vergleichen („Tarantino trifft die CoenBrüder“), Klappentexten der Superlative („Der ungewöhnlichste Spannungsroman, den Sie je gelesen haben“) oder banal-blumigen Beschreibungen („Rasanter Thrill aus Taiwan, gewürzt mit schwarzem Humor, chinesischer Küche und Geheimgesellschaften“) nicht immer einen Gefallen. Sie erreichen damit mitunter das Gegenteil von dem, was sie wollen – sie schrecken ab. Doch im Fall dreier asiatischer Kriminalromane, die in den vergangenen Wochen auf den Markt gekommen sind, sollte man die PR-Attribute einfach ignorieren. Diese Lektüre zu verpassen wäre sehr schade.
Vor allem „Bullet Train“des japanischen Autors Ko¯taro¯ Isaka verspricht mit seinem mörderischen Kammerspiel in einem Hochgeschwindigkeitszug nicht zu viel. Fünf Killer besteigen in Tokio den Shinkansen in Richtung Morioka. Wer wird die Fahrt überleben? Der Tarantino-Vergleich mag auf die schrille Hollywood-Verfilmung mit Sandra Bullock und Brad Pitt zutreffen, zumindest lassen das die ersten Trailer vermuten. Das Buch hat aber ganz andere Vorzüge.
An Bord gehen neben dem ungleichen Killerpaar Tangerine und Lemon (in den Kapitelüberschriften als „Die Zitrusfrüchte“zusammengefasst) – der eine liebt große Literatur, der andere Thomas, die kleine Lokomotive – auch „der Prinz“, ein 14-jähriger hochintelligenter, aber sadistischer Schüler, sowie „Marienkäfer“, der das Pech gepachtet zu haben scheint, und Kimura, dessen Sohn im Koma liegt. Es beginnt eine aberwitzige Jagd nach einem Koffer voller Geld, die Todesfälle in den Waggons häufen sich.
Absurd authentisch. Der Autor erzählt eine rasante Geschichte, die aber auch immer wieder ihre stillen Momente hat, fast schon philosophisch wird und mit schlagfertigen Dialogen glänzt. Die comicartigen – weil überzeichneten – Figuren wirken überraschend glaubwürdig. Absurd-Authentisches aus Asien sozusagen. Vermutlich hätte auch Agatha Christie an diesem Mordsspektakel im modernen Orient-Express ihres Erben Isaka ihre helle Freude gehabt.
Der Kriminalroman „Die AosawaMorde“von Isakas Landsfrau Riku Onda wiederum hat nicht nur ein paar stille Momente, sondern sogar ganz viele davon. In Ondas Buch dreht sich alles um ein Fest der Familie Aosawa, bei dem siebzehn Menschen einen qualvollen Tod finden. Sie werden vergiftet, nur Hisako, die blinde Tochter des Hauses, überlebt. Die Japanerin schreibt darüber, wie polymorph die Wahrheit sein kann. Sie erzählt aus vielen verschiedenen Perspektiven und verdeutlicht, wie widersprechend scheinbar eindeutige Geschehnisse manchmal sind. Nicht immer ist gleich klar, wessen Stimme zu hören ist, doch mit jeder neuen Sichtweise setzen sich die Geschehnisse von damals neu und anders zusammen.
Das Erzähltempo ist langsam. Die Spannung entsteht allein durch die allgegenwärtige Frage, was wirklich geschah. Eine letztgültige Antwort verweigert die Autorin aber. Das ist konsequent: Es geht letztlich nicht darum, wer die schreckliche Tat begangen hat, sondern was diese mit den Überlebenden getan hat.
Chang Kuo-Lis „Der grillende Killer“beginnt zufälligerweise ebenfalls mit einer Szene in einem Zug. Das Cover (diese seien übrigens alle drei ausdrücklich gelobt, weil sie die Stimmung des jeweiligen Buchs außerordentlich gut transportieren) lässt einen kochenden Killer befürchten, inklusive passender Kochrezepte. Ein Trend, der in der Kriminalliteratur gerade vorherrscht. Doch der Spannungsroman des Taiwanesen, der mit einem Duell von zwei Scharfschützen beginnt, entpuppt sich als vielschichtiger und klug konstruierter Politthriller.
Keine Asien-Schublade. Die Kriminalromane und Thriller aus Asien (erwähnt sei auch die exzellente „18/4“-Trilogie des chinesischen Autors Zhou Haohui, deren zweiter Teil im Mai erscheint) sollte man jedenfalls in keine eigene Krimi-Schublade stecken. Dazu sind sie einfach viel zu unterschiedlich. Und zu gut.
Chang Kuo-Li:
„Der grillende Killer“, übersetzt von
Alice Jakubeit, Droemer,
320 Seiten,
16,50 Euro
Riku Onda:
„Die Aosawa-Morde“, übersetzt von
Nora Bartels, Atrium-Verlag,
367 Seiten,
22,70 Euro