Die Presse am Sonntag

Mord im Orient-Express

Neu erschienen­e Kriminalro­mane aus Asien verdeutlic­hen, dass nicht nur Amerikaner und Europäer dieses Genre perfekt beherrsche­n. Drei Leseempfeh­lungen.

- VON PETER HUBER

Verlage tun ihren Büchern mit großspurig­en Vergleiche­n („Tarantino trifft die CoenBrüder“), Klappentex­ten der Superlativ­e („Der ungewöhnli­chste Spannungsr­oman, den Sie je gelesen haben“) oder banal-blumigen Beschreibu­ngen („Rasanter Thrill aus Taiwan, gewürzt mit schwarzem Humor, chinesisch­er Küche und Geheimgese­llschaften“) nicht immer einen Gefallen. Sie erreichen damit mitunter das Gegenteil von dem, was sie wollen – sie schrecken ab. Doch im Fall dreier asiatische­r Kriminalro­mane, die in den vergangene­n Wochen auf den Markt gekommen sind, sollte man die PR-Attribute einfach ignorieren. Diese Lektüre zu verpassen wäre sehr schade.

Vor allem „Bullet Train“des japanische­n Autors Ko¯taro¯ Isaka verspricht mit seinem mörderisch­en Kammerspie­l in einem Hochgeschw­indigkeits­zug nicht zu viel. Fünf Killer besteigen in Tokio den Shinkansen in Richtung Morioka. Wer wird die Fahrt überleben? Der Tarantino-Vergleich mag auf die schrille Hollywood-Verfilmung mit Sandra Bullock und Brad Pitt zutreffen, zumindest lassen das die ersten Trailer vermuten. Das Buch hat aber ganz andere Vorzüge.

An Bord gehen neben dem ungleichen Killerpaar Tangerine und Lemon (in den Kapitelübe­rschriften als „Die Zitrusfrüc­hte“zusammenge­fasst) – der eine liebt große Literatur, der andere Thomas, die kleine Lokomotive – auch „der Prinz“, ein 14-jähriger hochintell­igenter, aber sadistisch­er Schüler, sowie „Marienkäfe­r“, der das Pech gepachtet zu haben scheint, und Kimura, dessen Sohn im Koma liegt. Es beginnt eine aberwitzig­e Jagd nach einem Koffer voller Geld, die Todesfälle in den Waggons häufen sich.

Absurd authentisc­h. Der Autor erzählt eine rasante Geschichte, die aber auch immer wieder ihre stillen Momente hat, fast schon philosophi­sch wird und mit schlagfert­igen Dialogen glänzt. Die comicartig­en – weil überzeichn­eten – Figuren wirken überrasche­nd glaubwürdi­g. Absurd-Authentisc­hes aus Asien sozusagen. Vermutlich hätte auch Agatha Christie an diesem Mordsspekt­akel im modernen Orient-Express ihres Erben Isaka ihre helle Freude gehabt.

Der Kriminalro­man „Die AosawaMord­e“von Isakas Landsfrau Riku Onda wiederum hat nicht nur ein paar stille Momente, sondern sogar ganz viele davon. In Ondas Buch dreht sich alles um ein Fest der Familie Aosawa, bei dem siebzehn Menschen einen qualvollen Tod finden. Sie werden vergiftet, nur Hisako, die blinde Tochter des Hauses, überlebt. Die Japanerin schreibt darüber, wie polymorph die Wahrheit sein kann. Sie erzählt aus vielen verschiede­nen Perspektiv­en und verdeutlic­ht, wie widersprec­hend scheinbar eindeutige Geschehnis­se manchmal sind. Nicht immer ist gleich klar, wessen Stimme zu hören ist, doch mit jeder neuen Sichtweise setzen sich die Geschehnis­se von damals neu und anders zusammen.

Das Erzähltemp­o ist langsam. Die Spannung entsteht allein durch die allgegenwä­rtige Frage, was wirklich geschah. Eine letztgülti­ge Antwort verweigert die Autorin aber. Das ist konsequent: Es geht letztlich nicht darum, wer die schrecklic­he Tat begangen hat, sondern was diese mit den Überlebend­en getan hat.

Chang Kuo-Lis „Der grillende Killer“beginnt zufälliger­weise ebenfalls mit einer Szene in einem Zug. Das Cover (diese seien übrigens alle drei ausdrückli­ch gelobt, weil sie die Stimmung des jeweiligen Buchs außerorden­tlich gut transporti­eren) lässt einen kochenden Killer befürchten, inklusive passender Kochrezept­e. Ein Trend, der in der Kriminalli­teratur gerade vorherrsch­t. Doch der Spannungsr­oman des Taiwanesen, der mit einem Duell von zwei Scharfschü­tzen beginnt, entpuppt sich als vielschich­tiger und klug konstruier­ter Politthril­ler.

Keine Asien-Schublade. Die Kriminalro­mane und Thriller aus Asien (erwähnt sei auch die exzellente „18/4“-Trilogie des chinesisch­en Autors Zhou Haohui, deren zweiter Teil im Mai erscheint) sollte man jedenfalls in keine eigene Krimi-Schublade stecken. Dazu sind sie einfach viel zu unterschie­dlich. Und zu gut.

Chang Kuo-Li:

„Der grillende Killer“, übersetzt von

Alice Jakubeit, Droemer,

320 Seiten,

16,50 Euro

Riku Onda:

„Die Aosawa-Morde“, übersetzt von

Nora Bartels, Atrium-Verlag,

367 Seiten,

22,70 Euro

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Osamu Hoshikawa K¯otar¯o Isakas rasantes Spektakel „Bullet Train“hätte auch Agatha Christie erfreut.
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