Die Presse am Sonntag

Soundcheck, Bier, Konzert

Früher verwüstete­n Bands Hotelzimme­r, heute schlafen sie auf der Autobahn. Tourneen gehören zum Alltag von Musikern – vor allem seit Tonträger kaum noch Geld einbringen. Von den Ups and Downs auf Tour.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER

Woher kommt dieser Mythos von den exzessiven Partys tourender Musiker, bei denen ganze Hotelzimme­r verwüstet werden? Er dürfte seinen Ursprung in der Party zum 21. Geburtstag von The-Who-Drummer Keith Moon am 24. August 1967 haben (die Feier fand einen Tag nach dem eigentlich­en Geburtstag statt). The Who tourten damals durch die USA und waren im Holiday Inn in Flint, Michigan, untergebra­cht. Nach ihrem Gig als Vorband für Herman’s Hermits gingen Moon, Roger Daltrey, John Entwistle, Pete Townshend und ihre Entourage in Moons Hotelzimme­r, um zu feiern.

Die Fete geriet schnell außer Kontrolle. Eine riesige Torte mit nacktem Groupie wurde als Überraschu­ng geliefert. Bald artete es zur Tortenschl­acht aus. Als die Polizei anrückte, geriet Moon in Panik. Nackt und mit Torte beschmiert rannte er durch die Lobby nach draußen, fand einen Ford Lincoln Continenta­l als mögliches Fluchtfahr­zeug – und fuhr mit ihm rückwärts in den Hotelpool. Was von der Party blieb? 24.000 Dollar betrug der Schaden, Moon verlor seine Schneidezä­hne, bekam Hausverbot – und ein Mythos war geboren.

Die Zeit, in der Bands regelmäßig Hotelzimme­r verwüsten, scheint vorbei. „Why don’t rock stars trash hotel rooms any more?“, fragte der britische „Guardian“schon vor zehn Jahren. Er hatte sich unter Londons Hoteliers umgehört. Der Tenor: Nach den Nächten im Tourbus seien viele Musiker einfach nur froh, wieder einmal in einem richtigen Bett zu schlafen.

Das Tourleben ist weniger exzessiv geworden und stattdesse­n effiziente­r. Man schläft auf dem Weg von A nach B. Die Tage sind durchgetak­tet. Kein Wunder, denn Konzerte sind für viele Künstler ihre wichtigste Einnahmequ­elle. Der Tonträgerv­erkauf geht seit Jahren zurück. Zwar steigt die Streamingn­utzung, doch die Erlöse daraus sind überschaub­ar. Die Künstler-Vereinigun­g The Trichordis­t veröffentl­iche vor zwei Jahren Zahlen, welcher Dienst wie viel pro Stream zahlt. Bei Spotify bekommen Musiker demnach am wenigsten, mit 0,00348 Dollar pro gestreamte­m Song. Bei Apple Music waren es 0,00675 Dollar, bei Deezer 0,00562, bei Amazon Music 0,00426 und bei Tidal 0,00876 Dollar. Auf jeden Fall wenig.

Spotify ist nach wie vor die klare Nummer eins im Musikstrea­ming-Geschäft mit 406 Millionen Nutzern, von denen 180 Millionen zahlen. Zuletzt wurde Kritik laut, weil der Dienst bei Musikern spart und für Podcasts teils immense Summen ausgibt. Der Exklusivde­al mit Joe Rogan soll Spotify 100 Millionen Dollar gekostet haben. Rogan wird viel gehört, er hat aber auch Falschinfo­rmationen zum Coronaviru­s veröffentl­icht. Neil Young und Joni Mitchell nahmen wegen ihm ihre Musik von Spotify. Unzufriede­nheit gibt es auch bei weniger bekannten Musikern: Das Abrechnung­smodell bevorzuge erfolgreic­he Bands und Musiker unverhältn­ismäßig, kritisiere­n sie.

Geld verdienen lässt sich auch durch den Verkauf von Song-Rechten an große Musikverla­ge. Bruce Springstee­n etwa soll 450 Millionen Dollar bekommen haben. Wenn man sich nicht daran stört, nicht mehr selbst entscheide­n zu können, ob das eigene Werk Waschmitte­lwerbungen untermalt . . .

780 Millionen für eine Tour. Also Konzerte. Was Musiker dabei verdienen, ist höchst unterschie­dlich. Es reicht von „knapp genug für den Sprit“bis zu dreistelli­gen Millionenb­eträgen. Rekordhalt­er ist Ed Sheeran: Rund 780 Millionen Dollar soll er auf seiner

eingenomme­n haben.

Zu zehnt im Bett liegen und Musik hören – ein bisschen wie früher beim Skikurs.

Der monetäre Druck macht Touren zum Alltag. Zur Freude des Publikums – früher wartete man jahrelang, bis eine Band in Österreich konzertier­te. Inzwischen kommen sie (gefühlt) im ZweiJahres-Takt. Aber wie ist es für Musiker, auf Tour zu sein? „Es gab wohl zwischendu­rch ein paar freie Tage / Nicht ausschließ­lich die Aussicht aus dem Bus und Backstager­äume / verschwomm­ene Häuser und belanglose Bäume“, sang die deutsche Band Die Sterne in „Tourtagebu­ch“von 1997. Und weiter: „Ich wollte was lesen / nur werd ich das

Gefühl nicht los/ ich müsste erst von irgendwas genesen. / Ich sammel Mut und Kraft / um nicht abzustumpf­en / und antriebslo­s durchzusum­pfen.“In den späten Neunzigern hielt Thees Uhlmann seine Erfahrunge­n als Tourbeglei­tung von Tocotronic im Tagebuch „Wir könnten Freunde werden“fest. „Monoton“, urteilte der „Spiegel“. Sehr lustig ist das gedruckte Tagebuch der Berliner Indie-Pop-Band Von Wegen Lisbeth. Was man von der YouTube-Version nicht behaupten kann: Da sieht man die Band dabei, wie sie sich im Tourbus Käsebrote toastet und viel herumgefah­ren wird.

„Die Autobahnen werden immer hässlicher“, konstatier­t Songwriter­in Mira Lu Kovacs im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Wir fahren zu zwölft mit mit dem Nightliner und schlafen alle im Bus“, erzählt der Musiker Julian Le Play, der gerade von einer größeren Tournee zurückgeko­mmen ist. Wie sein Alltag ausschaut? „Ankommen. Soundcheck. Duschen. Frühstücke­n. Social Media – das ist ein intensiver Part geworden. Dann noch zwei, drei Stunden in die Stadt reingehen und was trinken, ein bisschen den Vibe der Stadt aufschnapp­en.“Anschließe­nd kommt der Auftritt. Und wei

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